Peter Tamm, nicht vergessen konnte. Ich erstattete die Reparaturkosten und wechselte nach fünf schönen Jahren bei „BILD“ zum „Rheinischen Merkur“ nach Köln. Für die Wochenzeitung hatte ich zuvor schon ab und zu Geschichten geschrieben. Beispielsweise über Urlauber auf den Nordfriesischen Inseln. Ich kam in das Auslandsressort und hatte alle Freiheiten, die man sich als Journalist wünschen konnte. Nur eine Prämisse war einzuhalten: Es durfte nichts kosten. Das war aber kein Problem, denn viele unabhängig gewordene afrikanische Länder luden Journalisten zu Reisen ein. Es gab ständig Freiflüge und ich bin in einem Teil der Welt herumgeflogen und habe Reportagen gemacht. Die Bilder dazu lieferten Illustrierten-Fotografen, die ihre Aufnahmen an Zeitungen verkauften.
Einer dieser Fotografen, Thomas Höpker, machte die „stern“-Redaktion auf mich aufmerksam. Es gebe beim „Rheinischen Merkur“ einen Redakteur, der schreibe auffallend gute Reportagen. Als Beispiel zeigte er einen Bericht über eine Himalaya-Expedition. „Guckt euch den mal an.“ Der Chef des Auslandsressorts, Egon Vacek, zeigte sich angetan und rief mich an: Ob ich Lust hätte, nach Hamburg zu kommen und mir mal den „stern“ anzusehen? Das habe ich dann neun Jahre lang getan.
Vierzig Millionen
für Dr. med. Schumann
Die Meldung, die am 4. November 1966 aus dem Ticker lief, alarmierte die „stern“-Nachrichtenredaktion. Das höchste Berufungsgericht von Ghana hatte einstimmig entschieden, dass der frühere KZ-Arzt Dr. Horst Schumann, Jahrgang 1906, an die Bundesrepublik Deutschland auszuliefern ist. Damit war ein monatelanges Ringen zu Ende gegangen. Denn nicht nur die Westdeutschen waren an dem Fall interessiert, sondern auch die DDR. Bis dahin waren zwei Auslieferungsanträge abgelehnt worden. Schumann galt als Schützling des ghanaischen Präsidenten Kwame Nkrumah. Er war inzwischen auch Staatsbürger Ghanas. Aber der Präsident war Anfang des Jahres gestürzt worden und eine der ersten Aktionen der neuen Regierung war die Verhaftung des Arztes gewesen.
Der Fall Schumann sollte mein erster großer Auftrag für den „stern” werden, bei dem ich im Oktober als Reporter angefangen hatte. Und wie immer in meiner weiteren Laufbahn spielten Kontakte eine wichtige Rolle.
Die tägliche Redaktionskonferenz war der Höhepunkt im Alltag der Illustrierten. Alle, die etwas zu sagen hatten oder glaubten, etwas sagen zu müssen, versammelten sich. Der Leiter der Nachrichtenredaktion trug die wichtigsten Informationen des Tages vor. Die Chefredaktion entschied dann, ob wir etwas unternehmen oder nicht.
An diesem Tag kam der Nachrichtenchef mit dieser Meldung aus Ghana und erläuterte, dass dieser Dr. Schumann einer der großen Verbrecher des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten gewesen sei.
Ich hatte zuvor noch nie etwas von einem KZ-Arzt Dr. Schumann gehört, wusste aber, dass es Konzentrationslager gegeben hatte und dass es dort nicht besonders freundlich zugegangen war. Über das Euthanasieprogramm wusste ich dagegen mehr, denn ich hatte den Krieg in einem katholischen Dorf verbracht, dessen Bischof als einziger in Deutschland öffentlich gegen das Euthanasieprogramm protestiert hatte: Das war Bischof Clemens August Graf von Galen, der „Löwe von Münster”. Aber Einzelheiten kannte ich nicht. Mit Geschichte und Politik hatte ich mich zuvor kaum beschäftigt. Das Hinterfragen der NS-Vergangenheit setzte erst mit der Studentenbewegung 1966/67 ein.
Die Chefredaktion war an diesem Dr. med. Schumann interessiert, aber man wusste nicht so recht, wie die Geschichte anzupacken war. Überdies war lediglich bekannt, dass er ausgeliefert werden sollte, aber nicht, zu welchem Zeitpunkt. Unklar war auch, wie es überhaupt in Ghana aussah. Im Januar war Kwame Nkrumah, einer der großen afrikanischen Staatsführer der ersten Jahre nach der Unabhängigkeit, gestürzt worden. Dieser hatte die Auslieferung Dr. Schumanns, der als Urwalddoktor arbeitete, nicht zugelassen, obwohl die Bundesrepublik als Gegenleistung 40 Millionen DM an zusätzlicher Entwicklungshilfe angeboten hatte. Sein Nachfolger, Kofi Abrefa Busia, dachte offenbar anders über die Sache. Er hatte großes Interesse an diesen zusätzlichen 40 Millionen DM und Dr. Schumann war für ihn ersetzbar.
