kaum den Kopf, und dennoch war Big John sicher, daß der Mann Archie beobachtete und alles sah, was sich auf der Mainstreet tat. Der Fremde blieb wie dösend sitzen, als John die Straße überquerte. Die Hände des Mannes lagen gefaltet auf dessen Gurtverschluß, und er verharrte stur in dieser Haltung, als der Sheriff neben ihm stehengeblieben war.
»Hallo, mein Freund«, sagte John träge. Sein Gewehr zeigte mit der Mündung zur Erde. »Auf der Durchreise, Mister…«
»Hallo, Sheriff«, antwortete der Mann freundlich. »Ja, auf der Durchreise. So könnte man es nennen.«
Hinter der Freundlichkeit verbarg sich Kälte, das spürte John fast körperlich.
»Einen Namen haben Sie auch, oder?« erkundigte sich John gemütlich. »Ich weiß immer ganz gern, wer sich in dieser Stadt aufhält. Also?«
»Campbell«, murmelte der hagere Mann. Er hob den Kopf und lächelte, seine Augen jedoch blieben kalt, und das Lächeln wirkte wie einstudiert und gefroren. »Lacy Campbell, Sheriff. Ich sitze nur so herum und werde irgendwann wieder fortreiten. Genügt das, mein Freund?«
»Wenn Sie fortreiten und keine Arbeit für den Totengräber hinterlassen, ist es in Ordnung«, antwortete John etwas schärfer. »Campbell – Lacy Campbell? Waren Sie mal in New Mexico?«
»Ja«, lautete die gleichmütige Antwort. »Dort war ich auch schon, Sheriff.«
»Ich erinnere mich, von Ihnen gehört zu haben«, sagte Warren. »Wenn ich mich nicht irre, stammen Sie aus Laredo/Texas Sie haben für einige Minenbosse in Colorado gearbeitet, dann sind Sie für dieselben Leute in New Mexico geritten. Campbell, wenn Sie in dieser Stadt jemanden töten, so könnte es das letzte sein, was Sie in Ihrem Leben tun. Haben wir uns verstanden?«
»Ich bin nicht taub«, gab Lacy Campbell zurück. Sein schmallippiger Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. »Außerdem bin ich der friedlichste Mensch der Welt, Sheriff.«
»Genauso sehen Sie aus, Mister. Und Ihren Fünfundvierziger da tragen Sie zum Spaß, wie?« entgegnete Warren verächtlich. »Campbell, falls dieser Narr Abe Harris Sie angeworben haben sollte, bleiben Sie friedlich und bestellen Sie ihm, daß er sein Geld verschwendet hat!«
Big John machte auf dem Absatz kehrt, denn Campbell lächelte nur und zuckte die Achseln. Die ganze Art dieses Mannes veriet John, daß dieser Kerl nichts von einem Ordenträger hielt. Der hatte vor keinem Respekt.
Das Unbehagen Warrens hatte sich zum leichten Zorn gesteigert, als er ins Hotel kam und sich zu Archie an den Tisch setzte.
»Er heißt Campbell«, klärte er Slater auf, ehe der neugierig fragen konnte. »Lacy Campbell. Hast du von ihm gehört?«
»Nein, John. Wer ist der Bursche?«
»Jemand, der fast in jeder Stadt, in der er war, einen Toten oder Zusammengeschossenen zurückgelassen hat«, antwortete Big John grimmig. »Er vermietet gewöhnlich seinen Revolver. Die Campbells haben mit dem Brassada-Krieg in Texas zu tun gehabt – eine verdammt schießwütige Sippe aus Brüdern, Vettern und Anverwandten. Die Hälfte der Campbells starb im Brassada-Privatkrieg, er blieb mit zwei oder drei Brüdern und Vettern übrig. Der Kerl ist mir auf den Magen geschlagen, Archie, ich mag die Sorte nicht.«
Nora McClure war hereingekommen, stellte die Teller hin und sah Warren besorgt an.
»John, glaubst du, er ist von jemandem geholt worden?«
»Ja«, sagte Big John, »ein Mann wie Campbell kommt nicht zufällig in eine so kleine Stadt. Mach dir keine Sorgen, Nora, ich werde mit ihm fertig.«
»Ich bin auch noch da«, sagte Archie. »Mir kann der Bursche nicht den Appetit verderben. Ob Harris ihn…«
»Kann sein«, unterbrach Big John. »Sieh dich vor, Archie! Der Bursche könnte dir den Hunger für alle Zeit nehmen. Blei liegt einem manchmal so schwer im Magen, daß man daran stirbt. Nichts ohne mich tun, verstanden?«
John Warren stand noch einmal auf und blickte aus dem Fenster. Die Sonne schien auf Campbells lange, dürre Beine. Der Mann lag friedlich dösend in seinem zurückgekippten Stuhl. John ahnte, daß der Bursche dennoch Ärger machen würde. Campbell wartete auf irgendwen.
