habe. Bei Gott, ich werde sie vermissen, diese armen, einfältigen Kreaturen.“
Ja, jetzt hast du niemanden mehr, den du für ein paar Brotrinden schuften lassen kannst, dachte Jack boshaft.
Der Barde spielte auf seiner Harfe. Die Frau des Schmieds wippte im Takt der Musik mit dem Fuß, und ihr jüngster Sohn Colin fing sogar an zu tanzen.
Aber wenn Gog und Magog nicht hierhergekommen wären, überlegte Jack, wer weiß, was sie dann für ein Schicksal gehabt hätten? Vielleicht als Sklaven in einer Bleimine schuften? So hatten sie wenigstens ein paar kleine Freuden gehabt, mit den Kühen gemuht und Blitz und Donner angebetet. Was war denn eigentlich Glück? Er dachte an Thorgil, deren Hoffnung es gewesen war, in der Schlacht zu fallen, und an seinen Vater, Giles Krummbein, der sich an Enttäuschungen erfreute; und an Pater Severus, der eiskalte Bäder nahm und mit Freuden fastete. Die Elfen gingen immer nur ihrem Vergnügen nach – was ihnen nicht viel brachte, weil sie am Ende doch dazu verdammt waren, einfach zu verblassen.
Glück besteht aus unendlich vielen Einzelteilen, erkannte Jack schließlich.
Der Barde stieß ihn an, und sie machten sich wieder auf den Weg. Nebelschwaden stiegen von den unzähligen kleinen Rinnsalen auf, die das Gewitter hinterlassen hatte, und auf einem verwüsteten Feld stand eine in der Mitte geknickte Vogelscheuche. „Die hat gar nichts beschützt“, bemerkte Jack, als sie durch den aufgeweichten Boden daran vorbeistapften.
„Es braucht mehr als ein bisschen Stroh, um Odins Krähen zu vertreiben“, sagte der Barde.
Sie setzten ihren Weg fort und betrachteten die ruinierten Weizen- und Haferfelder. Die Dorfbewohner hatten berichtet, dass die Hälfte der Schafe fehlte, doch die meisten davon würden wohl wieder auftauchen. Hühner und Rinder waren rechtzeitig in die Ställe gebracht worden, und auch Thorgils Pferde hatten überlebt. Die Tanner-Mädchen hatten sie in ihre Hütte gezerrt, als sie die schwarzen Wolken heranstürmen sahen.
Das war eine beachtliche Leistung, wenn man bedachte, dass drinnen kaum genug Platz für die drei Menschen war. Die Mädchen hatten die Pferde gezwungen, sich hinzulegen, und sich dann auf sie gelegt, mit ihrer Mutter zwischen sich. Weder Mensch noch Tier hatten sich rühren können, aber sie alle hatten überlebt.
„Das bedeutet, dass wir uns jetzt das Recht verdient haben, sie zu reiten“, verkündete Ymma, das ältere der beiden Tanner-Mädchen, als Jack und der Barde bei ihnen ankamen, um nachzusehen, wie es ihnen ging.
„Besprich das mit Thorgil“, sagte der Barde.
„Pah! Sie bildet sich ein, dass ihr alles gehört. Wer ist denn ihr Vater, frage ich Euch?“, fuhr das Mädchen den Barden grob an. „Und wo ist ihre Familie?“
„Alle sagen, dass sie sich benimmt wie ein Nordmann“, fügte ihre jüngere Schwester Ythla hinzu.
Der Barde fuhr so schnell zu ihnen herum, dass die Mädchen zurückzuckten und ihre Mutter sie hastig an den Armen packte.
„Was fällt euch ein, so mit dem Barden zu sprechen?“, fuhr sie ihre Töchter an. „Auf die Knie mit euch – bittet um Verzeihung. Ehrlich, Herr, ich weiß nicht, was mit den beiden los ist, seit ihr Vater gestorben ist.“ Sie stieß die Kinder auf den Boden, und die beiden entschuldigten sich lautstark.
Jack war nicht überrascht. Ein Blick in das Gesicht des alten Mannes reichte, um zu erkennen, warum er Drachenzunge genannt wurde und warum sogar Nordmann-Könige Angst vor ihm hatten. Jack wusste aber auch, dass die Mädchen eigentlich nur ausgesprochen hatten, was alle anderen flüsterten.
Sie fanden Mutter bei ihren Bienenkörben. Nur zwei Völker hatten überlebt. Die übrigen waren an Kälte und Nässe gestorben; etliche krochen über den Boden oder zappelten schwach im Schlamm herum. Mutter hatte in der Nähe ein Feuer entzündet – nicht zu nah, weil auch Rauch den Tieren schadete – und hatte mit Honig bestrichene Brotstücke ausgelegt. Die Insekten drängten sich gierig um das Futter.
