kopflos an Deck, sogar ein Scheinwerferlicht wurde mir noch nachgesandt.
In diesen Regentagen, an denen die Kleider nie trockneten und ich kaum von der Pinne kam, mußte ich nach meinen Erfahrungen mit Hautinfektionen rechnen. Erstaunlicherweise blieben sie aus. Ich hatte das wohl meiner gesunden Kost zu verdanken.
Manchmal blies der Passat aus vollen Backen mit Sturmstärke, dann wieder beruhigte er sich; bald wehte es steif, bald flau, aber nahezu immer regnete es. Mit dem Funkpeiler mußte ich den Kurs überprüfen, weil die Gestirne häufig von Wolken verdeckt waren. Wenn man hier unerwartet die Küste erblickt, sitzt man auch schon auf Grund.
Auf dieser Strecke machte die LIBERIA ihre Rekordfahrt: 164 Seemeilen in 24 Stunden! Das gibt einen Schnitt von rund sieben Seemeilen oder nahezu 13 Kilometer in der Stunde. Die Strömung ist dabei abgerechnet, sonst wären es über 200 Seemeilen gewesen.
Wunderbar, das rauschende Kielwasser zu beobachten und die ruhigen ausgeglichenen Bewegungen der LIBERIA zu fühlen! Tatsächlich, solche stürmischen Winde, in denen die meisten Boote ihre Segel refften, schienen meiner LIBERIA besonders zu behagen, da war sie ganz in ihrem Element! Und auch ich dachte nicht mehr voller Sehnsucht an meine Kleinstboote. Ich war mit dem Yachtsegeln voll und ganz ausgesöhnt …
Nichts hielt die rekordwütige LIBERIA auf, selten wagte sich einmal ein Dampfer in ihre Nähe. Während sie dahinbrauste, holte ich mir Makrelen aus dem Wasser und aß mehr, als unbedingt nötig war – die reichen Fischgründe verführten zum Schlemmen! Häufig brauchte ich gar nicht zu angeln: freiwillig glitten kleine Fliegende Fische zu mir an Bord und in die bereitstehende Bratpfanne. Eines Morgens zählte ich auf Deck 87 fingergroße Fliegende Fische, die sich in der Nacht dorthin verirrt hatten.
In der zwölften Nacht kam schließlich die Südost-Küste von Trinidad in Sicht. Ich sauste an der Ostseite der Insel nach Norden, vorbei an einer Schar Riesenschildkröten, die mir verwundert aus dem Weg paddelten, und erreichte abends die Haustür Trinidads, das „Drachenmaul“, das von Inseln und dem venezolanischen Festland gebildet wird.
2200 Seemeilen hatte ich in 12 Tagen zurückgelegt! Niña konnte noch gar nicht da sein – ich würde als erster zum Rendezvous kommen!
1 Außenschmarotzer.
2 Die Folge von Stunden, Tagen oder Wochen, die ein Schiff hintereinander in See ist.
3 Winde.
4 Tauwerk.
NEUNTES KAPITEL
INSELN UNSERER TRÄUME
Wenn die LIBERIA IV glaubte, ihre Rekordfahrt bis in den Hafen von Port of Spain fortsetzen zu können, so hatte sie sich getäuscht. Denn nun kam das dicke Ende.
Der Wind ließ nach, die Strömung setzte aus dem Drachenmaul, ich konnte ohne Motor nicht durchkommen. Eine Nacht lang versuchte ich, jeden kleinsten Windhauch auszunutzen – vergeblich. Die Strömung trieb mich in die Karibische See zurück. Dampfer kamen und gingen, neidisch sah ich auf ihre Lichter, die an mir vorbeiglitten.
Es wurde Tag, aber kein Wind kam auf. Der Mittag verstrich. Endlich nahm sich ein mitleidiger Hauch der LIBERIA an. Mühsam erreichte sie wieder das Drachenmaul. Die Dämmerung brach herein, ich mußte zum zweiten Mal alle meine Lichter setzen. Dampfer passierten mich, Fischerboote, Inselschoner – alle liefen sie unter Motor.
Und dann setzte wieder der Wind aus. Es war zum Verzweifeln! Ich befand mich mitten im Eingang zum Drachenmaul! Mitten im Verkehr! Mit einem Scheinwerfer mußte ich mal einen Schoner, mal einen Dampfer auf die hilflose LIBERIA aufmerksam machen. Zum Glück waren die Ausgucke der Schiffe auf dem Posten, sie änderten ihren Kurs.
Nicht zu Unrecht hatte Kolumbus auf seiner dritten Fahrt diese Ausgänge aus dem Golf von Paria „Bocas del Drago“ genannt, denn durch das Drachenmaul jagen die Gewässer des Golfes und treffen auf den Weststrom der Karibischen See, der vom Passat angetrieben wird. Dort, wo sie zusammenstoßen, wirbelt und brodelt das Wasser, kibbeln und kabbeln die Wellen, so daß bei flauen Winden der Durchgang durch die engen Passagen für Segler ohne Motor außerordentlich gefährlich sein kann.
