zu gehören, die das zu sehen bekamen. Nach 20 Minuten wurden wir wieder zurückgeflogen. Jetzt hieß es, das Material so schnell wie möglich in die Redaktionen zu bringen.
Unmittelbar nach der Landung unseres Helikopters erfuhren wir, dass eine halbe Stunde später eine Maschine nach Kopenhagen fliegt. Diese könne aber nur Material mitnehmen. Diese Chance nutzten natürlich die Fotografen. Die Bilder waren viel wichtiger als die Geschichten. Die hätte man in Hamburg auch aus Agenturmaterial machen können, wobei es aber für eine Zeitschrift schöner ist, schreiben zu können, die eigenen Leute sind dabei gewesen. Fred Ihrt gab jedenfalls seine Filme mit einigen schnell geschrieben Notizen ab. Mir riet er, alles in Bewegung zu setzen, damit ich meine Geschichte schnell nach Hamburg kabeln könne. Satellitenverbindungen gab es ja damals noch keine, nur eine Telefonverbindung nach Labrador in Kanada. Es meldete sich ganz leise eine Dame, die mich auf meinen Wunsch, mit Hamburg in Germany zu sprechen, erst einmal mit New York verband. Von dort landete das Gespräch in einer Zentrale in Frankfurt am Main und wurde schließlich in die „stern“-Redaktion nach Hamburg umgeleitet. Ich schrie der Sekretärin meine Geschichte durch und war anschließend völlig glücklich. Und dann kam ein Eissturm, der uns für Tage in die Baracken verbannte.
Abenteuerlich war auch die Rückreise nach Europa. Nach dem Ende des Eissturms wurde uns angeboten, mit einer Maschine der US-Air Force in die USA zu fliegen. Einige der Journalisten wollten lieber auf einen Flieger nach Kopenhagen warten, aber ich kletterte mit Fred Ihrt und weiteren Reportern über eine Steigleiter in den achtstrahligen Boeing-Militärtransporter. Da man uns die Arktiskleidung wieder abgenommen hatte, fror ich prompt mit den Händen an der eisigen Leiter an und riss mir Hautfetzen ab. In der Maschine war es genauso kalt wie draußen, da die Ladeklappen offenstanden. Ich erlebte das, was ich bis dahin nur aus Landser-Heften über den Russlandfeldzug und Stalingrad gelesen hatte: 20 Journalisten kauerten sich ganz eng zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Schließlich war alles verladen, die Klappen gingen zu und die Maschine startete. Gleichzeitig fuhr die Heizung hoch und innerhalb weniger Minuten wurde es kochend heiß. Bis auf einen Schützenpanzer war der ganze Frachtraum leer. Wir saßen an den Wänden auf Bänken wie in den Filmen die Fallschirmjäger, bevor sie an die Luke geführt werden, um rauszuspringen. Eine Toilette gab es nicht, nur ganz hinten ein paar Rohre zum Reinpinkeln.
Nach einer Zwischenlandung in Neufundland, wo wir an Bord blieben, landeten wir auf einem Luftwaffenstützpunkt in Newark im Bundesstaat New Jersey, etwa 30 Kilometer südlich der Stadt New York. Bis dahin hatte ich über Passangelegenheiten nicht nachgedacht, jetzt aber wurde das zu einem Problem. Fred Ihrt hatte einen Pass mit amerikanischem Visum, ich einen Pass ohne amerikanisches Visum. Mir wurde mitgeteilt, ich dürfte gar nicht hier sein. Geduldig fing ich an, den Behörden zu erklären, dass ich von der US Base Thule käme, Journalist sei, über den Bomberabsturz geschrieben hätte und nur nach Europa zurückwolle.
Tja, hieß es, man müsse mich sofort zum internationalen Flughafen bringen und die bundesdeutsche Botschaft informieren: Ich würde abgeschoben. Das war ein Erlebnis. Bis dahin war mein Bild von den Amerikanern als Befreier 1945 positiv geprägt gewesen, durch diese Aktion hat es sich verändert. Nicht, dass ich schlecht behandelt wurde, aber ich wurde abgeschoben. Seitdem weiß ich, dass die amerikanische Bürokratie jede andere Bürokratie in der Welt übertrifft. Man brachte mich mit einem Miliärfahrzeug zum internationalen Flughafen. Dort empfing mich der deutsche Presseattaché mit der Frage: „Was haben Sie denn gemacht?“ Dann wurde ich in die nächste Lufthansa-Maschine nach Europa gesetzt. Als ich wieder in der „stern“-Redaktion erschien, war unser Beitrag, mehrere Seiten lang und mit vielen Fotos versehen, längst erschienen. Und, was damals äußerst wichtig war, eine Woche früher als die Geschichte im „Spiegel“.
