Peter Chemnitz

Ach los, scheiß der Hund drauf!


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So liefen die Spiele in der Bonner Republik.

      Lübke hat in seiner Amtszeit reihenweise Staatsbesuche gemacht. Er war beinahe ununterbrochen auf fernsten Kontinenten unterwegs und hat von den Philippinen bis Tschad jedes unabhängige Land besucht. Als ich 1966 zum „stern“ kam, waren seine Sprechweisheiten schon legendär. So nannte er beispielsweise bei einer Japanreise die Millionenstadt Osaka mehrfach in öffentlichen Reden Okasa. So hieß aber ein sehr populäres Potenzmittel. Die Frau des Staatsspräsidenten von Madagaskar, Justine Tsiranana, sprach er mit Frau Tananarive an. So hieß die Hauptstadt. In Liberia begann er 1962 seine Begrüßungsansprache mit den Worten: „Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger.“ Das ist alles bezeugt. „Neger“ war damals noch kein Schimpfwort, aber Lübke hat schon einen Unterschied zwischen Negern und anderen Menschen gemacht.

      Ich selbst erlebte Lübke beim Abschiedsempfang in Tunesien. Protokollgemäß hatte diesen die deutsche Botschaft organisiert. Eine tunesische Kapelle intonierte zu Ehren des hohen Gastes das Deutschlandlied. Die arabische Instrumentierung gab der ehrwürdigen Melodie Haydns einen orientalisch-melancholischen Klang und die Gäste des Staatsbanketts im „Hotel Tunis“ blickten gerührt auf den netten weißhaarigen Präsidenten jenes Landes, das eine so schöne Nationalhymne hat. Bundespräsident Lübke aber blickte nicht gerührt, sondern böse. Plötzlich drehte er sich zu seinem Dolmetscher um: „Sagen Sie ihm, dass die Musik schlecht ist.“ Dabei deutete er mit dem Daumen zu Tunesiens Präsidenten Burgiba. Dolmetscher Nikolaus Merten zog ein weißes Tüchlein aus der Frackweste, tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn, straffte sich und wandte sich strahlend an Burgiba, der sich herüberneigte, weil er glaubte, Lübke hätte etwas Wichtiges gesagt: „Herr Präsident Lübke bemerkt zu Recht, dass die unterschiedliche Interpretation einer Hymne sehr reizvoll sein kann und dass ...“

      „Sagen Sie ihm, die Musik spielt falsch.“ Bundespräsident Heinrich Lübke hat reihenweise Staatsbesuche absolviert. Mir gab er nur zögernd die Hand.

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      „Sagen Sie ihm, die Musik spielt falsch.“

      „... Jawohl, also dass eine arabische Kapelle eine europäische Hymne ganz anders spielt, als es etwa eine deutsche Kapelle tun würde ...“

      „Was erklären Sie eigentlich dauernd? Sagen Sie ihm, dass die Musik schlecht ist.“

      Während er übersetzte, schrieb Dolmetscher Merten hektisch einen Zettel und reichte diesen dem ihm gegenüberstehenden Protokollchef: „Bitte sofort die Tafel auflösen.“ Der wusste, wie er auf den Hilferuf zu reagieren hatte. Schlimmeres war zu verhindern. Hans Schwarzmann setzte sein charmantestes Lächeln auf und sagte: „Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir bedanken uns herzlich. Es war sehr angenehm in Tunesien.“

      Es war immer wieder der Dolmetscher, der Aussagen von Lübke geradebiegen musste. Mitunter griff auch Wilhelmina Lübke ein, zehn Jahre älter als ihr Mann, ihm geistig weit überlegen und gut in Fremdsprachen. Sie schnitt kurzerhand dem Dolmetscher das Wort ab und übersetzte an seiner Stelle. So verhinderte sie gleich zu Beginn des Staatsbesuchs in Tunesien einen Fauxpas. Der Mercedes 600 mit dem Ehepaar Lübke, dem tunesischen Präsidenten Habib Burgiba und dem Dolmetscher rollte samt Ehreneskorte vom Flughafen Karthago zur Hauptstadt Tunis. Der Weg führte am Gefängnis vorbei, in dem die Franzosen den Freiheitskämpfer Burgiba 1935 bis 1937 eingekerkert hatten.

      „Da drinnen habe ich in den 30er Jahren lange genug gesessen.“

      „Verhaftet?“

      „Ja.“

      „Dann wird er es verdient haben.“

      Hier griff der Dolmetscher ein und übersetzte:

      „Das war wohl eine schwere menschliche Prüfung für Sie, Herr Präsident.“

      Daraufhin hat sich dann Wilhelmina Lübke eingeschaltet: „Heinrich, lass das jetzt. Wir können hinterher darüber reden.“

