Nancy Farmer

Nebelrache


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ich am Arbeitstische

      mal ein gutes Wort erwische.

      Er beäugt meist unverwandt

      die verheißungsvolle Wand;

      ich lieg ständig auf der Lauer

      vor der Wissenschaften Mauer.

      Wenn ein Mäuslein flitzt heran,

      o wie freut sich Pangur Ban!

      O wie erlöst fühl ich mich dann,

      wenn ein Problem ich lösen kann.

      So tun wir beide unsre Pflicht,

      mein Kater Pangur Ban und ich.

      Unser Tun macht uns Vergnügen,

      jeder findet sein Genügen.

      Durch viel Übung Tag und Nacht

      hat er’s zum Meister schon gebracht.

      Und auch ich ein Lob erringe,

      indem ich Licht ins Dunkel bringe.

      An den Rand eines Manuskripts geschrieben von einem unbekannten Mönch aus dem 8. Jahrhundert, der eigentlich die Bibel kopieren sollte.

      Ein Gewitter zieht auf

      Jack taten die Finger weh und seine Handflächen waren voller Blasen. Er erinnerte sich an Zeiten, als ihm die Arbeit viel leichter gefallen war. Da hatte er noch Schwielen an den Händen gehabt und die Sichel mühelos geschwungen. Aber das war jetzt anders. Er war schon seit drei Jahren von der Landarbeit befreit und hatte seitdem nur Gedichte gelernt und an einer Harfe herumgezupft – natürlich war sein Spiel nicht mit dem des Barden zu vergleichen. So gut würde er es niemals können. Doch jetzt floss ihm der Schweiß von der Stirn. Jack fuhr sich übers Gesicht und schaffte es, sich dabei Dreck in sein Auge zu reiben. „Diese Mistarbeit“, fluchte er und warf die Sichel hin.

      „Wenigstens hast du zwei Hände“, sagte Thorgil, die ein Stück weiter schuftete und schwitzte. Sie musste den Adlerfarn in der Ellbogenbeuge einklemmen und ihn dann mit dem Messer abschneiden. Ihre rechte Hand war steif und nutzlos, aber sie gab trotzdem nicht auf. Das beeindruckte Jack, aber es ärgerte ihn auch.

      „Warum kann das nicht jemand anders machen?“, beschwerte er sich und ließ sich ins Farnkraut fallen.

      „Selbst Thor verrichtet auf einer Mission manchmal niedere Arbeiten“, verkündete Thorgil und ließ einen weiteren Packen Farnwedel auf den stetig wachsenden Haufen fallen. Ohne Unterbrechung erntete sie weiter.

      „Das ist aber keine Mission! Es ist Thrall-Arbeit.“

      „Du musst es ja wissen“, stichelte die Schildmaid.

      Bei der Erinnerung an seine Zeit als Sklave im Nordland glühte Jacks Gesicht noch mehr. Aber er verschluckte die Erwiderung, dass auch Thorgil als Kind ein Thrall gewesen war. Schließlich neigte sie zu Wutausbrüchen, die alles verpesteten. Ein Pesthauch, dachte Jack bissig. Ein Pesthauch, der alles gelb werden lässt.

      Es war fast alles schiefgegangen, seit sie ins Dorf gekommen war. Es bedurfte der schlimmsten Drohungen des Barden, sie daran zu hindern, damit herauszuplatzen, dass sie ein Nordmann war; einer der mörderischen Piraten, die einst über die Heilige Insel herfielen. Aber die Dorfbewohner waren auch so schon misstrauisch genug. Thorgil weigerte sich, Frauenkleider zu tragen. Sie war schnell beleidigt. Sie hatte keine Manieren. Sie war immer mürrisch. Kurz gesagt, gab sie den perfekten Nordmann ab.

      Und doch, so musste Jack sich in Erinnerung rufen, hatte sie auch ihre guten Seiten – so weit man bei einer wie ihr überhaupt von guten Seiten reden konnte. Thorgil war mutig, treu und absolut vertrauenswürdig. Wenn sie doch nur auch ein bisschen anpassungsfähiger wäre!

      „Wenn du deinen Hintern da wegbewegtest, könnte ich den Farn ernten. Oder wolltest du ihn als Bett benutzen?“, fragte Thorgil gehässig.

      „Ach, halt doch den Mund!“ Jack schnappte nach seiner Sichel und verzog das Gesicht, als eine Blase an seiner Hand aufplatzte.

