Politiker*innen nach. Weihnachten wird hier aktiv als kommunikative Ressource genutzt, wobei sehr genau selektiert wird, welche Aktivitäten auf die Vorderbühne geholt – also auch gezeigt – werden und welche nicht, etwa die Abläufe am Heiligen Abend, die in einem privaten Raum stattfinden und dort auch verbleiben dürfen. Manche würden sagen, dass es auch im folgenden Beitrag politisch bleibt, Carolin Müller-Spitzer aber wirbt für eine unaufgeregte Analyse teils widersprüchlicher Forschungsergebnisse zu androzentrisch geprägter Sprache einerseits und für offene, kreative Lösungen andererseits. Ausgangspunkt für ihre Ausführungen ist der oben schon erwähnte Sketch, in dem Opa Hoppenstedt die Frage einer Verkäuferin nach dem Geschlecht seines Enkelkindes unbeantwortet lässt und sich – der Unwichtigkeit dieser Information für die Auswahl eines Geschenks bewusst – seiner Zeit weit voraus präsentiert. Katrin Lehnen hat den dieses Buch abschließenden Text geschrieben. Es ist ein kleiner Jahresrückblick, der von Zeit handelt, die ihr davonläuft, und der ganz nebenbei Einblick gibt in linguistische Methoden, den Anspruch an Forschungsfragen, die Generierung von Hypothesen, die Schwierigkeiten und Rückschläge bei der Datenerhebung und der alles andere als Enttäuschung hinterlässt.
So steht nun nicht nur Weihnachten vor der Tür, sondern Ihnen die Lektüre eines Buches bevor, das keine neue Schnittstellendisziplin begründen will, vielmehr ist es Glanzpapier, das das inspirierende Spektrum der (hier gewählten) sprachwissenschaftlichen Zugänge und Beschreibungsebenen (Phonetik, Syntax, Semantik, Pragmatik, Angewandte Linguistik, Diskurslinguistik, Genderlinguistik, Erzählerwerbsforschung, Internetlinguistik, Kognitive Linguistik, Kontaktlinguistik, Kontrastive Linguistik, Korpuslinguistik, Kulturlinguistik, Lexikographie, Medienlinguistik, Namensforschung, Phraseologie, Politolinguistik, Religionslinguistik, Soziolinguistik, Varietätenlinguistik) umhüllt und als das deklariert, was es ist – ein exklusives Geschenk.
Dafür, dass sie sich auf diese Bescherung eingelassen haben, möchte ich allen Beiträger*innen von Herzen danken. Die Kuratierung dieses Buches war nicht zuletzt deshalb eine so große Freude, weil die zwischenzeitliche Abstimmung zu skurrilen, höchst witzigen, aber auch sehr berührenden – eben kostbaren – Momenten und Para-Interaktionen geführt hat. Danken möchte ich auch dem Narr-Verlag für die Aufgeschlossenheit gegenüber dieser Idee, die Verwirklichung noch im selben Jahr und für das Entgegenkommen bei allen gestalterischen Fragen, hierbei ganz besonders natürlich meinem hochgeschätzten Lektor, Tillmann Bub, und dem äußerst geduldigen Ansprechpartner in der Produktion, Arkin Keskin.
Möge das Buch Ihnen soviel Freude beim Lesen bereiten, wie mir im Entstehungsprozess. Möge es zudem von praktischem Nutzen für alle Linguist*innen sein, nämlich als ideales Weihnachtsgeschenk für die lieben Kolleg*innen, aber auch als ganz konkrete Antwort auf die (häufig an Weihnachten im Verwandtenkreis gestellte) Frage, was man eigentlich immer noch an der Uni treibe? Möge es also auch fachfremden Leser*innen einen Eindruck von der Linguistik vermitteln und Einsicht, warum man von diesem facettenreichen, gesellschaftlich so relevanten Fach nicht mehr loskommt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Lesegenuss so fein wie Weihnachtsgebäck, so erhellend wie eine sternenklare Winternacht und so aufregend wie die Wartezeit auf den Heiligen Abend, ich wünsche Ihnen ein Frohes Fest.
Konstanze Marx (weihnachtlich gestimmt im August 2020 und nun vier Monate in ungeduldiger Vorfreude)
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Linguistische Weihnacht in Reimen
Nina Janich
Gefragt ist, was die Wissenschaft
von Sprache für ein Wissen schafft,
wenn für ein Buch sie soll beachten
das heil‘ge Wort der Weihenachten.
Nun geht das ja etymologisch,
vielleicht auch epistemologisch,
ganz spannend auch nur graphologisch,
doch weniger schlicht nur katholisch.
Hört man nur zu und ignoriert,
wie Weihnacht meist geschrieben wird,
dann könnte man ja fast sich denken,
dass Weinliebhaber sich was schenken:
Den Wein [zu] achten als ‘ne Regel,
die stets erhöht Promillepegel?!
Doch auch wenn Wein im Christentum
mit Weihnachten hat was zu tun,
weil ohne Wein kein Abendmahl,
was wied‘rum nötig jedesmal,
wenn man die Messe richtig feiert,
so ist das eher rumgeeiert
und linguistisch nicht sehr klug.
Die Editorin uns ja frug,
was wir als Forscher sagen wollen
und was die Leute wissen sollen.
Drum lasst mich mal kurz überlegen,
was wichtig ist an Forscherwegen:
In welchem Licht wir könn’n betrachten
das Phänomen und Wort Weihnachten?
Ist es zum Beispiel int’ressant,
wie Sprache hier Grammatik fand:
dass hier ein Dativ ist zu finden,
den Mensch an den Termin zu binden?
Gemeint ist ze den wîhen nachten,
die‘s Abendland so christlich machten.
Oder soll’n sprechen wir vom Frame
Der letztlich Grund für Weihnachts fame,
durch das, was gleich wird evoziert,
von defaults, die man provoziert:
Was sind hier wicht’ge filler-Werte
die man – sie fehlten! – stark entbehrte?
Geschenke, Lichter und ein Baum,
vom leise rieselnd Schnee ein Traum,
dann Plätzchen, Glocken und auch Engel,
im Stroh ein kleiner blonder Bengel;
doch Zeit auch, Ruhe, Innehalten,
ein Sich-Entzieh’n Konsums Gewalten.
Dies leitet über zu den Fragen,
die uns stets auf der Zunge lagen,
wenn wir Diskurse uns anschauen:
Kann man denn Weihnacht noch vertrauen?
Ist’s noch ein echt Familienfest,
vielleicht doch nur Geschenkzwang-Pest?
Wie nutzen Politik und Staat
den tief’ren Sinn, wenn Weihnacht naht,
um Solidarität zu schüren,
die Menschen weg vom Hass zu führen,
an Hunger, Armut zu erinnern,
und wie medial im Fernsehflimmern,
die Religionen zu versöhnen –
die ohne Jesus nicht zu höhnen?
Vielleicht geht’s aber auch ganz schick
mal um ‘nen ganz ganz and’ren Blick:
Vielleicht wär‘ auch mal zu erwägen,
die Frag‘ soziolektal zu prägen,
wie wir an Weihnachten so sprechen
beim Schenken, Schmücken, Brote brechen,
und ob beim großen Fest der Liebe
Familiensprache