Robert Heymann

Die Narrentour der Liebe


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beide.

      „Was soll das?“ stammelte Mie.

      Er trat auf sie zu und nahm sie in seine Arme. Sie fühlte seine feuchten, zittrigen Hände auf ihrem Nacken und empfand einen Kitzel, durch den ein unüberwindlicher Abscheu strömte.

      „Du hast heute den ersten Versuch gemacht, mich zu hintergehen, Mie.“

      „Ich weiss von nichts, Johannes.“

      „Das ist gut, und ich will es dir glauben. Nur gib mir diesen verfluchten Stein, für den du morgen einen weit schöneren und kostbareren von mir erhalten sollst.“

      „Welchen Stein, Pierrot?“

      „Den Stein der Versuchung. Den Stein des Teufels.“

      „Welchen Stein?“ wiederholte sie scheinbar gedankenlos, während sich alle ihre Wünsche daran klammerten, entschlossen, ihn unter keinen Umständen preis zu geben.

      Er sah sie mit schmerzhaften Mienen an. Denn nun konnte er bei aller Verstellung, deren seine Seele fähig war, nicht mehr an die kleine Madonna glauben, die er bisher so nahe gewusst und mit dem Aufgebot einer in Askese geschulten Kraft vor sich selber beschützt hatte.

      „Den Stein und den Brief des blonden Kavaliers,“ schrie er ausser Fassung.

      Die Dämonen seines misshandelten Körpers regten sich und schrien nach Fleisch. Während er sie anklagte, pressten sich seine Wünsche liebkosend an ihren Körper. Während er bat, flehte, liebkoste, floss seine Gier über ihren Leib weg. Schliesslich spannten sich seine Arme wie straffgezogene Schnüre um das schlanke, bewegliche Weib, das ihm zu entgleiten suchte.

      „Du musst mein werden,“ stammelte er und rang mit ihr, während sie, die ehedem mit Freuden ihm ihre junge Liebe gegeben hätte, dies plötzlich als eine widerwärtige Schmach empfand, ihn hasste und verabscheute.

      „Nein, nein“, schrie sie und suchte sich keuchend loszulösen, aber er überwältigte sie und schleuderte sie zu Boden. Die Geschicklichkeit, die er sie gelehrt, bewahrte sie vor der Niederlage. Sie schnellte empor und stiess ihn mit einer Kraft, die ihr durch die lange Übung am Seil gekommen war, zurück. Aber als sie zur Türe floh, holte er sie wieder ein. Sie sah sekundenlang im Schimmer des Mondlichtes, das in breitem Strom durch das geöffnete Fenster strömte, seine blutgeäderten Augen und den weissen Mund, auf dem die Gier brannte. Sie warf sich von neuem gegen ihn, verzweifelt, als müsste sie um ihr Leben ringen, aber stumm, ohne Hilfe zu rufen oder einen Laut von sich zu geben, von allen ihren Kräften Gebrauch machend. Denn je länger dieses Ringen um ihren Leib währte, desto elender schien ihr Pierrot, über den ihre Sinnlichkeit längst hinausgewachsen war. Sie trat ihn mit den Füssen, fügte ihm mit den Zähnen schmerzliche Wunden zu und stachelte durch diese Misshandlungen seine Leidenschaft doch nur noch mehr auf.

      So taumelten sie beide gegen das Fenster. Mie hatte einige Sekunden lang das Bewusstsein des Frühlings, der durch die Öffnung in das Zimmer strömte, und der Kastanien, die in früher Blüte standen. Die grünen Wipfel neigten sich in einer leichten Zugluft. Dann sah sie Pierrots wutverzerrte Fratze über sich. Ihr Widerstand erlahmte, er aber fand plötzlich satanische Kräfte.

      Sie fühlte sich in die Höhe gehoben und schwebte über einer dunklen Tiefe, die ihre trügerischen Samtpfoten nach ihr ausstreckte.

      Da begriff sie, dass der Tod über und unter ihr war, duckte sich zusammen wie eine Katze und nahm den Sprung berechnend und spähend wie am Drahtseil, von dem sie so oft schon aus schwindelnder Höhe in den gähnenden Abgrund gesprungen war.

      Pierrots magere, zuckende Hände krallten sich in die Leere der Nacht. Er sah einen weissen Ball in der Finsternis verschwinden und schrie auf.

      Nun begriff er, dass er Mie in die Tiefe geschleudert hatte. Ohne an seine Sicherheit zu denken oder Folgen zu überlegen, floh er, von der visionären Erscheinung eines blutbefleckten Körpers mit weit aufgerissenen Fischaugen verfolgt, aus dem Zimmer, über die Treppen, fort, fort ... fort ...

      Mie war kein Leid geschehen. Gewöhnt an halsbrecherische Sprünge, hatte sie sich in dem gefährlichen Moment der Lehren ihres Geliebten erinnert und war, wenn auch ein wenig betäubt von dem Niedergleiten aus zwei Stockwerken, mehr noch von dem überstandenen Schrecken, unbeschädigt auf der Rasenfläche angelangt, die den rückwärtigen Teil des Hotels säumte.