      Als ihm der Präsident später in seinem Arbeitszimmer stolz Fotokopien jener Steckbriefe zeigte, mit denen die Franzosen in den 30er Jahren die tunesischen Freiheitskämpfer gesucht hatten, war auf einer Burgiba zu sehen. Dieser wurde wegen Landfriedensbruchs, Anstiftung zum Aufruhr und zum Rassenhass gesucht. Lübke, am Abend zuvor in Burgibas Bankettrede als „soldat de la liberté“ (Kämpfer für die Freiheit) gefeiert, fand in den Porträts der tunesischen Nationalhelden einen völlig neuen Aspekt: „Die sehen ja aus, als wenn man sie aus dem Keller gezogen hätte.“

      Der Kerl hat sich mit seinen 74 Jahren aufgeführt wie ein störrisches Kind. Er wollte immer seine Meinung zum Ausdruck bringen. Mehrfach forderte er Schwarze auf, sich regelmäßig zu „wasch-chen“. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass er die dunkle Hautfarbe darauf zurückführte, dass da irgendwie zu wenig Seifenweißer zugeführt worden war. Das Protokoll hat verzweifelt versucht, ihn irgendwie zu leiten. Er bekam Sprechzettel mit ganz großer Schrift. Er konnte auch schlecht sehen. Aber er ist dann immer vom Manuskript abgewichen.

      Beim Ehrenempfang für das Diplomatische Korps in Tunis riet er dem Botschafter der Wüsten-Republik Niger mit vorgehaltenem Zeigefinger: „Sie habe ja in Ihrem Lande so wenig Wasser. Da müssen Sie mal in den Flussläufen bohren.“ Während sich der Bundespräsident dem nächsten Diplomaten zuwandte, flüsterte der Niger-Botschafter dem neben ihm stehenden schwedischen Vertreter zu: „Allah, ca c’est l’Allemagne! – Allah, das ist Deutschland!“

      Einer anderen Episode verdanke ich meine langjährige Freundschaft mit dem Präsidenten Togos, Etienne Guassingbe Eyadema. Ich hatte ihn bei einer Recherche kennengelernt, wir waren fast gleichaltrig und einander sofort sympathisch. Gegen Eyadema führte Heinrich Lübke einen privaten Rachefeldzug. Er hielt den 31-jährigen General für den Mörder seines Freundes Sylvanus Olympio. Dieser war als erster Staatschef Afrikas einem Putsch seiner Soldaten zum Opfer gefallen.

      Olympio hatte etwas, was Lübke sehr angenehm empfunden hatte: Er sprach nicht nur ausgezeichnet Portugiesisch, Französisch, Englisch und Ewe, sondern auch Deutsch. Das brachte ihm die tiefe Freundschaft Heinrich Lübkes ein, der sich mit diesem Staatsmann wie mit kaum einem anderen Auslandsgast mühelos verständigen konnte. Als dieser Mann am 13. Januar 1963 vor der amerikanischen Botschaft getötet wurde, sann Lübke auf Rache. Den Initiatoren des Putsches sollte kein Deutscher mehr freundschaftlich die Hand drücken. Als dann Anfang 1966 der Staatsbesuch in Togo anstand, dachte sich der Bundespräsident etwas ganz Besonderes aus, um dem damaligen Oberbefehlshaber der Armee, Eyadema, nicht die Hand geben zu müssen. Auf dem Flug von Nigeria in die ehemalige deutsche Kolonie ließ er sich einen Verband um den rechten Unterarm legen und verkündete, sich diesen verstaucht zu haben. Man nahm ihm das auch ab und bei der offiziellen Begrüßung gab es nur ein gegenseitiges Kopfnicken. Enttäuscht waren einige Veteranen der früheren deutschen Schutztruppe, die dem deutschen Präsidenten gern die Hand gedrückt hätten.

      Problematischer wurde es bei der großen Feier im Hafen, den die Deutschen bauten. Einige der Gäste, die nahe bei Lübke standen, begannen seine linke Hand zu drücken. Die war ja nicht verbunden. Auch Staatspräsident Nicolas Grunitzky gab Lübke die linke Hand und dann kamen alle Minister, und dann kam Eyadema. Da drehte sich Lübke um und steckte die linke Hand in die Jackentasche.

      Die Togolesen empfanden das als anmaßend und beleidigend, schwiegen aber. Zwei Jahre später sollte Eyadema, der inzwischen Grunitzky gestürzt hatte und selbst Präsident geworden war, Deutschland besuchen. Noch immer war Heinrich Lübke Bundespräsident und sann auf Rache. Das hatte übrigens auch während eines Neujahrsempfangs der Botschafter des südafrikanischen Königreichs Lesotho, Kotsokoane, zu spüren bekommen, wie der „Spiegel“ damals genüsslich berichtete. „Mein alter Freund Olympio ist von Ihrem Präsidenten ums Leben gebracht worden.“ Der Botschafter zeigte sich fassungslos: „Nein, nein, das kann nicht sein. Mein Präsident lebt noch.“ Lübke korrigierte, er meine den Vorgänger. „Mein Präsident hat noch keinen Vorgänger, wir sind doch erst vor eineinhalb Jahren unabhängig geworden.“ Lübke soll den Einwand abgewiesen haben: „Ach was, das sind doch alles nur Ausflüchte.“

      Vor Eyademas