– Sie haben keine Zeit, mich auch außerdienstlich zu besuchen, Dr. Wenden? Ich finde, man trifft so selten Menschen, mit denen man sich auf Anhieb versteht. Und je älter man wird, um so schwieriger wird es, Gleichgesinnte zu finden.«
Er sah sie nachdenklich an.
»Sie haben recht«, stimmte er ihr dann zu. »Mein Sohn kommt am Wochenende wieder – und ich habe dann mehr Zeit, als mir lieb ist.«
»Spielen Sie Bridge?« erkundigte sich Auguste hoffnungsvoll. »Das ist ein amüsantes Spiel, immer vorausgesetzt, man nimmt es nicht zu ernst!«
»Leider nein«, gab Wenden zu.
»Schade«, sagte Auguste, sichtlich enttäuscht. Sie wußte nicht, zu was sie ihn auffordern könnte, ohne daß es seltsam aussah.
»Ja«, Wenden überlegte. »Aber ich kann Zank-Patience! Die spielte ich mit meiner Frau!«
»Wirklich? Wie lustig! Ich spielte sie auch öfter mit meinem Mann. Auch Mühle und Dame…« Sie sah ihn abwartend an.
»Es würde mir großen Spaß machen, wenn wir gelegentlich einen Abend bei so einem Gesellschaftsspiel verbringen könnten«, sagte Wenden nun eifrig. »Wissen Sie: man kann nicht jeden Abend früh zu Bett gehen, um die Familie meines Sohnes sich selbst zu überlassen. Ich habe zwar einen Fernsehapparat auf meinem Zimmer, aber das Programm ist leider auch nicht so, daß man jeden Abend davor sitzen mag.«
»Und wenn man nicht einmal mit einem anderen lästern kann, ist es noch langweiliger«, fand Auguste. »Wenn Sie Lust und Zeit haben, erwarte ich Sie kommenden Sonntag nachmittag zum Tee. Und es würde mich freuen, wenn Sie zum Abendessen blieben. Dann können Sie sich auch überzeugen, daß ich keinen Rückfall hatte«, schloß sie ihre Einladung lächelnd.
»Ich komme sehr gerne, Gräfin«, versicherte Wenden, als er schließlich aufbrach, und küßte ihr die Hand zum Abschied. Ganz Kavalier alter Schule.
*
»Meine Patienten waren von dir sehr angetan, Papa«, sagte Peter Wenden zu seinem Vater, nachdem er, vom Urlaub zurück, sich wieder selbst um seine Praxis kümmerte.
»Es hat mir auch Spaß gemacht, wieder zu praktizieren«, gab Andreas Wenden zur Antwort.
»Und er hat die Herzen deiner Patientinnen gebrochen!« berichtete Ursula vergnügt.
»Rede keinen Unsinn!« wies ihre Mutter sie scharf zurecht.
»Doch, Mami!« sagte nun auch Jakob lachend.
»Die alte Gräfin von Schloß Sturmeck hat ihn mehrmals eingeladen!«
»Oh, du hast einen anspruchsvollen Geschmack«, stellte Ilse etwas spitz fest.
»Es ging ihr sehr schlecht«, glaubte Andreas erklären zu müssen.
»So?« Auch seinem Sohn paßte das irgendwie nicht. »Nun, von jetzt an werde ich wieder nach ihr sehen! Die Sturmecks sind seit Großvater unsere Patienten.«
»Ich weiß«, erwiderte Andreas ausweichend. Er bedauerte, daß Ursula und Jakob wußten, daß er mit der Gräfin in einem Konzert gewesen war. Sie hatte ihn eingeladen. Anstelle der obligaten Flasche Kognak, die man seinem verdienten Arzt am Ende der Behandlung verehrt, hatte sie gesagt. Ihm war es lieber gewesen – und ihr auch, wie sie gestand. Alleine fuhr sie ungern so weit in die Stadt, und überhaupt waren alle diese Unternehmungen zu zweit amüsanter.
In der Oper sollte eine interessante Premiere stattfinden, und er hatte sie seinerseits eingeladen.
»Sie müssen nicht denken, daß Sie sich revanchieren müssen«, hatte Auguste gesagt und er hatte ihr erwidert, er wollte sich nicht revanchieren, es würde ihm Freude machen, mit ihr zusammen hinzugehen.
Als er es wenige Tage später seinem Sohn und seiner Schwiegertochter eröffnete, sahen ihn die beiden perplex an. Dann wechselten sie einen zweifelnden Blick – und sagten gar nichts.