      Zuerst eilte sie, von Furcht ergriffen, wahllos, nur ihrer spontanen Verwirrung folgend, davon. Sie fand sich nach langem Umherirren im Prater wieder, der in der verschwiegenen, süssen Lust einer Frühlingsnacht träumte.

      Sie liess den blossen Nacken und die fiebernde Stirne von der kühlen Nachtluft kosen. Das tat gut und beruhigte ihre aufgeregten Sinne. Dann aber war ihr erster Gedanke: Harlekin!

      Seltsam! Sie dachte an ihn weder mit einer Empfindung des Hasses noch des Ekels. Gleich als hätte diese ihrer Seele so verwandte Szene schlummernde Leidenschaften erst in ihr geweckt, überkam sie plötzlich eine wilde Sehnsucht nach dem Manne, der sie eben noch dem Tod geweiht hatte. Gerade durch diesen Paroxismus wollüstigen Schmerzes war er ihr nahegerückt und hatte ein neues Leben in ihr geweckt, dessen Regungen sie nun mit heimlichem Erstaunen verfolgte, während sie die Allee hinabschritt.

      Sie war müde und setzte sich auf eine Bank. Es kam ihr in den Sinn, dass sie nun wieder heimatlos geworden war, denn trotz ihrer heimlichen Sehnsucht nach Pierrot wagte sie nicht, an die Rückkehr in das Hotel zu denken. Sie fürchtete sich jetzt vor Harlekin. Sie wusste nicht, ob er nicht bereits von neuem mit dem Gedanken umging, sie zu töten.

      Von einer sentimentalen Stimmung ergriffen, weinte sie bitterlich ob ihrer verzweifelten Lage und Hilflosigkeit. Sie überlegte, was nun zu tun sei. Als sie aber in ihrer kleinen Börse nur drei Kreuzer vorfand, brach sie von neuem in Tränen aus. Da fühlte sie in ihrer Tasche noch einen harten Gegenstand. Sie zog mechanisch das Etui hervor und wurde so an den Urheber dieser schlimmen Szene erinnert.

      Der Ring des Barons leuchtete ihr wie das Symbol eines unabwendbaren Verhängnisses, in der Dunkelheit entgegen. Sie empfand jetzt nur mehr Gleichgültigkeit gegen den blonden Kavalier, denn ihr Empfindungsleben war augenblicklich einzig von der Gestalt Pierrots ausgefüllt: wie er sich mit verzerrter Fratze im Mondlicht über sie gebeugt und sie in seine tottiefen Augen gestarrt. Wieder überfloss sie ein heimlich süsser Schauer.

      Sie hungerte. Eine Bäckersfrau kam mit schlürfendem Schritt an ihr vorüber. Mie rief sie an und erwarb für ihre drei Kreuzer ein Stück Brot.

      Die Blätter rauschten über ihr, und der Duft des Frühlings betäubte sie. Als sie in der Ferne die Gestalt eines Hüters der Ordnung auftauchen sah, entfloh sie und irrte noch eine Weile im Prater umher, bis sie sich wieder der Stadt näherte. Die Silhouette des Riesenrades wuchs gespenstisch aus der blauen Finsternis.

      Sie bog zum Flusse ab. Träumend starrte sie in die Fluten der breiten Donau, bis sie schwindlig wurde. Dann kehrte sie schliesslich wieder in die Stadt zurück, ohne einen bestimmten Plan, ihrem Instinkte folgend, der sie Pierrot wieder zuführte.

      Als sie vor dem Hotel stand, winkte ihr der Portier zu. Sie brauchte gar nicht erst zu fragen. Harlekin war abgereist, hatte in fliegender Hast seine Rechnung beglichen und Wien mit dem Orientzug verlassen.

      Sie starrte den Portier wortlos an, bis sie seine spöttisch mitleidigen Blicke gewahrte. Da gewann sie eine Selbständigkeit, über die sie sich selber wunderte. Sie begriff, dass sie, wollte sie nicht zugrunde gehen, zunächst wenigstens ein Dach über dem Haupt haben musste, und übergab dem Portier den Ring.

      „Wollen Sie mir für diesen Stein eine entsprechende Summe geben, damit ich zunächst weiterhin hier wohnen bleiben kann?“

      Der Portier machte einen schiefen Mund, war aber nicht abgeneigt, ein so rentables Geschäft zu machen. Er bot ein Zehntel des Wertes. Mie war es zufrieden. Sie wünschte nichts sehnlicher, als den Ring, der ihr wie Feuer in der Hand brannte und dessen Glut sie durch die Lederhülle und die Kleider auf der Haut spürte, loszuwerden.

      Sie begab sich also zunächst in ihr Zimmer und verfiel alsbald in einen unruhigen Schlummer, in dem ein wüster Traum sie quälte: Harlekin, der