Eugen Reichl

SPACE 2021


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abgesehen – durchgesetzt. Fast alle Raumfahrtnationen, die große oder sehr große Raketen bauen, nutzen sie. Und nicht länger nur als reines Transportmittel, sondern zunehmend auch als Start- und Landeplattformen. Sehen wir uns die Schiffsflotten der großen Raumfahrtinstitutionen und -unternehmen jetzt einmal an. Die nachfolgende Schilderung erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn neben den genannten Schiffen werden gerade bei Barken oder den SpaceX-Droneships auch immer wieder kurzzeitig gemietete Schlepper mit eingesetzt.

      Die aktuelle NASA-Flotte: Nur noch ein Schiff

      Die Zeiten, an denen die NASA selbst eine große Flotte an Schiffen betrieb, sind vorbei, seit die US-Raumfahrtbehörde die gesamten Startaktivitäten der Privatindustrie übergeben hat. Allerdings nur „fast“ die gesamten Startaktivitäten, denn eine Großrakete ist der NASA noch geblieben, und das ist auch gleich die größte Rakete der Welt: Das Space Launch System des ARTEMIS-Programms. Davor betrieb die NASA aber mehr als 30 Jahre lang zwei Schiffe, die dafür eingesetzt wurden, die Booster der Space Shuttles nach dem Start zu bergen. Das waren die MV Liberty Star und die TV Freedom Star. Während der manchmal mehrjährigen Pausen im Shuttle-Programm wurden die beiden Schiffe auch als Schlepper und als Forschungsschiffe eingesetzt. Die beiden Fahrzeuge waren Spezialschiffe mit einer Bruttoraumzahl von 750. Sie waren 54 Meter lang, elf Meter breit und hatten einen Tiefgang von 3,7 Metern. Die beiden Schiffe waren fast 30 Kilometer pro Stunde schnell und verfügten über eine Reichweite von 11.000 Kilometern. An Bord waren 20 Besatzungsmitglieder. Zehn Personen für die Bedienung des Schiffs, zehn weitere für die Bergung der Booster. Nach der Einstellung des Shuttle-Programms wurden die beiden Einheiten als Ausbildungsschiffe an die US Handelsmarine-Akademie übergeben. Aktiv im Dienst ist dagegen die Barke Pegasus. Sie wird gebraucht, um die massiven Elemente des Space Launch Systems von Louisiana zu den Testzentren und ans Cape zu bringen. Die Pegasus war 1999 für das Shuttle-Programm gebaut worden, und transportierte zunächst bis 2011 die Shuttle-Außentanks von Michoud ans Cape bevor sie dann für das SLS-Programm modifiziert wurde. Die Pegasus ist 94 Meter lang und 15 Meter breit. Sie hat zwar drei Dieselgeneratoren an Bord, verfügt aber über keinen eigenen Antrieb. Bei ihren Fahrten wird sie von Schleppern gezogen.

      Arianespace – Toucan und Colibri fahren für Europa

      Um große Raketenkomponenten von Europa nach Französisch Guyana zu bringen, wo sich das Satellitenstartgelände der Europäischen Raumfahrt befindet, setzt die ESA zwei sogenannte „Ro-Ro-Schiffe“ ein: Die MN Colibri und die MN Toucan. Das MN steht dabei für die Betreibergesellschaft, die „Morbihannaise et Nantaise de Navigaton“. Beide Schiffe sind nach Vögeln benannt, die im Dschungel Französisch-Guyanas leben. Ro-Ro, das steht übrigens für Roll on – Roll off. Ein Schiffstyp, der den Fähren ähnelt, die von und zu den Britischen Inseln oder nach Skandinavien eingesetzt werden. Die MN Colibri und die MN Toucan werden aber nicht nur dafür verwendet, im Pendelverkehr zwischen Bordeaux und Cayenne Teile wie die erste und zweite Stufe der Ariane 5, Ariane 6 und Vega-Raketen zu transportieren, oder die Vehicle Equipment Bay, die Nutzlastverkleidungen und die SYLDA-Satellitendispenser. Sie werden auch für Transporte von und zu den europäischen Raumfahrtstandorten eingesetzt, sofern diese am Meer liegen. Die MN Colibri wurde im Jahre 2000 gebaut. Sie ist 116 Meter lang und 20 Meter breit, bei einem Tiefgang von 4,1 Metern und einer Bruttoraumzahl (BRZ oder Gross Tonnage) von 9.141. Die Bruttoraumzahl ist ein Volumenmaß. Die Nachfolgeeinheit der immer noch bekannteren Bruttoregistertonne. Die MN Toucan ist fünf Jahre älter als die MN Colibri aber fast genauso groß und mit einer BRZ von 9.125 auch praktisch genauso voluminös. Der Heimathafen dieser beiden Schiffe ist Marseille. Ihre Höchstgeschwindigkeit liegt bei 16 Knoten.