Andreas Wenden war sich sicher, daß sie beide eine Menge sagen würden, sobald er außer Hörweite war. Und genauso war es auch!
»Findest du nicht, daß dein Vater sich etwas – hm – lächerlich macht?« fragte Ilse, nachdem sie gehört hatten, daß der alte Herr das Haus verlassen hatte. In elegantem dunklem Anzug mit silberfarbener Krawatte.
»Tja«, brummte Peter Wenden, den es irgendwie erbost hatte, daß es ihm selbst nie gelungen war, das freundschaftliche Verhältnis, das sein Großvater zu den Sturmecks hatte, weiterzupflegen. »Ein wenig seltsam ist es schon. Aber – was soll man tun?«
»Du solltest mit ihm reden!« fand Ilse. »Wir haben hier im Ort schließlich einen Ruf zu verlieren!«
»Ich bitte dich! Vater ist erwachsen!«
»Sehr erwachsen. An der Grenze zur Senilität!« gab Ilse scharf zurück.
»Wo ist Opa?« Jakob kam ins Zimmer. »Ich muß ihn mit der Lateinübersetzung etwas fragen…«
»Kann ich dir nicht helfen?« bot sein Vater an, dem die Unterhaltung mit seiner Frau unangenehm war. Was für ein peinliches Thema!
»Opa kann besser Latein! Er war ja auch auf einem humanistischen Gymnasium«, gab sein Sohn ihm zur Antwort. »Wo ist er denn?«
»Er ist wieder mir dieser Gräfin unterwegs«, erwiderte seine Mutter in abfälligem Ton.
»Ehrlich?« Jakob fand das sichtlich komisch. Und als jetzt Ursula ins Zimmer kam, sagte er lachend zu ihr: »Stell’ dir vor: Opa ist wieder mit der Gräfin Sturmeck unterwegs!«
»Ja! Sie gehen in die Oper!« wußte Ursula. »Findet ihr das nicht prima?« wandte sie sich an ihre Eltern.
»Na, ich weiß nicht«, Ilse verzog das Gesicht.
»Er ist wieder viel lustiger! Wieder fast so wie zur Zeit, als Oma noch lebte!« sagte Ursula. »Das ist doch gut!«
»Wenn er sich nur nicht lächerlich macht«, warf Peter Wenden scharf ein.
»Die nützen ihn doch sicher nur aus, diese Sturmecks! So eingebildet, wie sie sind!« ärgerte sich Ilse darüber, daß sie alle noch nie eingeladen worden waren. Schließlich könnte diese alte Gräfin ja auch mal Peter und sie auffordern zu kommen, zumindest zusammen mit ihrem Schwiegervater. Peter war schließlich der Hausarzt!
»Aber Mami!« Ursula schüttelte den Kopf. »Sie ist doch in Opas Alter! Sicher denkt sie, ihr wäret nur gelangweilt…«
»Rede nicht über Dinge, die du nicht verstehst!« fuhr ihre Mutter sie aufgebracht an. »Manchmal habe ich den Eindruck, dein Vater trägt sich mit dem Gedanken, wieder zu praktizieren, und will dir deine Patienten wegnehmen«, wandte sie sich an Peter.
»Mami, jetzt übertreibst du!« riefen Jakob und Ursula fast gleichzeitig.
»Also, das denke ich auch, Ilse«, versuchte Peter sie zu beruhigen. »Du vergißt, daß Vater bereits
achtundsechzig ist. Da macht man keine neue Praxis mehr auf!«
»Nein! Aber er will in deine einsteigen – und dir die lukrativsten Patienten wegnehmen.«
»Das höre ich mir nicht länger an! Das ist zu dumm!« rief Jakob zornig und lief aus dem Wohnzimmer.
Ursula rannte hinter ihm her.
»Sie sollten doch froh sein, daß Opa nicht mehr so depressiv ist!« meinte sie.
»Genau!« fand auch Jakob. »Los, du kannst mich Vokabeln abhören, wenn Opa nicht da ist. Und außerdem ist es für dich auch eine gute Übung!«
*
»Heute nachmittag kommen die Feldkirchens zum Tee«, sagte Eliane Sturmeck zu ihrem Mann. »Findest du nicht, wir müßten deine Mutter dazunehmen? Schließlich ist sie doch über ihre Großmutter mit ihnen verwandt.«
»Du kannst sie ja anrufen«, erwiderte Gotthard zerstreut.
Minuten später kam Eliane mit