Laura Lippman

Die Witwe des Millionärs


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Hirn wie einen kleinen Kassettenrekorder vor. Du brauchst zwei oder drei Bänder, die du sofort einwerfen kannst, wenn der CEO in Sicht kommt. Oder in meinem Fall der Chefredakteur. Auf jedem Band ist eine zeitlose Frage oder Beobachtung, die zeigt, wie motiviert man ist, wie loyal, was für eine glückliche Arbeitsbiene man doch ist, die hundertzehn Prozent gibt, um diesen wunderbaren Arbeitsplatz noch herrlicher zu gestalten.«

      »Das musst du mir mal vormachen.«

      Whitney drückte die Schultern zurück und strich sich das Haar aus dem Gesicht, sie verwandelte sich in ein gieriges Mäuschen. »Mr. Mabry«, begann sie ein bisschen atemlos, ihre Stimme klang höher und süßer als sonst. »Mr. Mabry, mir ist aufgefallen, dass unsere Auflagenzahlen für die Abendausgabe sich stabilisiert haben. Glauben Sie, dass das Redesign und der Versuch, die Zeitung wieder als Nachrichtenbringer zu entdecken, geholfen haben, den jahrelangen Trend der schwindenden Nachmittagsauflage zu brechen?«

      Bourbon brennt, wenn er einem durch die Nase rinnt. »Wie megapeinlich«, sagte Tess, schniefte und lachte. »Funktioniert das wirklich?«

      »Also, ich bin vor drei Jahren als Reporterin in den Fahrstuhl gestiegen, habe mit einem Redaktionsleiter über die Wunder einer erstklassigen Universitätsausbildung geplaudert, und als ich ausstieg, war ich kurz davor, Kolumnistin zu werden.«

      »Und ich hab gedacht, du wärst verrückt, als du Washington College für Yale verlassen hast«, sagte Tess und schüttelte erstaunt den Kopf. Nicht, dass sie nicht dasselbe tun würde, wenn sie die Chance hätte. Sie würde es nur nicht so gut hinbekommen. Vielleicht gab es wirklich nur zwei Arten Menschen auf der Welt: Arschkriecher und gescheiterte Arschkriecher.

      »Heute, direkt nachdem wir einander über den Weg gelaufen sind, hab ich den Löwenkönig getroffen«, prahlte Whitney, die so stolz auf ihre Anbiederei war, als hätte sie eine neue Sportart gelernt. »Ich habe gesagt: ›Die Wynkowski-Story – die stand gar nicht im Plan für das Vier-Uhr-Meeting gestern, oder, Sir?‹ Um vier Uhr findet das letzte Nachrichtenmeeting des Tages statt. Manche Sachen erfährt man natürlich erst später, aber …«

      »Ich weiß, ich weiß.«

      »Stimmt, manchmal vergesse ich, dass du eine von uns warst. Jedenfalls hat er ziemlich genervt gesagt: ›Nein, war sie nicht.‹ Also habe ich gesagt: ›Es geht mich ja nichts an, aber wenn Sie der Sache auf den Grund gehen wollen, und wenn Sie jemanden brauchen, dem Sie trauen können – eine diskrete Privatermittlerin, die sich bei Zeitungen auskennt –, dann wüsste ich genau die Richtige.‹ Also gingen wir in sein Büro und plauderten ein Stündchen, vor allem darüber, wie ihm Baltimore gefällt, und über seine Rückhand. Es stellte sich heraus, dass er unbedingt in den Baltimore Country Club will. Und mein Onkel sitzt im Bewilligungskomitee, musst du wissen.«

      Tess hatte sich von Whitneys Gesabbel nicht ablenken lassen. »Moment mal. Wer ist denn diese diskrete Privatermittlerin, die sich bei Zeitungen so gut auskennt?«

      Whitney lächelte scheu. »Lass uns Botticelli spielen, Tesser. Mein Buchstabe ist ›M‹. Stell mir eine Ja-Nein-Frage, um rauszukriegen, wer ich bin.«

      »Lass mal sehen. Bist du eine einsfünfundsiebzig große Washington-College-Absolventin, deren ehemalige Zimmergenossin offensichtlich total spinnt?«

      »Du hast es gleich erraten. Ich bin Theresa Esther Monaghan, die perfekte Frau für den Job, findest du nicht? Ich habe sogar morgen um zwei ein Meeting mit dem Chefredakteur. Du hast doch irgendwas Anständiges anzuziehen?«

      Tess griff nach der Bourbonflasche und nahm einen Schluck, vor allem für den Effekt. Sie war nicht wirklich begeistert, dass Whitney sie ohne zu fragen für den Job vorgeschlagen hatte. Whitney schob Tess immer nach vorn, sie versuchte, mehr aus ihr zu machen, als sie war. Aber in diesem Fall hatte sie ein paar entscheidende Details vergessen.