In der Konferenz in Hamburg wurde das alles diskutiert. Auch dass in Ghana noch immer das britische Justizsystem galt, nach dem es für Journalisten verboten sei, ins Gefängnis zu gehen, um Interviews zu führen.
„Kann man da überhaupt etwas tun?”, fragte Nannen. Da meldete ich mich und sagte: „Ich bin mit dem Oberstaatsanwalt von Ghana bekannt.”
In der Runde wurden es totenstill. Bitte? Der kennt den Oberstaatsanwalt? Ich war damals erst 31 Jahre alt, hatte aber das Glück gehabt, für den „Rheinischen Merkur” außenpolitische Reportagen schreiben zu können. Zwar war das Gehalt niedrig, dafür aber waren die Freiheiten für einen Reporter groß. Die Redaktion saß damals in Köln und alles, was an Einladungen aus den Botschaften in Bonn und Köln eintraf, landete bei mir auf dem Schreibtisch. Mir war es überlassen, ob ich zu einem Empfang gehe oder nicht. Und bei einem dieser Treffen in Bonn hatte ich einen Menschen kennengelernt, der sich als Oberstaatsanwalt von Ghana vorstellte und mit dem ich mich später in Köln auf ein Gespräch traf.
Die Regierung der Bundesrepublik hofierte damals sehr die unabhängig gewordenen afrikanischen Länder. Das hing vor allem damit zusammen, dass man fürchtete, diese könnten die DDR diplomatisch anerkennen. Wenn afrikanische Regierungen Journalisten einluden, um von ihren Aufbauleistungen zu berichten, fand sich immer ein Weg für mich, hinfliegen zu können. So war ich drei- oder viermal an der Elfenbeinküste gewesen. Dort hatte ich mich mit dem Presseattaché angefreundet, einem Franzosen – in dieser Zeit waren noch viele Beamte Angehörige der ehemaligen Kolonialmacht. Zu dem habe ich eines Tages gesagt: „Lass uns mal nach Accra fahren. Ich kenne da den Oberstaatsanwalt.” Und so sind wir von Abidjan in die Hauptstadt von Ghana gefahren, haben den Oberstaatsanwalt besucht und gemeinsam zu Abend gegessen.
In der „stern”-Redaktion war man begeistert. Chefredakteur Nannen schaute mich an.
„Trauen Sie sich das zu? Wie wollen Sie vorgehen?”
Ich stotterte herum: „Das weiß ich noch nicht. Ich kann auch nicht garantieren, dass das klappt und ich wirklich an Dr. Schumann rankomme. Ich muss einfach vor Ort sein und schauen, was sich ergibt.”
Langsam kam ich in Fahrt und legte meine Vorgehensweise vor: „Als Erstes müssen Außen- und Justizministerium kontaktiert werden um zu erfahren, wann Dr. Schumann abgeschoben werden soll. Dann werden gewiss Beamte vom Bundeskriminalamt nach Ghana fliegen, um ihn abzuholen.”
Es stellte sich heraus, dass der Termin bereits Mitte November, also binnen einer Woche war. Am nächsten Morgen flogen der Fotograf Michael Friedel und ich nach Ghana. Wir haben die Botschaft kontaktiert und mit dem Presseattaché gesprochen. Dann sind wir zu meinem Oberstaatsanwalt gefahren. Der freute sich riesig, mich zu sehen. Ich erläuterte ihm unser Anliegen.
„Ja, aber ins Gefängnis dürfen Sie nach unserem Rechtssystem nicht. Vielleicht wäre es gut, wenn Sie erst mit dem neuen Ministerpräsidenten sprechen.”
Diesen Vorschlag griff ich gern auf. Es war immer gut, bei Recherchen ganz oben in der Hierarchie anzufangen. Hatte man die Chefs für sich gewonnen, lief alles andere auch. Überdies wirkte die Visitenkarte des „stern”, der damals eine Auflage von wöchentlich zwei Millionen Exemplaren hatte, als verlässlicher Türöffner.
Ich bekam sofort einen Termin beim Ministerpräsidenten. Im Interview ging es ausschließlich um politische Fragen. Erst hinterher fragte ich nahezu beiläufig nach Dr. Schumann und ob man diesen nicht vielleicht besuchen könnte. Kofi Abrefa Busia war einverstanden und wies den Oberstaatsanwalt an, das zu regeln. Der wiederum rief den deutschen Botschafter an, der mitteilte, in zwei, drei Tagen kämen Kriminalbeamte, um Dr. Schumann aus dem Ussher Fort Prison abzuholen und nach Deutschland zu bringen.
Jetzt ging es darum, den exakten Zeitpunkt herauszubekommen, zu dem Schumann abgeholt werden sollte, und kurz davor diese Kriminalbeamten kennenzulernen. Mein Ziel war es, nicht nur über den Abtransport des Arztes zu berichten, sondern mit ihm zu sprechen. Die deutsche Botschaft in Ghana war durch das Auswärtige Amt vorgewarnt und der Botschafter sagte klipp und klar, es bestünde keine Chance, ins Gefängnis zu kommen. Noch abweisender