am Strand und war dennoch tief genug, um der LIBERIA notfalls vor unerwarteten Riesenbrechern Schutz zu bieten. Denn genau wie vor Ascension ist die Reede auch hier nach Norden offen, und wenn es im Nordatlantik kräftig gestürmt hat, können äußerst gefährliche Brecher entstehen. Das alles weiß man natürlich aus den Küstenhandbüchern, in denen man sich vor jedem Anlaufen eines Hafens eingehend über alle Gefahren unterrichtet, die auf das Boot lauern könnten.
Als ich klar Schiff gemacht hatte – ein Topf Pellkartoffeln für das Abendessen stand gerade auf dem Spirituskocher –, hörte ich von draußen Stimmen herüberschallen. Es war inzwischen dunkel geworden, der Wind pfiff mit guten sechs Windstärken über die Bucht, und es schien mir unwahrscheinlich, daß sich in diesem Wetter jemand die Mühe machen könnte, mich zu besuchen. Aber ich täuschte mich! Plötzlich bumste es gegen die Bordwand, und zwei milchkaffeebraune brasilianische Fischer kletterten an Deck. Sie wollten mir die Einladung einer Señora überbringen, die bereit war, mich gegen 5000 Cruzeiros kennenzulernen. Noch ehe ich diesen Schock überwunden hatte, schrie der eine: „O barco!“ Er zeigte auf sein Boot, das sich losgemacht hatte und in der Dunkelheit abtrieb, aufs offene Meer hinaus! Seemannsknoten müßte man machen hönnen!
Ich versuchte, die Fischer dazu zu bewegen, mit einem Kopfsprung hinterherzusetzen. Aber welcher Fischer kann schon schwimmen! Also mühten wir uns zu dritt, meine Ankerkette einzuhieven, um die LIBERIA dem Boot nachzuschicken, aber der Wind preßte so stark gegen meine Yacht, daß wir nicht einmal das schafften. Die Ankerwinsch3 war mir schon in Westafrika in einem Tornado in die Brüche gegangen, und mein Schlauchboot hatte ich noch nicht aufgeschlagen.
Welch ein kostspieliger Kuppeleiversuch für die beiden! Da standen sie und sahen ihr Boot und ihre Felle auf Nimmerwiedersehen davonschwimmen, beschimpften sich gegenseitig und blickten verdattert zu mir herüber, während ich, so schnell es ging, mein Dingi aufschlug. Endlich war es fahrbereit, aber die See war zu bewegt, um meine Nußschale zu tragen. Was blieb mir also anderes übrig, als die unerwünschten Gäste auch noch zum übernachten einzuladen. Sie ließen sich an Deck nieder und nahmen meine sämtlichen Decken in Beschlag.
Am nächsten Morgen paddelte ich sie dann nacheinander zur „Hafen“-Barkasse und wünschte ihnen zum Abschied, daß ihre „Señora“ sie für diesen Betriebsunfall entschädigen möge!
Die Dünung schien sich über Nacht noch erhöht zu haben. Deshalb verpackte ich alle meine Sachen in einen wasserdichten Beutel und pullte im Badezeug und mit einem leichten Unbehagen in der Magengegend dem Ufer zu. Felsen, in deren Schutz ich hätte landen können, gab es nicht. Die Brandung sauste mit gewaltigem Donnern auf den Strandwall zu.
Zwei, drei breite Rücken wartete ich ab, und dann paddelte ich mit doppelter Kraft dem Ufer zu. Ein neuer Brecher stürzte heran – ich ging zu Bach! Das Dingi wurde auf den Strand geworfen, mein Gepäck hinterdrein, und ich raffte mich schließlich im Wasser auf, um südamerikanischen Boden zu gewinnen. Eine Landung wie damals in der Sahara!
Von zwei Hütten aus beobachteten einige Insulaner, auf die pro Person ein halbes Dutzend Hemdenmatze zu entfallen schien, mit Stielaugen den Neuankömmling. Nachdem ich mich – unter ihren Augen – notdürftig hergerichtet hatte, stapfte ich mit einem Fischer durch die prachtvoll grüne Insel nach dem hübschen Ort, in dem nahezu alle Brasilianer hausen, die auf Ferando Noronha leben.
Vorwiegend sind es Soldaten, die hier im Atlantik ihren Wehrdienst leisten. Dem Ranghöchsten, einem Major Schneider, stellte ich mich vor. Er kontrollierte Paß und Bootspapiere und hieß mich willkommen. Mit seinem Jeep fuhr er mich über die an fünf Fingern abzählbaren Straßen der Insel, die erst in jüngster Zeit von den Amerikanern angelegt worden sind, weil die USA auch hier eine Raketenstation unterhalten.
Die amerikanischen Techniker, rund 150 an der Zahl, waren in komfortablen Baracken zu Füßen des Pico untergebracht, stellten ihr Trinkwasser aus Salzwasser her und aßen so gutes, aus den Staaten importiertes Essen, daß den Einheimischen die Augen übergingen.