*
Don Walsh sah nicht mehr zur Hickorybohle, aus der Winters das Untergestell des Wagens machen wollte. Der Rovolvermann sah den Schatten, den Mann an der Schuppenecke stehen und die offene Jacke.
»Walsh?« fragte der Fremde mit dem Fünfundvierziger im schwarzen Halfter. »Du bist Walsh – Don Walsh?«
Winters ließ die schwere Holzbohle langsam sinken. Howie McGruder drehte sich ruckartig um. Irgend etwas an der Haltung von Walsh erinnerte Howie plötzlich an ein Raubtier, das einem anderen gegenübersteht und ihm die Zähne zeigt. Howie McGruders Blick wanderte herum, bis er den Fremden voll erfaßte. Mein Gott, dachte Howie, ein Killer!
Wenn Walsh ein Eisblock war, dann war der Mann an der Schuppenecke von Winters ein Gletscher, dessen Kälteausstrahlung Howie zu spüren glaubte.
»Ja«, sagte Walsh, und er war nicht mehr der Mann, der noch vor wenigen Minuten mit Howie über den Buckboard und Rennpferde gesprochen hatte. Irgendwie hatte sich Don Walsh verändert. »Und, Mister, was willst du?«
»Ich soll dich grüßen«, erwiderte der Mann an der Ecke und bewegte sich träge wie eine satte Schlange, machte jedoch nur einen halben Schritt vorwärts. »Jemand braucht dich zum Stiefelputzen, Walsh: mein Bruder Terry! Oder erinnerst du dich nicht mehr an Santa Rita in New Mexico?«
Howie sah, wie Walsh erstarrte, wie er einige Sekunden reglos und blaß werdend, am anderen Ende des Holzstapels stand, bis er sich leicht zusammenkrümmte. Terry, dachte Howie McGruder, Terry Campbell. Dann muß das Lacy Campbell sein, der Mann, dem Walsh aus dem Wege gehen wollte.
»Ich erinnere mich«, sagte Walsh. »Du hast mich also gefunden, Campbell. Und was willst du? Dasselbe wie dein Bruder Terry? Langsam, Campbell, mach nicht denselben Fehler. Es war Terrys Schuld, nicht meine.«
»Er hatte nie eine echte Chance gegen dich«, zischte Campbell. Seine Augen waren ausdruckslos wie die einer Giftschlange. Seine Hand schwebte über dem geriffelten Kolben des Fünfundvierzigers.
»Ich habe ihn gewarnt, Campbell, er wollte nicht hören.«
»Er war zu jung«, sagte Campbell. »Er hatte keine Chance.«
»Jung – zu jung?« knurrte Walsh. »Er war ein ausgemachter Satan, alt genug, um sich wie ein Wolf zu gebärden. Ich warne dich, Campbell. Versuche es nicht auch noch!«
»Hast du Angst?« erkundigte sich Campbell abfällig. »Du hast Angst. Warum bist du auch Hals über Kopf aus New Mexico verschwunden. Niemand wußte, wohin du geflohen warst, wo du dich verkrochen hattest. Du hast dich vor mir versteckt, du Feigling. Das ist die Wahrheit, denn du hattest von mir gehört. Du konntest dir ausrechnen, daß ich kommen und mit dir abrechnen würde. Ein kleines Nest in Arizona, wo sich selten jemand hinverirrt, wie? Der richtige Platz für jemanden, der Gras über eine Sache wachsen lassen muß, der…«
»Don!« rief Howie McGruder. »Laß dich in nichts ein! Der Kerl will dich nur reizen. Denke an den Befehl meines Vaters!«
Campbells Blicke schienen Howie förmlich aufzuspießen.
»Halt’s Maul, Kid«, fauchte Campbell. »Misch dich nicht ein, wenn Männer reden!«
»Was soll ich?« schnappte Howie. »Mann verschwinde aus dieser Stadt und diesem Land! Du weißt wohl nicht, wer ich bin? Ich soll das Maul halten, ich? Du Narr, dies ist unsere Stadt.«
»Sagtest du Narr?« zischte Campbell. »Mit dir befasse ich mich, sobald ich mit dieser zweibeinigen Ratte fertig bin, die meinen guten Bruder kaltblütig abgeknallt hat. – Nun los, Walsh, du Ratte, zieh endlich!«
»Nein«, sagte Walsh leise. »Nein, Mister, ich werde…«
Walsh drehte sich langsam und sah aus den Augenwinkeln, wie die Hand Campbells zuckte und Howie rief: »Vorsicht,