      Sie arbeiteten lange Zeit schweigend vor sich hin. Die Sonne schickte ihre heißen Strahlen in den stickigen Wald. Der Himmel – zumindest das, was sie davon sehen konnten – war blau und wolkenlos. Er lastete auf ihnen wie ein umgestülpter See: heiß, feucht und vollkommen unbewegt. Jack konnte sich kaum vorstellen, dass ein Gewitter aufziehen sollte, aber das hatte der Barde gesagt. Und niemand stellte den Barden infrage. Er hörte den Vögeln zu und beobachtete das Meer von dem einsamen Aussichtpunkt in der Nähe des alten Römerhauses, in dem er lebte.

      Ein Geräusch ließ Jack und Thorgil aufschauen. Die beiden Sklaven des Hufschmieds waren mit einem Ochsenkarren gekommen. Einen Moment später trampelten die beiden großen, schweigsamen Männer durchs Unterholz, um den geernteten Farn zusammenzuraffen. Sie brachten eine Ladung nach der anderen zum Wagen, ohne ein Wort und ohne jemals Augenkontakt aufzunehmen. Sie waren in Bebbas Town von ihrem Vater verkauft worden, weil sie nicht die Hellsten waren, und Jack fragte sich manchmal, was sie wohl dachten. Sie schienen nie miteinander oder mit jemand anderem zu sprechen.

      Sogar Tiere dachten etwas. Der Barde hatte Jack beigebracht, dass Tiere denen viel zu sagen hatten, die ihnen zuhörten. Was hatten Gog und Magog, wie die Sklaven hießen, wohl zu sagen? Bestimmt nichts Gutes, entschied Jack nach einem Blick in ihre verschlossenen Gesichter.

      Als der Ochsenkarren beladen war, machten sich Jack und Thorgil auf den Heimweg. Die meiste Zeit lebten sie im Haus des Barden, aber wegen des drohenden Gewitters waren sie auf die Farm von Jacks Eltern gezogen. Die hatte sich in den letzten drei Jahren deutlich vergrößert.

      Außer den Feldern, dem Farmhaus, der Scheune und dem Heulager gab es jetzt einen neuen Kuhstall, den Jacks Vater gebaut hatte. Darin standen drei stämmige schwarze Kühe, die von Pega versorgt wurden, dem Mädchen, das Jack aus der Sklaverei befreit hatte. Sie war auch für die Hühner, die neugeborenen Lämmer und den Esel zuständig. Aber die Pferde durfte sie nicht anfassen. Sie gehörten Thorgil und wurden von ihr eifersüchtig bewacht, vor allem gegenüber den Töchtern des Gerbers.

      Am Rand des Grundstücks, wo der Boden für den Ackerbau zu steinig war, stand eine aus Torf errichtete Hütte. Dort lebte die Witwe des Gerbers mit ihren beiden Töchtern auf so engem Raum zusammen wie Erbsen in einer Schote. Sie waren im letzten Jahr gekommen, um Jacks Mutter zu helfen, und seitdem geblieben.

      „Ich wünschte, dieses Gewitter würde endlich kommen!“, rief Thorgil und warf einen Stein nach einer Krähe. Die Krähe wich dem Geschoss mühelos aus. „Die Luft ist so drückend! Es ist, als müsste man Schlamm einatmen.“

      Jack schaute auf in den wolkenlosen blauen Himmel. Von der verdächtigen Stille abgesehen, hätte es ein normaler Frühsommertag sein können. „Der Barde hat mit einer Schwalbe aus dem Süden gesprochen. Sie hat gesagt, dass die Ströme der Luft durcheinandergeraten und alle Zugvögel verwirrt sind. Warum redest du eigentlich nicht mehr mit den Vögeln, Thorgil?“ Die Schildmaid besaß diese Fähigkeit, seit sie versehentlich etwas Drachenblut geschluckt hatte.

      „Die sagen mir ja doch nichts“, murrte sie.

      „Vielleicht solltest du nicht mit Steinen nach ihnen werfen …“

      „Vögel sind dumm wie Stroh“, verkündete Thorgil entschieden.

      Jack zuckte mit den Schultern. Es war typisch für sie, die Gaben zu ignorieren, die sie besaß, und stattdessen etwas zu wollen, was sie nie haben konnte, nämlich eine ruhmreiche Karriere als Kriegerin. Aber mit ihrer gelähmten Hand konnte sie das vergessen. Sie wollte außerdem eine großartige Geschichtenerzählerin sein, und Jack musste zugeben, dass sie nicht schlecht war. Ihre Stimme war zwar rau und sie hatte eine Vorliebe für blutige Sterbeszenen, aber spannend waren ihre Geschichten immer.

      An den langen Winterabenden saßen die Dorfbewohner oft um den Herd des Ältesten, lauschten den Geschichten und tranken warmen Apfelmost. Der Barde spielte Harfe, und wenn er müde wurde, wechselten sich Jack und Thorgil mit dem Erzählen ab. Bruder Aiden, der kleine Mönch von der Heiligen Insel, beteiligte sich mit