      »Ich habe schon einen Job, hast du das vergessen? Ich arbeite für Tyner.«

      »Der übrigens gerne sehen würde, dass du mehr leistest. Ich habe mit ihm gesprochen, bevor ich dich heute Abend angerufen habe, und er ist einverstanden. Er sagt, er hätte sowieso nichts, um dich im Moment zu beschäftigen, und es klänge wie eine gute Gelegenheit.«

      Toll, Tyner und Whitney, Präsident und Vizepräsident des Lass-uns-Tess-zu-was-bringen-Clubs, hatten sich hinter ihrem Rücken verbündet. Tess war überrascht, dass sie nicht noch das Gründungsmitglied des Clubs, ihre Mutter, offiziell um Genehmigung gebeten hatten.

      »Mein Onkel Spike liegt im Krankenhaus. Wenn Tyner mich nicht braucht, würde ich mich lieber darum kümmern, was ihm zugestoßen ist.«

      »Da kann es doch nicht schaden, auf das Archiv des Beacon zurückgreifen zu können. Computerisierte Gerichtsunterlagen, die Doku, Nexis-Lexis – du hättest alles, solange du bezahlt wirst.«

      Das war schon eine Versuchung, aber Tess entdeckte noch einen letzten großen Fehler in Whitneys Plan.

      »Hör mal, du sagst, es wäre Absicht gewesen, ja? Schlicht und ergreifend Computer-Hacking?«

      »So sieht es aus.«

      »Also suchen sie nach jemandem mit einem Motiv?«

      »Natürlich.«

      »Ja, sind denn da nicht Feeney und seine Rosita Taquita die Hauptverdächtigen? Ich kann doch nicht gegen einen meiner Freunde ermitteln. Was soll ich denn machen, wenn sich herausstellt, dass er es war?«

      »Du greifst dir vor. Letztlich wirst du wahrscheinlich gar nicht herausfinden können, wer es war, aber Mabry will dem Herausgeber zeigen, dass er die Sache sehr ernst nimmt. Ich glaube, Mabry freut sich im Grunde, dass die Story gedruckt wurde. Es ist eine Riesensache, und der Beacon hat sie zuerst gebracht. Mabry war am Anfang nur wegen der anonymen Quellenangaben dagegen. Er wollte bloß, dass Feeney und Rosita die Leute dazu bringen, ihren Namen zu nennen. Irgendjemand hat die Sache einfach nur beschleunigt. Das ist alles.«

      »Ja, aber wenn es Feeney …«

      »Ich sag dir was, aber lass dich davon nicht abhalten: Wir glauben alle, es war Rosita. Niemand hält Feeney für dazu in der Lage. Vielleicht beschwert er sich mehr als andere, aber er würde es nicht riskieren, seinen Job wegen einer Story zu verlieren. Außerdem hat Feeney ein eisenhartes Alibi.«

      »Hat er?«

      Kichernd boxte Whitney ihr gegen den Oberarm. Solche Körperlichkeiten waren ein klares Anzeichen ihrer Trunkenheit, besser als jeder Atemtest. Der Schlag war ungefähr 0,08 auf der Talbot-Skala, wohingegen Armdrücken anzeigte, dass sie richtig besoffen war. Es wäre nicht das erste Mal, dass Tess ihr ein Bett auf der Couch zurechtmachte oder Whitney für die Fahrt nach Hause ins Worthington Valley in ein Taxi setzte. Dort lebte sie immer noch bei ihren Eltern. Sofern man ein Gästehaus auf einem Grundstück von zwanzig Hektar als »bei den Eltern« bezeichnen kann.

      »Sehr lustig, Tesser«, sagte Whitney immer noch kichernd. »Feeney hat mir erzählt, dass ihr beide bis nach Mitternacht getrunken hättet. Er sagt, das wäre das Einzige, woran er sich von der letzten Nacht erinnern kann. Das will man zwar nicht unbedingt den Redakteuren erzählen, aber ein besseres Alibi könnte er doch nicht haben, oder?«

      Tess kaute auf der Innenseite ihrer Wange herum, was sie eigentlich geglaubt hatte, sich abgewöhnt zu haben. Es war noch nicht mal acht Uhr gewesen, als Feeney aus dem Brass Elephant gestürmt war. Wieso hatte er Whitney erzählt, es wäre Mitternacht gewesen?

      »Tess?« Whitney versuchte erneut, sie zu hauen, traf aber daneben, und dabei segelte ihr Bourbonglas runter auf die Straße. »Also, was denkst du?«

      »Ich denke, das ist schon ein verdammt gutes Alibi.«

      6

      Tess war schon einmal beruflich beim Beacon gewesen: Sie hatte sich dort vorgestellt, nachdem der Star eingestellt worden war. Sie hatte sich bei Femme ein Kostüm gekauft, das sie sich nicht leisten konnte, hatte sich Kittys beste Handtasche geliehen und eine Strumpfhose angezogen, in der sie tatsächlich keine Laufmasche gehabt hatte, bis sie wieder in ihren Wagen stieg. Die Zeitung hatte Bewerbungsgespräche