Peter Chemnitz

Ach los, scheiß der Hund drauf!


Скачать книгу

Sportler war ich Abonnent des Monatsblattes „Der Leichtathlet“. Das brachte zum Jahresende eine Jahresbilanz, in der die besten Sportler der einzelnen Disziplinen aufgelistet waren. Ich fand das interessant und kam auf eine grandiose Idee: Wenn beispielsweise eine Else Krüger vom Karlsruher SC die viertbeste deutsche Weitspringerin war, dann wusste das in Karlsruhe bestimmt kein Mensch. Ich schrieb also an die Redaktion der dortigen Tageszeitung und teilte denen das mit der Anmerkung mit, Geld könne an Friedhelm Braumann, Wiemelhauserstraße in Bochum, überwiesen werden. Ein Bankkonto hatte ich nicht. Ich schrieb fleißig Briefe an alle möglichen Zeitungen und teilte ihnen mit, auf welchen Plätzen die örtlichen Spitzenathleten standen und das wurde tatsächlich veröffentlicht. Pro Veröffentlichung gab es zwischen zwei und fünf Mark Honorar, das im Briefumschlag oder als Postscheck eintraf. Bald kaufte ich eine Schreibmaschine, die ich dann drei Jahre abzahlte.

      Von dieser Sache erzählte ich Löhlein und der fand das gut. „Du hast sehr gute Ideen. Ich glaube, du wärst ein guter Journalist. Geh doch einfach mal zum Bochumer Anzeiger und sag, du möchtest mitarbeiten.“

      Berufswunsch Fremdenlegionär: In kurzer Hose marschierte ich 1952 in ein Rekrutierungsbüro der französischen Fremdenlegion im tunesischen Kairouan. Dem Koporal war ich zum Glück zu jung und zu schmächtig.

      Ohne Abitur zum „stern“

      Mein erster Kontakt zur Welt der Medien hieß Erna und war äußerst beeindruckend. Sie war die Redaktionssekretärin des „Bochumer Anzeigers“ und eine sehr attraktive Frau um die 60, für damalige Verhältnisse auffallend geschminkt. Und sie rauchte, was ebenfalls ungewöhnlich war. Erna saß gleich hinter der Tür, an die ich geklopft hatte.

      „Guten Tag, ich möchte fragen, ob ich hier mitarbeiten könnte.“

      „Tja, da müssen wir mal sehen, ob Herr Schulte da ist.“

      Erna, auf deren Tisch eines der drei Telefone stand, über die die Redaktion verfügte, rief bei Redaktionschef Schulte an. Dieser saß zwei Zimmer weiter und war der dickste Mann, den ich bis dahin gesehen hatte.Witzig war, dass dieser nette Typ das kleinste Auto fuhr, was in Westdeutschland auf dem Markt war: den sogenannten Leukoplastbomber Lloyd. Wenn Schulte einstieg, ging das Auto auf der linken Seite erst einmal mächtig runter.

      Schulte hörte mich also an und fragte dann: „Was ist denn Ihr Spezialgebiet, wofür haben Sie besonderes Interesse?“

      „Sport.“

      „Da gehen wir mal zu Hänschen.“

      Sportredakteur Hänschen Gräwe war alles andere als begeistert. Er hatte sehr viel zu tun, denn der Sportteil wurde weitgehend von Amateuren gemacht, die über ihre Vereine berichteten. Aufgabe von Gräwe war es, daraus Tabellen zusammenzubauen. Da ich nun aber in der Tür stand, bekam ich einen Auftrag.

      „Am Wochenende finden die Hallenhandball-Bezirksmeisterschaften in der Radrennbahn statt. An diesen nehmen sechzehn Mannschaften teil, Schluss ist am Sonntag, 17 Uhr. Ich möchte, dass du mir um 18 Uhr sechzehn Zeilen ablieferst.“

      Ich bekam einen Zettel, auf dem stand, dass ich die Meisterschaften für den Bochumer Anzeiger verfolge, und wurde damit in die offene Rennbahn eingelassen. Das ganze Wochenende schaute ich mir alle Spiele an und lieferte nach dem Endspiel pünktlich meinen Text ab, den ich auf der Schreibmaschine getippt hatte. Gräwe schaute sich das an: „Junge, du hast ja wirklich sechzehn Zeilen abgeliefert. Du kannst bleiben. Du kommst am Donnerstag und dann sprechen wir über das nächste Wochenende. Und dann gebe ich dir einen Auftrag.“

      Diesen Gesinnungswandel Gräwes hatte ich dadurch hervorgerufen, dass ich genau die gewünschte Zeilenzahl geliefert hatte. Ich habe später als Chefredakteur nie erlebt, dass ein Mensch, den ich um 100 Zeilen gebeten hatte, mit unter 130 Zeilen angekommen wäre. Ich habe mein Leben lang, bei der „Neuen Revue“, bei „Quick“, „Natur“, „Globo“, „Geo“ und dem „ADAC-Reisemagazin“, Texte gekürzt.

