Peter Chemnitz

Ach los, scheiß der Hund drauf!


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Kriegskind (seine Geburtsstadt Bochum wurde 150-mal von den Alliierten bombardiert), deshalb beherrschte er wohl die Kunst des Überlebens so gut. Als in Saigon der Tu-Do-Club in die Luft flog, waren 36 Menschen tot, etliche verwundet (darunter sein Freund, der „stern“-Fotograf Perry Kretz) und nur einer unverletzt: er selbst. Später war er Mitgründer des Kinderhilfswerks „Dritte Welt“ (Zentrale nach wie vor in Hamburg) und zweier Reisemagazine. Nach all den Kriegen sucht er Ruhe in Görlitz/Zgorzelec – an der deutsch-polnischen Grenze, der „Friedensgrenze“.

      Vorwort

      In Görlitz/Zgorzelec, in der deutsch-polnischen Grenzstadt, beginnt dieses symphonisch gestaltete Werk, das mehr ist als nur die Erinnerungen des alten Kriegsreporters Randolph Braumann. Dadurch, dass der Jüngere, der Diplom-Journalist Peter Chemnitz, zuhört und notiert, bekommt die Irrfahrt durch die sinnlosen Kriege, Leidensgeschichten und Politik-Gags des 20. und des gerade begonnenen 21. Jahrhunderts einen Sinn.

      Braumann, Jahrgang 1934, war immer Querulant und Wahrheitssucher. Nach der Schule wollte er zur Fremdenlegion und landete im Journalismus. In den Krieg ging es trotzdem. Zehn Jahre lang war er für den „stern“ als Kriegsreporter in Afrika, Vietnam und im Nahen Osten mit den namhaftesten Fotografen unterwegs. Er lernte – immer auf der Jagd nach Illustriertengeschichten - Diktatoren wie Idi Amin, Mobutu Sese Seko, Saddam Hussein, Muammar el Gaddafi, Kaiser Haile Selassie, Papa Doc sowie den Terroristenführer Georges Habash kennen – und fand sie sympathisch.

      Davon erzählt er in seinem packenden Buch. Es sind Geschichten darüber, wie Journalisten selbst ein wenig am Rädchen der Weltgeschichte drehten, bei der Gründung der Söldnerrepublik Kongo beispielsweise oder im jordanischen Bürgerkrieg. Oder bei der großen „stern“-Hilfsaktion für Äthiopien, die Braumann vor Ort koordinierte, während er dem Kaiser die Augen für die Hungersnot im eigenen Land öffnete.

      Braumann war ein Haudegen. „Ach los, scheiß der Hund drauf!“, hieß der Spruch, mit dem er und sein alter Freund, der „stern“-Fotograf Gerd Heidemann, sich in brenzligen Situationen Mut machten. Statt auf Pressekonferenzen der Generalität trieb Braumann sich lieber bei den kämpfenden Truppen herum. In Kambodscha rettete ihm die Angst eines Kollegen das Leben, in Jordanien erklärte ihn die deutsche Botschaft bereits für tot.

      Wenn es um Storys ging, kannte Braumann keine Kollegialität. Das schätzte der große Henri Nannen und kämpfte lange um Braumann, wenn der Unstete wieder einmal ein besseres oder interessanteres Angebot der Konkurrenz favorisierte. In Gesprächen, die sich über zwei Jahre hinzogen, erzählt Braumann von lebenslangen Feindschaften und wie sie entstanden sind. Er erzählt von falschen Fotos, verlogenen Überschriften und ihren fatalen Folgen. Vor allem lässt er einen Journalismus lebendig werden, wie er heute fast ausgestorben ist.

       Peter Chemnitz im Oktober 2013

      Bombenkrieg und Mittelschule

      Ich bin ein Kriegskind, Jahrgang 1934. Meine frühesten Erinnerungen sind die Bombenangriffe auf Bochum. Die ersten erfolgten 1941. Da war ich sechs Jahre alt. Am Anfang waren es nur vereinzelte Bomben und wir Kinder liefen am nächsten Morgen durch die Straßen und suchten nach Bombensplittern. Ich kann mich auch noch erinnen, wie ich bei Alarm mit meinen Eltern im Korridor unserer Zweiraumwohnung des fünfstöckigen Arbeiterhauses hockte. Aus irgendwelchen Gründen waren meine Eltern der Ansicht, dass die Mauern einen schützen würden. Als sie dann sahen, dass bei den von Bomben getroffenen Häusern auch die Mauern der Korridore zusammengebrochen waren, zogen wir in den Keller, der mit einfachen Mitteln zu einem Luftschutzraum ausgebaut worden war. In die Außenwände der Keller wurden Durchbrüche geschlagen und wieder lose vermauert, damit man notfalls ins Nachbarhaus flüchten konnte.

      Als es dann in unmittelbarer Nähe des Hauses richtig krachte, beschloss mein Vater, dass wir künftig bei Fliegeralarm in einen der inzwischen ausgebauten öffentlichen Luftschutzräume gehen würden. Dieser befand sich in einer etwa hundert Meter entfernten Schule. 1942 kamen die alliierten Flieger fast jede Nacht und wir zogen in einen gerade fertiggestellten Hochbunker. Den hatten französische Kriegsgefangene gebaut, und ich kann mich erinnern, wie mein Vater schimpfte, dass er diesen nichts zu essen zustecken durfte. Das untersagte unter strenger Strafandrohung ein Erlass der Nazi-Führung.