      United Launch Alliance

      Auch die United Launch Alliance, Herstellerin der Atlas- und Delta-Raketen und zukünftiger Produzent der Vulcan, besitzt ein Transportschiff. Es heißt „RS Rocket Ship“ und ist die frühere „Delta Mariner“, die schon Boeing für denselben Zweck verwendet hatte. Die „RS Rocket Ship“ ist in Art und Größe in etwa mit den beiden Transportschiffen der Arianespace vergleichbar. Auch sie ist ein Ro-Ro-Schiff, 95 Meter lang, 28 Meter breit, 15 Meter hoch mit einem Tiefgang von 4,6 Metern und einer Bruttoraumzahl von 8.700. Ihre beiden Maschinenanlagen sind jeweils für den Hochsee- und den Flussschifffahrtsbetrieb optimiert. Auf dem offenen Meer erreicht sie bis zu 15 Knoten, beim Flussbetrieb bis zu fünf Knoten. Ihre Besatzungsstärke liegt zwischen 16 und 20 Personen. Das Schiff hat schon eine recht bewegte Geschichte hinter sich. Es lief schon einmal auf eine Sandbank auf und rammte einmal eine Brücke. Das Schiff trug dabei kaum Schaden davon, aber von der Brücke mussten 100 Meter erneuert werden, was einen Multimillionenbetrag kostete.

      Sea Launch

      Sea Launch verfügt über zwei Schiffe und eine sehr bewegte Geschichte. Zum einen die Sea Launch Commander, das Kommandoschiff. Ein großes Schiff mit einer Länge von 203 Metern, einer Breite von 32 Metern und einem Tiefgang von acht Metern und einer Bruttoraumzahl von 50.023. Sie nimmt neben der Schiffsbesatzung, dem technischen Personal der Zenit-Raketen und der Startkontrollcrew auch noch zwei Zenit-Raketen auf, die erst im Startgebiet auf die Odyssey-Startplattform transferiert werden. Das Schiff verfügt über eine Höchstgeschwindigkeit von etwas über 19 Knoten (36 Kilometer pro Stunde). Das andere „Schiff“, die Odyssey, war ursprünglich eine Erdölplattform bevor es zur mobilen Startplattform für die Zenit 3SL Raketen umgebaut wurde. Sie verfügt über einen eigenen Antrieb, ist 137 Meter hoch und 67 Meter breit. Sie kann um 35 Meter in das Wasser abgesenkt werden, und bildet dann eine sehr stabile Plattform für die Durchführung der Starts. Im Normalbetrieb sind 68 Besatzungsmitglieder an Bord, die für einen Start allesamt auf die Sea Launch Commander evakuiert werden. Das Schicksal von Sea Launch ist ungewiss. Der letzte Start von dort erfolgte im Jahr 2007. Nach mehreren Besitzerwechseln liegen derzeit beide Schiffe in einem Hafen bei Wladiwostok und harren einer ungewissen Zukunft.

      Die SpaceX-Flotte

      Die zahlenmäßig bei weitem größte Seeflotte setzt derzeit SpaceX ein. Nicht weniger als 10 Schiffe fahren unter der Flagge dieser Firma. Was darauf beruht, dass das Unternehmen als derzeit einziges weltweit nicht nur die ersten Stufen ihrer Trägerraketen, sondern die Nutzlastverkleidungen birgt, um sie wiederzuverwenden und obendrein noch eine enorme Startfrequenz hat. Nur beim Start sehr leichter Nutzlasten ist es der Erststufe möglich, wieder zum Startort zurückzufliegen. Bei allen anderen muss zwangsläufig eine parabelförmige Bahn in Flugrichtung abgeflogen werden. Die Landung erfolgt dann auf einem Schiff, denn alle Starts, sei es von Cape Canaveral aus oder von der Luftwaffenbasis Vandenberg, führen über Wasser. Bei den Nutzlastverkleidungen ist es sogar niemals möglich, sie wieder zum Festland zurück zu bringen. Sie müssen immer auf der offenen See geborgen werden. Heimathafen all dieser Schiffe ist Port Canaveral in Florida. Die „werkseigene“ Flotte von SpaceX umfasst zwei sogenannte „Droneships“, die „Of course I still love you“(häufig als OCISLY abgekürzt) und die „Just read the instructions“ (JRTI). Beide Namen sind der Science-Fiction-Story „Das Spiel Azad“ des schottischen Autors Iain Banks entnommen. Droneships werden sie deswegen genannt, weil sie zur Zeit ihres Einsatzes, also wenn sie eine Raketenstufe erwarten, autonom und ohne Besatzung arbeiten. Sie halten in