„Es sind die Letzten einer königlichen Zucht“, sagte Mutter traurig, „die die Römer mitgebracht haben. Die Frauen meiner Familie hüten sie schon seit urdenklichen Zeiten. Keine angelsächsische Biene ist so stark und fleißig, aber es grenzt an ein Wunder, wenn sie den Winter überleben.“
Der Barde spielte Harfe und Mutter sang dazu und setzte die kleine Magie ein, mit der sie nervöse Tiere beruhigte. Ihre Stimme klang so ähnlich wie das Summen zufriedener Bienen. Sie erzählte von sonnigen Tagen, die kommen würden, von neuen Blüten und warmer Luft.
„Wie steht es um deinen Vorrat an Kerzen?“, fragte der Barde sie, als er die Harfe wieder an Jack abgegeben hatte.
„Ich weiß, woran Ihr denkt“, antwortete sie. „Die Ernte ist vernichtet, und wenn wir den Winter überleben wollen, müssen wir Getreide eintauschen. Was immer ich habe, gehört Euch.“
„Auf dich kann ich immer zählen, Alditha“, sagte der Barde freudig und nahm ihre Hände in seine.
Jack und der Barde machten sich auf den Weg zum Haselwald, der im Schatten des Eichenwaldes lag. Hier war der Boden zwar überall mit abgebrochenen Ästen übersät, aber ansonsten war das Waldstück verschont geblieben. Zwischen den Bäumen und knorrigen Wurzeln führten gewundene kleine Pfade hindurch, die mit Glockenblumen bewachsen waren. Im Haselwald konnte man alles Mögliche sehen – langohrige Hasen, Dachse, einen Wolf, der durchs Zwielicht huschte, und manchmal sogar einen Bären. Es war ein geheimnisvoller Ort, den man nach Einbruch der Dunkelheit nicht ohne guten Grund aufsuchte. Aber jetzt funkelten die Blätter schon fast unheimlich hell und die Luft war frisch und angenehm.
„Hier sieht es aus, als hätte es das Gewitter nie gegeben“, stellte Jack verblüfft fest.
„Haselwälder sind geschützt“, sagte der Barde. „An der Bardenschule – wo ich übrigens ein hervorragender Schüler war – musste jeder Neuankömmling eine Nacht in einem Haselwald verbringen. Am Morgen haben ihn die Lehrer dann gefragt, was er gesehen hat. Du kannst dir nicht vorstellen, wie manche der Jungen sich in dem Versuch, das zu sagen, was die alten Barden hören wollten, förmlich verknotet haben. Aber wer log, wurde fortgeschickt und durfte nie wiederkommen.“
„Nur dafür?“, murmelte Jack und musste daran denken, wie oft er schon gelogen hatte, um den Prügeln seines Vaters zu entgehen.
„Der Erdmagie zu dienen ist eine ernste Sache“, verkündete der Barde.
„Was habt Ihr gesehen, Herr?“, fragte Jack mutig, denn der Barde beantwortete gewöhnlich keine Fragen über sich selbst.
Der alte Mann schob mit seinem Stab einen abgebrochenen Ast zur Seite. „Gerade jetzt sehe ich Steinpilze.“ Am Fuß eines Baums wuchs eine ganze Gruppe der Pilze mit den braunen Kappen. „Wir haben Glück, Junge. Die geben ein leckeres Abendessen ab.“
Jack hockte sich hin, um die Pilze zu ernten, und ihr erdiger Duft ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.
„Haselwälder sind voller Erdmagie“, fuhr der Barde fort und schob weitere Äste aus dem Weg. „Sie liegen dicht an den Grenzen zwischen den neun Welten, und unter ihrem Laub verbirgt sich so mancher geheime Weg. Ein wahrer Barde weiß, wie man einen solchen findet.“
Jack verspürte einen Anflug von Angst, versuchte ihn aber schnell zu unterdrücken. Seine Erfahrungen mit anderen Welten waren überwiegend unerfreulich gewesen. Es hatte allerdings auch Momente gegeben – zum Beispiel, als er und Thorgil das Tal von Yggdrasil gefunden hatten –, die so glorreich gewesen waren, dass ihm bei der Erinnerung daran auch jetzt noch die Tränen kamen. Und dann kam ihm ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn der Barde ihn gerade jetzt auf die Probe stellte? Vielleicht würde sich jetzt erweisen, ob er das Zeug zu einem wahren Barden hatte oder ob er lieber zu seinen Rüben und den Schafen zurückkehren sollte.
Jack sah sich um, in der Hoffnung, dass sich die Blätter auflösen und ihm einen geheimen Pfad zeigen würden. Aber es tat sich nichts. Es war ein ganz normales Wäldchen voller Moos und Flechten. Die Bäume am Rand der Felder waren knapp über dem Boden abgesägt worden, damit gerade Äste nachwuchsen, die als Zaunpfähle taugten. Ein Eichhörnchen