Übrigens habe ich lange geglaubt, dass die vier Wasserstoffbomben noch immer im Meer schlummern, wie uns damals die amerikanischen Militärs versichert haben. Gewundert hatte mich nur, dass die amerikanischen Soldaten und die dänischen Spezialisten, die da mehrfach zur Absturzstelle geflogen worden waren, ziemlich unzeitgemäß verstarben. Es musste also doch sehr gefährlich gewesen sein. Im Internet kann man jetzt nachlesen, dass die Amerikaner 57 Millionen Liter radioaktiv verseuchten Schnee in versiegelten Spezialcontainern abtransportiert haben. Und aus einem in US-Archiven entdeckten Schreiben von General Edward B. Giller an die US-Atomenergiekommission ist die Rede davon, dass das Flugzeugwrack und drei der Bomben beziehungsweise Bruchstücke von ihnen gefunden wurden. Was aus der vierten Wasserstoffbombe – jener mit der Nummer 78252 – wurde, darüber gehen die Meinungen auseinander. Im August 2000 berichtete die dänische Zeitung „Jyllands Posten“, diese Bombe würde noch immer im Meer liegen. Prompt dementierte das ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, alle vier Bomben seien durch das Feuer zerstört worden. Uns wurde damals gesagt, sie seien alle mit dem Wrack versunken.
Die Rache des
Bundespräsidenten Lübke
„Allah, das ist Deutschland“ – unter dieser Schlagzeile berichtete der „stern“ über die letzte Auslandsreise des Bundespräsidenten Heinrich Lübke 1968. Mit dem bundesdeutschen Staatsoberhaupt waren auch Fotograf Fred Ihrt und ich unterwegs, mit dem klaren Auftrag festzuhalten, wie Lübke Gastgeber und Protokoll zur Verzweiflung bringen würde. Und davon sollte es auch diesmal wieder genug geben.
Während seiner Amtszeit war der Sauerländer Heinrich Lübke ununterbrochen Gegenstand der kabarettistischen Belustigung. Es ging so weit, dass die Münchner Lach- und Schießgesellschaft mit Dieter Hildebrand nicht mehr im Fernsehen auftreten durfte, weil der Bayerische Rundfunk befürchtete, dass der Bundespräsident in diesen Sendungen beleidigt würde. Und je mehr Lübke in Deutschland Hohn und Spott ausgesetzt war, desto mehr schien er ins Ausland zu flüchten.
Trotzdem frage ich mich heute noch, warum haben wir Heinrich Lübke, Präsident der Bundesrepublik Deutschland, so unbarmherzig verfolgt? Er hatte uns Journalisten nichts getan. Er hatte auch dem deutschen Volk nie etwas Böses angetan. Und bei den Staatsbesuchen im Ausland, von denen es eine ganze Menge gab, ist er ausgesprochen gut angekommen. Jedenfalls haben mir Afrikaner oft gesagt, was für ein sympathischer Mann doch dieser ältere Herr mit den weißen Haaren sei. Andererseits wussten wir Journalisten, dass bei seinen Reden immer etwas Seltsames passierte.
Die Kampagne der deutschen Medien gegen Lübke ging bereits mit seiner Wahl zum Bundespräsidenten 1959 los. Er war bis dahin für Landwirtschaft und Ernährung zuständig und galt als einer der einfältigsten Minister in der Regierung. Bundespräsidentenkandidat wurde er nur, weil Konrad Adenauer, der eigentlich für diesen Posten vorgesehen war, sich plötzlich weigerte. Adenauer war klar geworden, wie nutzlos und politisch unbedeutend dieses Amt war.
Die CDU, die Lübke loswerden wollte, sagte, gut, dann wird er also Präsidentschaftskandidat. Ich kann mich noch an Zeitungsüberschriften erinnern: „Ausgerechnet Lübke!“ Es herrschte unter den Kollegen eine allgemeine Fassungslosigkeit, wie man auf die Idee kommen konnte, ausgerechnet diesen Menschen zu nominieren. Zumal Lübke gegen den populären Intellektuellen Carlo Schmitt antrat, den die SPD präsentierte – damals gab es tatsächlich noch richtig spannende Wahlen.
Was Lübke in den Augen vieler, auch in meinen, verdächtig machte, war, dass er Sauerländer und überdies in einer einklassigen Dorfschule großgeworden war. Sauerländer gelten im Westen als Hinterwäldler. Jeder Westfale erkennt den Sauerländer an seiner Sprache. Er kann nicht einfach „sch“ sagen, sondern spricht beispielsweise Schule als „Sch-chule“ aus. Die größte Stadt des Sauerlandes ist Meschede, da sagt der Sauerländer „Mesch-chede“, die Maschine ist die „Masch-chine“. Es kommt dann noch dazu, dass er kein „G“ wie Gustav sagt, sondern wie ein Holländer spricht: Er geht nicht, sondern er cheht.Letztlich wurde aber Lübke gewählt, weil die Koalitionsparteien CDU, FDP und der damals in der Regierung vertretene Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) eine Mehrheit hatten. Und er wurde 1964 sogar noch einmal wiedergewählt. Dagegen wehrte sich der Leiter des Präsidialbüros. Er sprach etwas aus, was wir in den Redaktionen auch schon diskutiert und geahnt hatten: Heinrich Lübke war schwer krank. Er litt unter Sprechstörungen und Gedächtnisverlust. Aber das wollte niemand hören. Der Büroleiter wurde als Botschafter nach Rom abgeschoben und Lübke sogar von der SPD gewählt. Zuvor hatte