      Bochum war damals Verwaltungssitz des NS-Gaus Westfalen-Süd und damit quasi die Hauptstadt des Ruhrgebiets, des Sauerlandes und des Siegerlandes. Die Gauleitung hatte in unserer Straße ihren Sitz und das war sicher einer der Gründe, hier einen Hochbunker zu errichten. Das Bauwerk hatte mehrere Etagen und Betonmauern; dick genug, um den damals existierenden Bomben standzuhalten. Oben war es spitz, damit Bomben abrutschten und auf dem Boden detonierten. Auch im Bunker hörten wir das Krachen der Bomben, fühlten uns aber sicher. Wurde Entwarnung gegeben, ging der erste Blick immer in Richtung unseres Hauses. Stand es noch? Der Bunker und unser Haus sollten die einzigen Gebäude in der Gegend sein, die den Krieg relativ unbeschädigt überdauern würden. Zwischen dem 20. Juni 1940 und dem 22. März 1945 gab es 46 schwere und 100 „leichtere“ Bombenangriffe auf die Stadt. Bei Kriegsende war sie zu 38 Prozent zerstört.

      Zum Glück konnte ich Bochum Ende 1942 verlassen. Im Zuge der so genannten Kinderlandverschickung kam ich in ein hundert Kilometer entferntes Dorf zu entfernten Verwandten. Das Dorf hieß Langenstraße-Heddinghausen und hatte knapp vierhundert Einwohner. Heute ist es ein Stadtteil von Rüthen in Nordrhein-Westfalen.

      In diesem Dorf habe ich auf einem Kleinbauernhof wunderbare Jahre verlebt. Es gab eine Oma namens Walburga und zwei unverheiratete Tanten, etwa 30 bis 35 Jahre alt, die sich rührend um mich kümmerten. Die beiden Bauernsöhne marschierten im Auftrag des Führers durch Russland. Ich war der einzige Mann im Haus. Es gab Schweine, Geflügel und zwei Kühe. Für die Kühe war ich zuständig. Morgens brachte ich sie auf die Weide, in einen Kamp, der etwa einen Kilometer entfernt war. Mittags brachte ich sie zum Melken auf den Hof und anschließend wieder in den Kamp. Abends holte ich sie zurück. Diese Kamps waren in vier Abteilungen unterteilt und war einer abgegrast, zog ich mit den Kühen in den nächsten. Da die Sommer aber extrem heiß waren, trieb ich die Kühe nachmittags entlang der Gräben, an denen noch Gras wuchs, bis zum nächsten und übernächsten Dorf und wieder zurück.

      Dieses völlig freie Kinderleben mit Tieren wurde nur durch die Schule unterbrochen. Es war eine typische Dorfschule. Acht Klassen wurden in einem Raum unterrichtet. Die Lehrerin stammte wie ich aus dem Ruhrgebiet und hatte den kleinen lieben Friedhelm in ihr Herz geschlossen: „Du musst natürlich aufs Gymnasium, denn du wirst einmal etwas ganz Großes werden.“ Schon wegen dieser Lehrerin ging ich gern in die Schule.

      Pimpf musste ich im Gegensatz zu den meisten meiner Altersgenossen nicht werden. Als ich neun Jahre alt war, bekam ich zwar eine Einberufung zum Jungvolk. Die Aufnahme sollte in einem einige Kilometer entfernten Nachbardorf erfolgen. Oma erklärte aber kategorisch: „Da gehst du nicht hin.“ Ich habe auf Oma gehört und es hat sich nie wieder jemand gemeldet. An den Krieg wurde ich nur erinnert, wenn wir im Westen hellen Lichtschein wahrnahmen. Dann hatte es wieder einen schweren Luftangriff auf das Ruhrgebiet gegeben. Als ich in den Herbstferien meine Eltern besuchte, hatte ich das Pech, in den schlimmsten Bombenangriff zu geraten, der Bochum traf. Das war am 4. November 1944. Während wir sicher im Hochbunker saßen, verloren im Flammenmeer vier meiner Onkel und Tanten ihr Leben.

      Ab Ende 1944/Anfang 1945 war es dann auch auf dem Land mit dem friedlichen Leben vorbei. Immer häufiger tauchten Tiefflieger auf und schossen auf alles, was sich bewegte. Die Piloten der englischen Spitfires machten sogar Jagd auf einzelne Bauern. Der Auftrag war ganz offensichtlich, Angst und Schrecken zu verbreiten.

      Deswegen war ich froh, als der Krieg endlich zu Ende ging. Es war für uns wirklich eine Befreiung. Wir wussten, dass es um das Ruhrgebiet, das noch unter deutscher Kontrolle war, eine große Zangenbewegung gab, von der es wie ein Sack eingeschnürt wurde. In dieser Zeit füllte sich das Bauernhaus in Langenstraße immer mehr. Eines Tages erschien zu meinem großen Entsetzen eine Frau, die ich völlig vergessen hatte: meine Mutter. Auch weitere Verwandte trafen ein. Besonders suspekt war mir ein Teil der Familie, der in Gelsenkirchen zu Hause