Schlepper«, ist unser Fazit. Doch woher nehmen? Google findet nichts. Einige per SMS kontaktierte Freunde wissen auch keinen Rat. Die Küstenwache? »Ich könnte das MRCC in Bremen anrufen«, schlage ich vor und erschrecke zugleich vor meiner Idee. Ich habe auf See noch nie Hilfe von außen in Anspruch nehmen müssen. Und ist das hier denn ein Notfall? Wir sind ein Segelschiff und könnten ja segeln. »Aber die nächsten drei Tage ist doch absolut kein Wind vorhergesagt«, wirft Cati ein. »Wie sollen wir da an Land kommen?« Guter Einwand. Außerdem treibt uns die Tide wieder raus. Jetzt haben wir gerade noch Handyempfang, später nur noch die EPIRB. Aber gleich ein Rettungsboot? Ein Schlepper würde doch reichen. Vielleicht können die Leute in Bremen auch Auskünfte erteilen und einen Schlepper vermitteln. Es gibt keine andere Wahl. Also wähle ich die Nummer, die ich sicherheitshalber im Handy gespeichert habe. Und ehe wir uns versehen, ist ein Rettungsboot verständigt. Schlepper gibt es hier laut Auskunft nicht.
»This is SALVAMAR SHAULA. Speaking spanish, eh?«, knarzt es aus dem UKW-Gerät. Der Empfang ist schlecht. Der Sender muss noch weit weg sein. »Buenos días«, antworte ich und ergänze gleich, »unfortunately not.« Der erste Kontakt mit den Spaniern – und es ist ein Rettungsboot. Ein mulmiges Gefühl im Magen. »We are coming«, rauscht es zurück. »One hour.«
Sie kommen. Cati und ich sitzen in der Kajüte und versuchen, uns festzuhalten. Cati in der Naviecke, ich über den Kartentisch gelehnt, während unser Schiff in den drei Meter hohen Wellen ruckartig von einer Seite auf die andere geworfen wird. Schapps fliegen auf, Dinge poltern durch die Gegend. Kein Wind, der das Schiff mit gesetztem Großsegel stabilisiert. Es herrscht absolute Flaute. Der Ozean ist genauso still wie wir, doch vom Atlantik rollt noch die alte, hohe Welle durch, die am Tag vorher vom starken Wind aufgebaut wurde. Keiner wagt, ein Wort zu sagen. »Es kann sein, dass die Reise hier schon zu Ende ist«, fange ich an und drücke aus, was uns beiden durch den Kopf geht. Cati nickt stumm, mit Tränen in den Augen. »Dann ist es halt so«, antwortet sie. »Es war die richtige Entscheidung.« Ich kann nur ein leichtes, gezwungenes Lächeln hervorbringen. Meine Augen sprechen eine deutliche Sprache. Ich bin niedergeschlagen.
30 Minuten später geht die Sonne auf. Das AIS läutet, Kollisionskurs. Die SALVAMAR SHAULA brettert mit 27 Knoten auf uns zu. Am Horizont ist sie wenige Minuten später zwischen den Wellenbergen zu erkennen. Und dann steht sie, die Schleppverbindung. Die Männer sind Profis, das merkt man. Vor allem der Skipper. Behutsam zieht er mit seinen 2.800 PS die 100 Meter lange Leine stramm. Ohne Rucken nimmt MAVERICK TOO Fahrt auf. Wir laufen gen Hafen.
Es wäre zu schön, wenn man uns nach La Coruña schleppen würde – doch das können wir nicht erwarten. Da die spanischen Seenotretter kaum Englisch sprechen, erfahren wir überhaupt nicht, wo es hingeht. Zweieinhalb Stunden lang werden wir mit 7 Knoten an der fantastischen Kulisse der spanischen Felsküste entlanggeschleppt. Felsen, denen wir ohne Maschine und Wind nicht zu nahe kommen möchten. Schließlich werden wir längsseits genommen, in den kleinen Fischerhafen Cariño gebracht und an der Berufs-schifffahrtspier festgemacht. Die Leiter hinauf ist vier Meter lang, und die Salinge schwingen immer wieder bedrohlich nah an die Kaimauer. Wir bringen unsere vier Fender aus, um MAVERICK TOO so gut wie möglich zu sichern. Aber bei dem Schwell durch die Fischerboote rutschen sie immer wieder weg.
Der Schlepperkapitän steht kurz darauf an der Pier und möchte mit mir den Papierkram erledigen. Die Versicherungsnummer braucht er. Ein wunder Punkt, denn ich weiß nicht, ob MAVERICK TOO hier noch versichert ist. Ich habe etwas von »nicht südlicher als La Rochelle« aus den Kaskovereinbarungen in Erinnerung. Die Kommunikation ist nicht einfach, denn der Kapitän versteht ja kein Englisch, ich kein Spanisch.
