mich als »dritten Mitsegler« an Bord. Und ich arbeitete doppelt: Nachts, üblicherweise bis 3 Uhr, schrieb ich neue Meldungen auf Boris’ Seite, tags darauf dann Online-Meldungen darüber für die Yacht. Für 500 € im Monat.»Deine Entlohnung steht in keinem Verhältnis zur Leistung«, entschuldigte Boris sich wiederholt, »aber das Budget ist zu knapp.« Boris und sein Manager versprachen mir, mich später wieder zu engagieren und »vernünftig zu bezahlen«, sollte es eine Vendée Globe Kampagne geben. Mit dieser Aussicht gab ich mein Bestes. Doch als es Jahre später zu einem Vendée Globe Rennen kam, war Boris nicht dabei.
Ich suchte mir weitere Nebenjobs, übersetzte nachts Bücher, Schiffs-Exposés und Pressetexte. Der Körper wehrte sich schon damals immer mehr gegen all den Stress und Schlafmangel. Zweimal war ich wegen rasendem Herzen beim Arzt. Ich war aufgebraucht, überarbeitet. Und dann forderte auch noch überraschend das Finanzamt Steuern für die Vorträge nach – ein Großteil des beiseite gelegten Geldes war wieder weg. Es schien immer hoffnungsloser, je wieder lossegeln zu können. Während vieler Mittagspausen saß ich in der Redaktion vor dem Rechner, las Blauwasserblogs und betete »Herr, lass mich so was nur noch einmal erleben.«
Während der Pendelei im Zug schaffte ich es manchmal, ein Buch zu lesen. Eines fesselte mich: Adrift. Autor Tristan Jones sprach mir aus der Seele: Er ist gerade von einer tollen Reise zum Titicaca-See, die wegen politischer Unruhen viel Kraft gekostet hatte, nach England zurückgekommen. Seine kleine, 7 Meter lange SEA DART hat er per Frachter nach England geschickt Dort möchte er eigentlich nur das Schiff abladen und etwas Frieden unter Segeln finden. Doch der Zoll verlangt Einfuhrsteuern. Geld, dass der Mann nicht mehr hat. Also bleibt das Schiff im Zollhafen an der Kette, während Jones über den Winter als Kohleschipper bei Harrod’s Geld verdient.
»Der hatte es wenigstens warm«, dachte ich. Denn wenn ich nach Hause kam, war das Haus kalt. Ich sparte Geld, schaltete im Winter die Dieselheizung tagsüber ab. Wenn ich um 20 Uhr nach Hause kam, dauerte es immer 1,5 Stunden, bis die Wohnung langsam durch den Holzofen aufgewärmt worden war. Um 23 Uhr ging ich ins Bett, weil ich um 6:45 Uhr schon wieder das Haus verlassen musste. Sinnlose, einsame Winter auf dem Land.
Jones gelingt es irgendwann, mit Gelegenheitsjobs genug Geld aufzubringen, um sein Schiff zurückzubekommen und endlich wieder die Segel zu setzen. Für mich hoffte ich ebenfalls auf ein Happy-End. Ich wollte so gern los, aber war im Leben an Land mit all seinen Verbindlichkeiten gefangen. Deshalb wechselte ich oft das Thema, wenn wieder einmal jemand auf einer Bootsmesse oder nach einem Vortrag die immer gleiche Frage stellte: »Und, wann geht’s wieder los?« – Was sollte ich antworten? Die Wahrheit war: »Ich weiß es nicht.«
BAGUETTEUNTERM ARM
Von Johannes
Eine ganze Woche liege ich schwer grippig in der Koje. Draußen regnet es fast die ganze Zeit. Glücklicherweise bin ich kurz vor dem Besuch des Kamerateams noch in die Berge über Dartmouth zu einem Baustoffhandel gelaufen, wo ich einen Heizlüfter gekauft habe. Denn unseren hatten wir in Deutschland zurückgelassen. »Den brauchen wir ja bald nicht mehr«, hatten wir gemeint. Bei dem steilen Aufstieg kam ich gut ins Schwitzen und zog meine Jacke aus. Dabei muss ich meinem sowieso schon erschöpften Körper den Rest gegeben haben. Zurück an Bord, schnitt ich den britischen Stecker ab und befestigte einen deutschen. Immer gut, wenn man welche dabeihat.
So liege ich nun eine ganze Woche lang unter Deck in der Wärme des Heizlüfters und kuriere meine Grippe aus. Und schaue gleichzeitig immer neugierig aufs Wetter, obwohl es das Internet schwierig macht. Wir haben kaum Empfang an Bord. Also finde ich endlich Gelegenheit, die WLAN-Antenne von Lunatronic fertig zu installieren, die schon auf dem Mast montiert ist. Außerdem löte ich das Radarkabel zusammen und ziehe alle Litzen anschließend einzeln durch eine Schale mit Sikaflex. So werden die Verbindungen wasserfest versiegelt. Beim Testlauf zeigt der Radarschirm ein gestochen scharfes Bild. Sehr schön! Arne hat uns aus Deutschland auch ein Reservegetriebe für den Autopiloten mitgebracht. Mal sehen, wie lange das Ding hält.