      Posieren vor dem populärsten Sportler Deutschlands: Max Schmeling, zwischen 1930 und 1932 Boxweltmeister im Schwergewicht, war für uns junge Sportreporter der „BILD“ ein Idol.

      Die nächsten zwei, drei Monate schrieb ich jedes Wochenende über ein Fußballspiel. Hänschen Gräwe fand meine Schreibe gut, lediglich beim ersten Beitrag hatte er etwas zu beanstanden. Er deutete auf eine Zeile mit meinem Namen. „Friedhelm Braumann“ stand da.

      „Was soll das denn?“

      „Das ist mein Name. Ich heiße so.“

      „Das ist doch kein Name für einen Sportreporter. Du heißt jetzt Randolph.“

      Bei diesem Namen blieb es. Für jeden Artikel bekam ich vier Mark. Nach dem Abzug der Kosten für die Straßenbahn blieben mir 2,80 Mark. Vor allem aber machte mir diese Arbeit als Sportreporter Spaß. Das ist dein Leben, sagte ich mir. Du musst Journalist werden.

      Und ich hatte Glück. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung begann zu diesem Zeitpunkt mit ihrer großen Expansion, an deren Ende der WAZ-Konzern stehen sollte. Auch der Bochumer Anzeiger wurde gekauft und ich bekam Kontakt zum sogenannten Hauptsport. Der wurde von Wilhelm Herbert Koch geleitet, der bereits in der Nazizeit eine Rolle gespielt hatte. Im Ruhrgebiet war er populär, weil er eine Kolumne erfunden hatte, die auch heute noch jeder kennt, obwohl es sie schon seit Jahren nicht mehr gibt. Diese war im Ruhrgebietsjargon geschrieben. Das ist kein Dialekt, sondern etwas Einzigartiges; entstanden durch das Zusammenleben so vieler Nationen im Ruhrgebiet und dass man versuchte, alles so einfach wie möglich zu formulieren. Der erste Satz der Kolumne war immer gleich und hieß: „Anton, sacht der Czerwinski für mich.“ Jeder Zweite hieß ja Czerwinski, Maschinski, Gabinski, weil die Hälfte der Bevölkerung polnischer Abstammung war. Und dann kamen Geschichten wie: „Gehsse auch mit die Strümpfe im Bett?“

      Wilhelm Herbert Koch fragte mich eines Tages, ob ich nicht Lust hätte, zu ihm in den Hauptsport zu kommen.

      „Das wär doch was für dich.“

      „Sie meinen, richtig fest angestellt?“

      „Ja, natürlich. Du musst allerdings zwei Jahre als Volontär arbeiten. Kriegst nicht viel Geld, aber da musst du durch, wenn du Journalist werden willst.“

      Ich sagte zu und kündigte sofort bei Dr. C. Otto & Co. Das Entsetzen meiner Eltern war kaum zu beschreiben. Die hatten mich schon im weißen Kittel gesehen. Mir war aber längst klar gewesen, dass es mit einem Lebenszeitjob in der Kokerei nichts werden würde, weil ich nie die Abschlussprüfung bestanden hätte.

      Mein Lehrbetrieb stellte mir eine Beurteilung aus. Im letzten Satz stand: „Herr Braumann hat seine Ausbildung in unserem Haus abgebrochen, um, seiner besonderen Neigung folgend, die journalistische Laufbahn zu ergreifen. Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.“

      Frohgemut marschierte ich in das Verlagshaus und ging in den Hauptsport. Wilhelm Herbert Koch freute sich, mich zu sehen. „Schön, dass du da bist. Du musst jetzt noch schnell zu Herrn Dujardin, dem Personalchef, um die technischen Sachen klarzumachen. Das ist aber kein Problem.“ Es gab aber ein Problem. Und nicht einmal ein kleines.

      „Schule?“

      „Jakob-Meier-Realschule.“

      „Was ist denn das?“

      „Das ist eine Mittelschule.“

      „Wo haben Sie Abitur gemacht?

      „Abitur habe ich nicht.“

      „Abitur haben Sie nicht? Das geht doch gar nicht. Abitur ist Voraussetzung. Sie können ohne Abitur kein Volontariat machen.“

      „Ich habe kein Abitur.“

      „Da müssen wir gar nicht weiter miteinander reden, dann ist das Thema erledigt.