Für jeden, der aus Afrika kommt, ist es erfreulich, die Rassentoleranz der Brasilianer zu beobachten. Nirgendwo auf der Welt habe ich eine Nation getroffen, in der so viele verschiedene Rassen so friedlich zusammenleben. Mein Gastgeber, der brasilianische Major, bestätigte meine Beobachtungen: „Bei uns gibt es sogar ein Sprichwort über die stimulierende Wirkung, die ein Schuß Negerblut hat …“
Durch die Gewässer des Amazonas
Mein Boot machte mir – immer noch – Kummer. Der hilfsbereite Major hatte mir zwar einen seiner Mechaniker geschickt, aber weder der noch ein amerikanischer Fachmann waren imstande, den Dieselmotor wieder zum Laufen zu bewegen. So entschloß ich mich, ohne Motor weiterzufahren.
Der Major gab mir eine Staude Bananen mit auf den Weg, sechs Amerikaner halfen mir, die Ankerkette einhieven, und dann ging es, vorerst unter Fock allein, nach Nordwesten. Ein steifer Passat wehte über die Insel und jagte tückische Sturmböen über die LIBERIA. Als ich aber etwa zwei Seemeilen von der Küste entfernt war, hielt ich in den Wind, setzte Doppelfock und Großsegel und preschte vor dem Winde weiter, in Richtung Trinidad, wo Niña in vierzehn Tagen eintreffen wollte.
Schon in den ersten 24 Stunden schaffte die LIBERIA 163 Seemeilen – die Strömung abgerechnet. Für ein kleines Boot von neun Meter Länge ist das eine schöne Strecke. Auch in den nächsten Tagen machte sie ähnlich gute Fahrt. Leider lief sie bei raumen und achterlichen Winden niemals allein, so daß ich die ganze Zeit über im Cockpit schlief, lebte und litt.
Natürlich kam mein Schlafbedürfnis dabei zu kurz, viel zu kurz. Schon im Einbaum hatte ich am eigenen Leibe erfahren, daß Schlafen auf See weitaus wichtiger ist als Essen: das war auf meiner Probefahrt im Golf von Guinea gewesen, als ich eine Woche lang kaum schlief und danach in ein Schlafmangeldelirium fiel, das mich fast das Leben kostete. Damals schwor ich mir, in Zukunft vorsichtiger zu sein und das Schlafproblem ernster zu nehmen, indem ich mich darauf trainierte, zu bestimmten Zeiten immer wieder wach zu werden. Da ich genau wußte, wann die LIBERIA bei achterlichen Winden aus dem Kurs lief, konnte ich mir den Befehl geben, nach einer bestimmten Zeitspanne, zum Beispiel nach drei oder fünf Minuten, aufzuwachen. Manchmal setzte ich auch zusätzlich den Klüver, dessen Flattern mich aus dem Schlaf riß, sobald ich nicht mehr richtig Kurs hielt. Damit fuhr ich gut. Ich schlief am Tage etwas mehr als in der Nacht.
Nach wenigen Tagen sah ich die Brandungslinie der Amazonasgewässer vor mir. Einige Tage zuvor hatte ich von zwei Sportseglern gelesen, die von Südafrika nach Trinidad gesegelt waren und aus diesem Erlebnis eine Sensation gemacht hatten: ihr Boot hätte sich beinahe in der Brandung überschlagen, die Brecher seien so hoch wie ihr Mast gewesen. „Streich die Hälfte weg!“ dachte ich beim Lesen. Aber es kam noch besser: Von dieser übriggebliebenen Hälfte hätte ich nochmals die Hälfte wegnehmen können, und das, obwohl eine schöne Brise wehte, die sehr geeignet war, eine zünftige Brandungslinie aufzuwerfen. Die berüchtigte Brandung war also nichts als ein harmloser weißer Strich. 138 Seemeilen von der Küste entfernt glitt ich durch die „masthohe“ Brandung – tatsächlich landeten einige Spritzer im Cockpit – und geriet in die schmutzigen Fluten des größten Stromes der Erde, der in einer einzigen Sekunde 72 Tonnen Schwemmland mit sich ins Meer reißt.
Diese Schlamm-Massen werden zum größten Teil an den flachen Küsten von Guayana wieder angetrieben, an denen deswegen nicht selten kaum eine Brandung zu sehen ist, weil der Schlamm die Dünung erstickt. So ist die Guayana-Küste gerade für solche Segler gefährlich, die ahnungslos und neugierig näher herangehen als ratsam ist.
Auch hier herrschte Regenzeit. Tagelang segelte ich durch Schauer und tropische Regengüsse. Die Luftfeuchtigkeit im Boot sank nicht unter 95 Prozent. Es war, als verschütte der Himmel seine letzten Wasserreserven.
Um nicht unaufhörlich im Nassen sitzen zu müssen, brachte ich an der Pinne mittels Blöcken und Enden4 eine behelfsmäßige Steuervorrichtung an, so daß ich von der Kajüte aus den Kurs halten konnte. Nachts blieb ich an Deck, und das war gut, denn einmal wollte mich beinahe ein unbeleuchteter und wahrscheinlich auch unbewachter Küstenschoner rammen, obwohl meine Positionslaternen brannten.
Ich rächte