Kampf im Drachenmaul
In den frühen Morgenstunden trieb die Strömung die LIBERIA abermals ins Meer hinaus. Dafür hatte ich Tag und Nacht an der Pinne gesessen, hatte 2200 Seemeilen in 12 Tagen durchjagt, um vor dem Eingang meines Ziels in eine Flaute zu geraten! Wenn das so weiterging, würde Niña mir von ihrem Dampfer aus zuwinken können.
Am Nachmittag des zweiten Tages kam endlich eine leichte Brise auf, langsam näherte sich die LIBERIA erneut dem Drachenmaul. Im klaren Wasser schlenderte ein Hammerhai um das Boot, mehrere Seeschildkröten paddelten an mir vorbei, als wollten sie mir sagen: Wer sich auf seine eigenen Kräfte verläßt, fährt immer gut …
Aber dann blies der Wind gegen Ende meines zweiten Tages vor dem Ziel endlich stärker. Da das Drachenmaul durch mehrere Inseln und das Festland von Südamerika gebildet wird, gibt es vier Durchfahrten. Um nun schon beim Durchgang so viel Ost zu gewinnen wie nur irgend möglich – hinter den Inseln würde ich dann nicht mehr so viele Meilen gegen den Wind ankreuzen müssen –, wählte ich die zweite Durchfahrt von Osten, das „Eiermaul „, die Boca de Huevos, die nach einem Inselchen benannt wird, das viele Seevögel beherbergt.
Ein tolles Schauspiel begann! Der Wind hörte mitten in der Enge auf, das Boot wurde herumgewirbelt und näherte sich bedrohlich der Monos-Insel im Osten. Verzweifelt pullte ich mit einem gewaltigen Riemen, um aus diesem Chaos herauszukommen. Ich hatte Glück, die LIBERIA wurde wieder von einem entgegengesetzten Wirbel aufgenommen und in den Golf von Paria versetzt; endlich fiel auch etwas Wind in die Segel und führte das Boot nach zweitägigem Kampf gegen die Strömung nach Port of Spain, wo ich am späten Abend vor dem Yachtclub ankerte. Selten bin ich so erschöpft in einen abgrundtiefen Schlaf gefallen wie nach diesem Kampf.
Anderntags hatte ich einer Einladung zu folgen und verließ die LIBERIA. Als ich abends wiederkam, war inzwischen ein steifer Südwind aufgekommen, und die Angestellten des Clubs kamen mir schon entgegen: die LIBERIA IV habe versucht, sich selbständig zu machen! Sie war im Wind vertrieben, konnte zum Glück aber schnell wieder eingefangen werden.
Der Anker war also gar nicht erst in den Lehmgrund eingedrungen; bei Flaute und ohne Motor hatte ich nicht überprüfen können, ob er hielt. Ein Einhandsegler wird nie die rechte Ruhe haben, wenn er sein Boot allein lassen muß; niemals habe ich bei unsicherem Ankergrund auch nur für eine Nacht an Land geschlafen.
Völkerpalette Trinidad
Trinidad gleicht in seinem geographischen Erscheinungsbild dem benachbarten Festland und der übrigen Inselkette der Antillen. Aber es gleicht auch den Inseln im Golf von Guinea, obwohl auf ihnen der ewig blasende Passat die Temperaturen nicht abkühlt wie auf Trinidad, dessen Klima deshalb erträglich, ja manchmal sogar „paradiesisch“ ist.
Für die Karibischen Inseln haben die Europäer mehr Blut gelassen als für ganz Afrika zusammengenommen. Alle Eilande wurden einmal von Spanien beansprucht; dann kamen Holländer, Engländer und Franzosen, überfielen mal dort und plünderten mal hier, bis sich jeder einige Inseln von den Spaniern, den Indianern oder auch von den eigenen Bundesgenossen „erobert“ hatte. Hier nahm man es mit Verträgen und Abkommen nie so genau, und wer sich überhaupt nicht um solchen Papierkram kümmern wollte, der wurde Pirat damals noch ein ehrenwerter Beruf, dessen tüchtigste Vertreter geadelt wurden.
Da die eingeborenen Kariben-Indianer nicht so arbeiten wollten, wie sie sollten, sondern scharenweise an Krankheiten starben, wenn nicht gar Selbstmord begingen, führten die Europäer wie eine neue Handelsware Afrikaner ein. Und als später die Sklaverei abgeschafft wurde, importierte man Ostinder nach Westindien, ein Name, der übrigens von Kolumbus stammt, welcher die Inselwelt entdeckte, als er sich auf dem Weg nach Indien glaubte.
So herrscht heute in Port of Spain ein kosmopolitisches Leben. –