Was denn eigentlich kaputt sei, will er wissen. »Was heißt denn Wassersammler auf Spanisch?«, überlege ich und versuche, mit Händen und Füßen die Verbindung zwischen der Maschine und der Abgasanlage darzustellen. »Agua« ist klar. Mit einer Fließbewegung mache ich den Lauf des Kühlwassers durch die Maschine klar. »Fumar« verbindet sich mit dem »Agua«. Er scheint zu verstehen. »Un momento!«, winkt er und greift zum Handy. »Maquinista!« Fünf Minuten später stehen die beiden Mechaniker seines Rettungsbootes vor MAVERICK TOO und halten unseren geschmolzenen Wassersammler in den Händen, wenden ihn und schauen in das verkohlte Ende. Dann hat der eine Idee. »Fontanero!«, ruft er. Ich verstehe nicht. Er macht Schraubbewegungen, formt Rohre. »Ehh … you know Super Mario?«, fragt er. Der ist Klempner. Ein Klempner! Das ist die Idee! Handys werden gezückt. Während der Wartezeit unterhalten wir uns über den kleinen Fischerort, das Leben dort und unsere Reise. Keiner spricht die Sprache des anderen, aber mit viel Lachen, Händen und Füßen ist die Sprachbarriere verschwunden. Einige Zeit später rollt ein Lieferwagen heran, den Laderaum voll mit PVC-Rohren. Schnell haben wir ein Rohr gefunden, das die richtigen Maße hat. Mit einem Gasbrenner wird es weich gemacht und in den Wassersammler eingepasst. Das sollte funktionieren. Die Wasserrohre müssen schließlich auch kochendes Nudelwasser abkönnen.
»Was schulde ich euch?«, versuche ich mit dem internationalen Zeichen zweier sich reibender Finger zu fragen. »Testing«, kommt als Antwort, und kurz darauf probieren wir tatsächlich, wie viele Crewmitglieder des Rettungskreuzers in MAVERICK TOOS Maschinenraum passen. Es wird wieder gefummelt, heiß gemacht und angepasst. Sogar der Kapitän bleibt da, will zuschauen, ob die Lösung funktioniert. Schließlich ist unser Provisorium gebaut. »Nicht für ewig, nur zur Überführung«, erklärt man mir. Klar, ich will ja nur in die nächste Marina. Hier an der Pier müsste ich in der Nacht jede Stunde die Leinen verlängern, damit wir uns nicht aufhängen. »Fünf Meter Tidenhub«, hat mir die Crew erklärt. Die nächste Marina in der Zivilisation liegt 17 Seemeilen entfernt im Osten, in Viveiro. Das sollte doch zu schaffen sein.
Aber da wäre noch die Bezahlung der Rettungsaktion. »¿Cuánto cuesta?«, versuche ich, die Summe in Erfahrung zu bringen. »1.443 €!« Und die Versicherungsnummer braucht er immer noch. »Das zahle ich selber«, sage ich und schlucke. Der Kapitän ist verblüfft, nimmt mich mit in sein Büro und kontaktiert erst mal das Hauptquartier, denn er hat vergessen, wie das Kreditkartengerät funktioniert. Privatzahlung, das kam lange nicht mehr vor. Schließlich spuckt der Drucker die Quittung aus. »For insurance«, sagt der Kapitän. Na ja, mal sehen. Wir schütteln uns die Hände, man klopft mir auf die Schulter und sagt, ich solle gut aufpassen. Dann laufe ich zurück zur MAVERICK TOO. Schnell weiter, endlich zu einem richtigen Hafen, in dem wir sicher liegen. Endlich schlafen.
Kurz hinter der Hafeneinfahrt wird die Maschine jedoch wieder zu heiß. Wir kehren um, lassen uns treiben, bis die Maschine wieder abgekühlt ist, und laufen erneut in Cariño ein. Als wir in der Abenddämmerung an der hohen Kaimauer anlegen, kommt uns die Crew des Rettungsbootes samt Skipper schon entgegen, in Ausgehuniform. »¿Problema?«, fragen sie. Ich erkläre die Lage und dass wir noch eine Nacht bleiben müssen. Der Kapitän überlegt kurz, telefoniert und hat dann eine Lösung: »Geht doch an meinem Schiff längsseits. Wenn wir heute Nacht nicht rausmüssen, könnt ihr endlich mal durchschlafen und braucht keine Leinen zu verändern.« Was für ein unheimlich nettes Angebot! Wir verholen und fallen nach dem Abendessen sofort todmüde in die Koje.
Doch eine Sorge drückt noch: Morgen früh landet das Kamerateam vom ZDF und will mit uns drehen. Ich habe ihnen zwar schon geschrieben, dass wir hier bei den Seenotrettern längsseits liegen und es ziemlich blöd wäre, wenn sie hier auftauchten. »Kein Problem«, meinte der Regisseur. »Dann können wir die gleich interviewen. Der Kameramann kann hervorragend Spanisch!« Doch uns ist das unangenehm. Vor allem kommen wir dann nicht weiter mit dem Schiff und dem Motorproblem. Deshalb sage ich dem Filmteam, dass wir uns morgen um 11 Uhr in Viveiro treffen.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um 6:30 Uhr. Um 7 Uhr schalte ich das Handy ab und baue bei einer Tasse Kaffee den gesamten Kühlkreislauf der Maschine auseinander. Impellerpumpe, Wärmetauscher, alle Schläuche. Sogar das Seeventil. Alles in Ordnung. Eigentlich fiele bei einer Überhitzung ja sofort der Verdacht auf das Thermostat, aber da der Wassersammler im Seewasserkreislauf zu heiß geworden ist, muss es ja an der Seewasserzufuhr liegen. Oder war es eine Kettenreaktion? Inzwischen wird es hell. Ich versuche es, baue das Thermostat aus und werfe es in einen Topf mit kochendem Wasser. Bei 74 °C sollte es öffnen, das Wasser hat 100 °C. Keine Reaktion. Ich kann es kaum fassen. Das Thermostat ist tatsächlich kaputt. Das ist die Lösung!
Als ich die Maschine angemacht habe