Ein großes Wetterfenster, das uns eine Überfahrt nach Spanien ermöglichen würde, ist nicht zu erkennen. Aber immer wieder kleinere Fenster. Also überrasche ich Cati eines Tages mit einem neuen Plan: »Übermorgen gibts Baguette zum Frühstück.« Camaret-sur-Mer klingt irgendwie romantisch und sieht auf der Karte und den Bildern im Internet auch so aus. Und es ist nur 145 Seemeilen entfernt. Eigentlich wollten wir Frankreich auslassen, aber wenn es nicht anders geht, dann segeln wir halt erst mal dorthin.
Für die Überfahrt ist strammer Nordwind angesagt. 4 bis 5 Beaufort. Gegen 11 Uhr werfen wir die Leinen los, setzen noch im River Dart die Segel und rauschen aus der Flussmündung hinaus auf die offene See. Das Schiff rennt. 7 Knoten, 7,5 Knoten. Das Groß ist zweifach gerefft, die Genua steht voll. Ich fühle mich nicht wohl, denke übers Reffen nach. Aber dann denke ich: »Was soll passieren? Alles ist brandneu und überdimensioniert!« Ein vollkommen neues Gefühl für mich, so ein frisch überholtes Schiff zu segeln, bei dem man sich keine Gedanken um Materialversagen machen muss. Also lasse ich MAVERICK TOO laufen. Hinüber nach Frankreich.
Der Wind kommt von schräg achtern und MAVERICK TOO kommt immer wieder ins Surfen. Mir macht das Spaß, aber Cati eher weniger. Sie liegt in der Steuerbordkoje und es geht ihr ziemlich elendig. Ich verbringe den Großteil des Tages an Deck und friere in der kalten Oktoberluft. Irgendwann raffe ich mich auf und koche mir unter Deck eine Tasse Brühe, um mich aufzuwärmen, und spreche einen Kommentar für unser Videotagebuch: »Es ist doch wirklich unfassbar, wie anders das Leben hier auf See ist. Wir könnten jetzt warm und trocken in unserem Haus vorm Kamin sitzen und den dampfenden Atem der Kühe auf dem Deich beobachten. Stattdessen sitze ich hier und dampfe selber mit meinem Atem. Ich komme mir vor wie ein Obdachloser, versuche mich halbwegs trocken und warm zu halten und erfreue mich an meiner wärmenden Brühe. Eigentlich sollte ich mich fragen: Warum tun wir uns das eigentlich an?«
Nach einer harten Nacht sitze ich, als die Sonne aufgeht, mit einem heißen Kaffee in der Plicht und sehe die französische Küste am Horizont. Dann sind die ersten Fischer zu erkennen. Die Sonne wärmt mich, und es ist ein wunderbarer Morgen. Erst als wir in der Ansteuerung von Camaret-sur-Mer sind, kommen bei Cati langsam die Lebensgeister zurück. Sie schaut zumindest schon mal unter der Sprayhood hervor, wird aber noch fast 24 Stunden mit den Nachwehen der Seekrankheit zu kämpfen haben.
Ich mache mir zunehmend Sorgen, dass ihre Seekrankheit ein großes Problem werden könnte. Ich habe früher auch immer etwa eine Woche gebraucht, um mich an die Bewegungen zu gewöhnen. Aber das sollte bei Cati dann längst vorbei sein, und ich befürchte langsam, dass sie zu den Personen gehört, die ihre Seekrankheit nie ganz verlieren. Cati sorgt sich ebenfalls und fühlt sich zusätzlich mies, dass ich nun seit bereits 806 Seemeilen als Einhandsegler unterwegs sein muss.
»Du kannst ja zum Hafenmeister laufen und uns schon mal anmelden«, schlage ich vor, als wir längsseits am Steg liegen und die Leinen fest sind. »Wie jetzt, ich?«, fragt Cati. »Na klar. Du hast doch mal Französisch in der Schule gehabt. Wie lang, drei Jahre?« »Vier sogar«, antwortet sie. »Aber ich weiß NICHTS mehr.« 20 Minuten später ist Cati zurück und strahlt übers ganze Gesicht. »Na siehste, hast wohl doch noch was gewusst«, sage ich. »Ja. Ich konnte sie immerhin noch fragen, ob sie Englisch spricht. Und das tut sie«, lacht Cati.
Der Heizlüfter brummt, ich sitze am Kartentisch, und plötzlich meldet sich das Handy. Unser alter Freund Uli Schürg ist am Telefon, ein Bootshändler aus Bremen. »Hallo, Johannes! Ich habe eure letzten Blogeinträge verfolgt und mitgefiebert«, sagt er. »Und ich hab gelesen, dass Cati so schwer mit Seekrankheit zu kämpfen hat. Probiert doch mal Rodavan aus. Wir hatten auch ein paar Fälle von Seekrankheit bei uns in der Familie. Seitdem heißt es: ›Ohne Rodavan will ich nicht fahrn.‹«
Dieser Tipp wird Catis ganzes Leben an Bord für immer verändern. Sofort google ich danach und finde Rodavan S Grünwalder mit dem Wirkstoff Dimenhydrinat. Den kennen wir bereits aus den Superpep-Kaugummis, die Cati jedoch nicht so mochte, da sie schnell bitter schmecken und die Zunge lähmen. Außerdem mag sie kein Kaugummi kauen, wenn ihr Magen rebelliert. Doch Rodavan enthält die zweieinhalbfache Menge des Wirkstoffs und ist eine Tablette. »Die sind im Magen und bleiben dann