Der Junge war im Sand ein Stück gerutscht und hatte keine einzige Schramme abbekommen. Nur sein Segelschiff lag irgendwo auf der Straße – zertrümmert, von den Hufen in Stücke getreten.
Eine andere Staubwolke – jene, die hinter den beiden Wagen aufgewallt war – wälzte sich über die Straße. Sie verdeckte der bis an den Haltebalken vor dem Store getaumelten Judy Weiser die Sicht auf das Grauen, was sich, sobald sich der Staub verzogen hatte, ihren Blicken bieten mußte: der leblose, überfahrene Körper ihres Sohnes.
Judy Weisers Knie gaben nach. Sie versuchte am Balken einen Halt zu finden, doch sie sank auf die Knie und blickte leichenblaß und einer Ohnmacht nahe in den undurchdringlichen Staub.
In diesem Augenblick ertönte das furchtbare Krachen und grelle Wiehern. Holz brach, ein Mann schrie gellend.
Archie Slater blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und wußte, daß es noch eine Katastrophe gegeben hatte.
*
Howie McGruder bekam das Pferd in die Gewalt. Das höhnische Triumphgeschrei Lukes trieb Howie zwar die Galle ins Blut, doch dann sah der jüngste McGruder entsetzt, daß dieser Triumph nur anderthalb Sekunden gedauert hatte.
Luke Harris hatte das Zurücknehmen des Schwarzen ausgenutzt. Er brachte seinen Buckboard jetzt schräg vor Howies Wagen. Harris schnitt Howie, der nun halten mußte, wollte er nicht in den Corralzaun von Dempsey rasen, den Weg ab.
Und dann passierte es.
Vielleicht war das zu harte Zügelreißen, das das Riesenpferd wild werden ließ, vielleicht war es die Peitsche – niemand konnte es jemals sagen. Luke Harris’ Pferd brach jäh nach links aus und steilte, so daß der Wagen herumgeschleudert wurde. Das rechte Hinterrad raste in die Corrallatten hinein. Luke Harris wurde in den Sitz gepreßt. Kaum aber saß er, als sich irgendeine gebrochene Corrallatte in die Speichen des Hinterrades schob. Das Rad machte noch eine halbe Umdrehung, dann krachte die armdicke Latte unter das Flachbrett. In der nächsten Sekunde zersplitterten die Speichen. Das Rad zerbrach, der Wagen krachte auf die linke Achse, die sich tief in den Boden grub.
Eine ungeheure Gewalt riß den Buckboard im Bruchteil eines Augenblicks nach links herum. Der Wagen stellte sich hoch, die Deichseln brachen wie Streichhölzer und schleuderten das Pferd zur Seite.
Der Riesengaul des alten Abe Harris schoß durch den Corralraun auf die hüfthohe Dempseys zu. Das noch heile Untergestell des Buckboard flog links am Pferd vorbei und krachte gegen die Mauer.
Durch die Luft wirbelte ein Körper – Luke Harris.
Ein höllischer Schmerz fuhr Harris von den Beinen aus durch den Rücken bis ins Gehirn. Seine Beine brachen beim Anprall auf die Oberkante der Wasserspeichermauer. Danach überschlug sich Luke und landete im Wasser. Sein Pferd war mit dem Hals gegen die Mauer des Speichers gekracht. Es war tot, ehe es still am Boden lag. Dann schoß ein Wasserstrahl aus einem handbreiten Spalt in der Mauer. Der Riß begann an der Mauerkrone und lief bis zum Boden durch.
Luke Harris verdankte es diesem Riß, aus dem das Wasser in breitem Strahl hinausschoß, daß er nicht wie eine Ratte ersoff. Er blieb mitten in dem sich leerenden Wasserspeicher leigen, während hinter ihm die Hölle tobte.
Dort raste McGruders Schwarzer über einige Wagentrümmer von Harris hinweg. Die Vorderräder von Howies Buckboard sausten über den umgekippten Corraleckpfosten. Der Wagen stellte sich quer, kippte zur Seite und schleuderte Howie im hohen Bogen gegen die Kruppe des Schwarzen. Das Tier galoppierte weiter, während Howie ziemlich weich landete und im Sand liegenblieb, mit dem abgebrochenen Drehschemel hinter sich.
Es dauerte einige Sekunden, ehe Howie McGruder so weit bei Verstand war, daß er sich aufstellen konnte. Zu seinem Glück war der Buckboard nicht mehr allzu schnell gewesen. Howie war nicht viel passiert, er hatte sich nur die Hose aufgerisssen und eine Beule am Dickschädel.
