will sehen, wie deine Hand zittert.«
Es war totenstill geworden. Niemand hier zweifelte daran, daß er den Gurt fallen lassen würde. Ganz Sulphur Springs hatte es erlebt, daß er damals, als eine Horde Banditen aufgetaucht war, die Stadt verlassen hatte. Slater war vorher bereit gewesen, Big John Warren zu helfen, aber dann hatte er das große Zittern bekommen und war davongelaufen.
Archie Slater starrte auf den Gurt hinab, dann hob er langsam den Kopf und sah Cannonball Jackson an.
»Du willst es sehen?« fragte er leise. »Nun gut, Mister, du wirst es sehen.«
Er legte den Gurt um und schloß die Schnalle. Seine Rechte lüftete den Colt kurz an, doch er zog ihn nicht aus dem Halfter.
»Cannonball«, sagte Selwyn Harris, »überlasse ihn mir, das ist meine Sache! Der Lügenbeutel beschuldigt und beleidigt Luke. Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er nie mehr betrunken in der Gosse liegen.«
»Und wenn ich mit euch fertig bin, sitzt ihr im Jaii und wartet auf Big John Warren«, antwortete Archie Slater. »Mir reicht es mit euch verdammten, gewissenlosen Burschen. Ich werde euch alle ins Jail bringen. Irgendwer muß es tun.«
»Archie, um Gottes willen!« meldete sich Judy Weiser in diesem Augenblick. Sie hatte sich durch die Menge gedrängt und hielt Little Joey fest. »Archie, Sie haben keine Chance, keine Schießerei, Archie! Das überleben Sie nicht.«
»Halten Sie sich heraus, Madam«, erwiderte Archie finster. Seine Stimme klang hart und kalt. »Lawson, wer hat das Rennen vorgeschlagen? Antworte, Mister!«
Lawson blickte Archie sprachlos an. Dann sagte er: »Luke wollte es so haben, aber Cannonball forderte es heraus. Er sagte, Howie wäre zu feige, ein Rennen gegen Luke zu machen. Archie, ich habe sie gewarnt, aber niemand wollte auf mich hören.«
»Was fällt dir ein, Jim?« knurrte Howie finster. »Archie, hast du zuviel in die Flasche gesehen, Mann? Du glaubst doch nicht, daß du mich auch ins Jail bringst?«
»Du fliegst auch hinein, das ist ein Versprechen!« sagte Archie eisig. »Einmal mußte es soweit mit dir kommen.«
»Der Kerl ist verrückt!« knirschte Selwyn Harris. »Howie, er bildet sich ein, daß er hier den Deputy spielen kann. Mensch, Archie, ehe du mich ins Jail bekommst, pumpe ich dich voll Blei! Das ist mein Versprechen, du elender Säufer.«
»Bilde dir ruhig etwas darauf ein, daß du ein Harris bist. Für mich bist du ein Großmaul – genau wie Howie«, gab Archie Slater knapp zurück. »Big John würde euch einlochen, wenn er hier wäre. Und es würde ihn der Teufel kümmern, ob er einen Harris oder McGruder in den Käfig sperrt. Jedesmal, wenn er nicht hier ist, laßt ihr die Hölle in der Stadt los – und alle haben Angst, etwas gegen euch Burschen zu tun, weil es dann Ärger mit euren Vätern geben könnte. – Los, Selwyn, den Gurt aufmachen!«
»Du bist nicht bei Verstand!« fauchte Selwyn Harris. »Dir werde ich die heilige Furcht einblasen, du Strolch. Wer bin ich – und was bist du, he? Ich zähle bis drei. Bist du dann nicht weg, jage ich dir eine Kugel in dein verrücktes Gehirn. Eins – zwei…«
Selwyn Harris sah die Leute auseinanderrennen und grinste spöttisch. Auch der vom Säuferwahnsinn befallene Narr Archie würde gleich die Beine in die Hand nehmen und davonlaufen, dessen war Selwyn sicher.
»Zweieinhalb…«
Slater sah ihn aus schmalen Augen an und hielt die Hand locker neben dem Revolver. Und die Hand zitterte nicht.
»Drei!«
Und dann riß Selwyn den Colt heraus. Er konnte sein Gesicht nicht verlieren. Ein Harris durfte nicht nur drohen, er mußte seine Drohung auch wahrmachen.
*
Sie sahen alle, wie Selwyn Harris zuerst zum Revolver griff, und sie dachten, daß der Trunkenbold Archie Slater nun sterben würde.
In der gleichen Sekunde wischte die Rechte des Trunkenboldes Archie Slater einmal über die Hüfte. Die Hand führte nur eine Bewegung aus, die spielerisch leicht aussah und mit dem blitzartigen Einknicken Archies zusammenfiel.
Es war seltsam, daß der Trinker Archie Slater in diesem Moment keinerlei Angst mehr hatte, gar nichts empfand, nur tiefen Grimm. Archie zog und zielte kurz. So hatte er früher einmal geschossen – schnell, eiskalt und entschlossen, kein Pardon zu geben. Wenn schon schießen, dann schneller als der andere.
Es war wie früher. Und doch war es anders, denn Archie sah nur die Hand, Selwyns Colt. Er sah diesmal nicht auf die Brust oder den Kopf. Archies Zeigefinger deutete auf Selwyns Revolver, der Mittelfinger zog den Abzug durch.
Die es sahen, glaubten es nicht. Sie hörten das Krachen. Einige dachten sogar, daß es nicht Archie gewesen war, der zuerst geschossen hatte, aber er feuerte zuerst. Die Kugel traf Selwyns Revolver, ehe der die Waffe in der Waagerechten hatte. Ihr Anprall riß den Colt auf Selwyns Fingern. Der Hammer schnellte nach vorn, der Schuß peitschte in den ersten Archies hinein. Dann flog die Waffe im Bogen nach rechts und schlug im Straßendreck auf.
Selwyns rechter Arm war herumgerissen worden. Vom Handballen tropfte Blut in den Staub, Schmerz schoß durch die Hand bis in Selwyns Schulter. Entsetzt starrte Selwyn Harris auf die blutige Hand. Da sah er, daß der Daumen ganz nach hinten stand, als hätte ihn jemand mit aller Gewalt zurückgebogen. Harris hörte das Keuchen und hob den Blick. Cannonball Jackson riß die Waffe heraus. Er zog…
Und der Säufer stand still, nur die Hand fuhr kurz herum, der Blick heftete sich auf Cannonballs rechten Oberarm, der Zeigefinger deutete jetzt auf ihn.
Rumms!
Diesmal irrte die Kugel nicht ab. Sie bohrte sich durch Jacksons rechten Oberarm und riß den schweren Mann herum. Sein gellender Aufschrei hallte über die Straße. Dann fiel Cannonball Jackson der Colt aus der zitternden Hand. Cannonball taumelte, seine Linke hob sich, umklammerte den heftig blutenden Oberarm.
»Noch jemand?« fragte der Säufer Archie eisig. »Du vielleicht, Howie?«
Er blickte in Howies aschgraues Gesicht und an ihm vorbei zu Doc Maydland.
Der stand mit seiner Tasche am Rande des Gesteigs und schüttelte nur den Kopf. In diesem Moment war ihm klar, daß es keinen Säufer Archie mehr geben würde, sondern nur noch einen Archibald William Slater, vor dem früher andere weggerannt waren.
»Doc, da ist Arbeit für Sie«, sagte der Mann Archie Slater kühl und gelassen. »Fangen Sie an, mein Freund!«
Der Mann Archie Slater setzte sich in Bewegung. Er ging auf Howie McGruder zu und nahm ihm den Revolver ab. Und Howie, das Großmaul, ließ es geschehen – er, ein McGruder, der noch vor wenigen Minuten auf Archie, den Säufer, gespuckt hätte.
»Ab mit dir – vorwärts, Howie, neben Selwyn!«
Das klang so entschieden, daß Howie den Kopf einzog und lostrottete. Archie blickte hinter ihm her – und dann sah er den Mann.
Er hielt zwischen Store und Sattlerei in der schmalen Einfahrt und hatte die Arme auf der Brust verschränkt. Big John Warren schien müde zu sein, denn er blinzelte schläftig. Wie lange er dort schon stand und doch keinen Finger gerührt hatte, wußte Archie nicht. Und doch war er sicher, daß Big John Warren kaltblütig zugesehen hatte.
»Bring sie nur in den Käfig, Archie«, sagte Big John träge. Die Köpfe der Leute flogen herum. »Gute Abeit, Archie!«
Es hatte nie zuvor in Archies Leben etwas gegeben, worüber er sich mehr gefreut hatte. Gute Arbeit, Archie – und das aus Big John Warrens Mund. Es war das höchste Lob, das Archibald William Slater jemals erhalten hatte.
Der Sheriff von Sulphur Springs ritt an. Das sah so aus, als wäre nichts geschehen. Doch er sagte sich, daß dies Archies Stunde war.
*
Big John blieb sitzen und sah sie kommen. Das Gewehr lag über seinen Knien und er blickte den drei Männern, die nun von Norden die Mainstreet heraufritten, einen Moment entgegen. Dann nahm Big John Warren träge den Kopf herum und sah die nächsten