»Verflucht noch mal, wo bin ich?« fragte Howie und wackelte heftig mit seinem Kopf. »Wo ist denn mein…«
Und dann sah er seinen Wagen. Besser: die Trümmer dessen, was einmal ein extra für das Rennen angefertigter Buckboard gewesen war. Howie McGruder starrte ungläubig auf zerbrochene Räder und den zerfetzten Sitz. Dann wanderte sein Blick langsam durch den Corral und erfaßte das, was von Harris Buckboard übriggeblieben war. Schließlich starrte Howie auf den toten Riesengaul, der Old Abe Harris sicherlich vierhundert harte Dollar gekostet hatte.
Im nächsten Augenblick hörte Howie McGruder den dumpfen Hufschlag. Zuerst tauchte Jim Lawson auf, danach erschien Selwyn Harris, und den Schluß machte Cannonball Jackson, während eine Menge Leute ihnen nachrannte. Aus der Hintertür des Mietstalles kam Fred Dempsey kreidebleich in den Corral gestürmt. Dempsey stierte auf die riesige Wasserlache, blickte in seinen beinahe leeren Wasserspeicher und sah den wimmernden Luke Harris dort liegen.
Selwyn war abgestiegen, auch Cannonball Jackson stand neben seinem Pferd. Selwyn Harris dachte an das, was ihnen bevorstand, wenn der alte Abe von ihrer Wahnsinnsidee eines Rennens in der Stadt erfuhr, die ihn einen runden Tausender kosten mußte.
»Meine Beine, meine Beine!« wimmerte Luke. »O Gott, ich sterbe, mein Rückgrat ist gebrochen!«
Dennoch zog er sich am Rand des Speichers hoch. Sein Blick fiel auf das tote Pferd, und er ließ sich mit einem entsetzten Laut wieder fallen.
»Der Alte schlägt uns tot!« wehklagte Selwyn. In Gedanken stellte er sich den Geizkragen von Vater vor, der zähneknirschend, und nur, weil er Lionel McGruder eins auswischen wollte, zum Kauf des neuen Wagens und des Riesengauls bereit gewesen war. »Mein Gott, wie konnte das passieren? Luke, wie hast du das fertig gebracht, du Narr?«
»Narr – ich?« heulte Luke vor Wut, Schmerz und Furcht. Er zog sich wieder an der Mauer hoch und sah Archie herankommen. »Der da war es! Der versoffene Kerl ist schuld. Er ist den Pferden in den Weg gesprungen und hat sie verrückt gemacht. Oh, ich sterbe, meine Beine, und der Kerl ist schuld!«
Voller Wut fuhr Selwyn herum, sah dem mit langen Schritten herankommenden Archie Slater entgegen und legte die Hand an den Revolver.
»Du verfluchter Säufer!« brüllte Selwyn. »Dafür knalle ich dich ab wie einen räudigen Hund! Was du angerichtet hast, wirst du mit deinem verpfuschten Leben bezahlen!«
»Laß stecken!« sagte Lawson eiskalt. Der Zureiter war im Sattel geblieben und hatte schon bei Lukes Geheul das Gewehr gezogen. Jetzt zeigte die Mündung auf Selwyns Rücken. »Selwyn, wenn hier jemand schuld ist, dann dein verrückter und gemeiner Bruder. Ich habe gesehen, wie er versucht hat, Howie abzudrängen und auf den Schwarzen eingeschlagen hat, der gemeine Halunke. Luke, du Strolch, du hättest Archie und den kleinen Joey um ein Haar auf dem Gewissen. Pfui Teufel, du bist nichts wert, aber auch gar nichts!«
»Das ist wahr«, meldete sich Howie. »Ich konnte nicht mehr halten, Luke hat mich absichtlich behindert. Archie trifft nicht die geringste Schuld.«
»Du lügst!« giftete Luke. »Archie, der Hundesohn, hat die Pferde verrückt gemacht, darum ist es passiert.«
»Du Lump!« keuchte Archie. »Ich habe gesehen, was du gewissenloser Kerl getan hast. Um das verdammte Rennen zu gewinnen, hast du versucht, Howie gegen den Gehsteig abzudrängen und Little Joey zu überfahren.«
Luke Harris starrte ihn voller Haß an. Dann glitt sein Blick zu Jackson.
»Cannonball, schlag ihn in Stücke!« schrie er schrill.
Cannonball sah sich nach Lawson um, ehe er sich in Bewegung setzte.
»Lawson, wenn du abdrückst, wirst du hängen«, sagte Cannonball. »Ich werde diesem Säufer und Verleumder die Zähne einschlagen, und niemand wird mich daran hindern!«
»Vielleicht doch«, erwiderte Jim Lawson grimmig. »Mit deinen Fäusten kannst du Archie in Stücke schlagen, aber was ist, wenn er
einen Revolver hat? Archie, paß auf!«
Lawson hatte sein Gewehr nur noch mit einer Hand gehalten, mit der Linken den Waffengurt geöffnet und warf ihn jetzt Archie zu. Der fing ihn auf.