die Geschichte vor.“
„Gut, wo ist sie untergebracht?“ – „Im Hotel ‚Berliner Tor‘.“
Dort fuhr ich hin und erkundigte mich nach Riefenstahl. Die sei in ihrer Suite, hieß es. Wie ich später in ihren Memoiren las, befand sie sich damals in einer Phase der völligen Armut. Die Tatsache, vom „stern“ nach Hamburg eingeladen zu sein, hat sie offensichtlich sehr genossen. Ich klopfte also an die Tür und sagte, wer ich war. Und dass ich die Geschichte für den „stern“ schreiben würde.
„Ich lege Ihnen den Text morgen zum Frühstück vor und Sie sagen, ob er in Ordnung ist. Und dann drucken wir ihn.“
„Ach, junger Mann, das geht doch gar nicht. Es ist doch jetzt schon später Abend.“
Ich redete mit Engelszungen auf die Frau ein: „Lassen Sie es uns doch versuchen, Frau Riefenstahl. Wir setzen uns zwei Stunden zusammen, Sie erzählen mir von ihren Eindrücken, ich fahre dann nach Hause und versuche, die Geschichte bis morgen früh rund zu bekommen. Ich komme acht Uhr zum Frühstück ins Hotel. Sie lesen das und dann sind wir durch.“
Leni Riefenstahl ließ sich überreden und erzählte: Als sie sich auf die Suche nach den Nuba machte, war sie, Jahrgang 1902, schon knapp 60 Jahre alt. In Deutschland war sie seit Kriegsende wegen ihrer in der Nazi-Zeit entstandenen Filme und ihrer Nähe zum Führer verfemt, in Afrika entdeckte sie bei den sudanesischen Ureinwohnern plötzlich eine ganz neue Welt. Übrigens war es wiederum ein Foto im „stern“, das für sie die Initialzündung auslöste: das Bild eines muskulösen, mit weißer Asche bestäubten Nuba-Ringkämpfers. Mir erzählte sie sehr bildhaft, wie sie über die Berge geklettert war, diese Menschen kennengelernt und ihr Vertrauen gewonnen hatte.
Ich fand diese Schilderungen spannend. Daraus eine Geschichte zu schreiben, das schien mir überhaupt kein Problem zu sein. Auf jeden Fall, sagte ich mir, würde das einfacher als seinerzeit, als mir Nannen 200 Seiten Erinnerungen von Swetlana Stalin in die Hand drückte. Diese Erinnerungen musste ich erstmal komplett überfliegen, bevor ich etwas schreiben konnte. Leni Riefenstahl erzählte dagegen in Sprachbildern, die genauso beeindruckend waren wie ihre Fotos. Gegen Mitternacht verabschiedeten wir uns.
Einen schönen Einstieg glaubte ich schon gefunden zu haben: „Ich hatte zwei Stunden anstrengenden Aufstieg hinter mir, bog um eine Ecke und dann sah ich ihn: einen wunderschönen Mann, vielleicht 20 Jahre alt, und er war nackt.“ In diesem Stil habe ich, um den Leser in die Geschichte hineinzuziehen – es wäre ja kein schlechter Einstieg gewesen – geschrieben. Und es gab auch seriöse Teile. Es ging nicht nur um die Nacktheit, denn auch in anderen Teilen Afrikas läuft man nackt herum.
Optimistisch fuhr ich heim und schrieb die Geschichte auf. Erst im Nachhinein begriff ich, dass es ein Fehler war, die ganze Geschichte so boulevardesk anzufangen. Am nächsten Morgen bin ich frohgemut und zufrieden mit meinem Text pünktlich acht Uhr im Hotel erschienen. Ich hatte die ganze Nacht gearbeitet, war strikt trocken, hatte keinen Schluck Alkohol getrunken, dafür aber ganz viel Kaffee. Ich war high und dachte, sie liest das und dann wird das gedruckt.
Leni Riefenstahl nahm sich die Blätter und begann zu lesen: „Ich ging um die Ecke und da stand er. Er war 20 Jahre und nackt.“ Und da hörte ich ihren Aufschrei.
„Nein! Das ertrage ich nicht! Ich denke, ich bin mit einem seriösen Blatt zusammen und dann diese Diktion und diese Art der Darstellung! Das ist völlig unmöglich. So kann das nicht veröffentlich werden.“ Sie kreischte, weinte echte Tränen, warf mir den 25.000-DM-Scheck Nannens vor die Füße und schrie, sie habe sich noch nie so in einem Menschen getäuscht wie in mir.
Sie war völlig außer sich und weigerte sich, mehr als den ersten Absatz zu lesen. Sie gab mir zu verstehen, dass sie mit mir nichts mehr zu tun haben wollte. Sie dachte, das geht so weiter. In ihren Memoiren schrieb sie später, der Text „war nicht schlecht, im Gegenteil, er war journalistisch glänzend geschrieben, aber was da stand war zu sensationell und meinen Empfindungen diametral entgegengesetzt“.
„Tja“, habe ich gesagt, „Frau Riefenstahl, dann fahre ich jetzt zurück in die Redaktion und sage Herrn Nannen, dass das mit der Geschichte nichts wird oder Nannen muss eine andere Lösung finden.
Ich sagte „Adieu“ und setzte mich in ein Taxi, fuhr in die Redaktion und ließ mich beim Chefredakteur anmelden.
„Herr Nannen, hier ist mein Text, aber ich kann Ihnen gleich sagen, Leni hat ihn abgelehnt. Sie hat sogar mehrfach aufgeschrien und sie hat geweint. Ich will mit der nichts mehr zu tun haben. Wenn Sie noch mal mit ihr verhandeln wollen, dann müssen Sie jemand anderen hinschicken. Die Frau macht mich fertig. Ich habe mich wirklich bemüht und die hat geschrien und geweint.“ Mit dieser hysterischen Ziege will ich nichts mehr zu tun haben.
Nannen sah mich nachdenklich und seltsam an.
„Randy, kennen Sie denn nicht Leni Riefenstahl? Haben Sie noch nie etwas über sie gelesen? Leni weint und schreit immer. Auch wenn sie verliebt ist, weint und schreit sie erstmal. Das macht sie doch immer so, wenn sie ihren Willen durchsetzen will. Deshalb hatte schon Goebbels Angst vor ihr.“ Nannen wusste, wovon er redete: In Lenis weltweit verfilmten und mit Ehrungen überhäuften Olympia-Film hatte er mitgespielt. Denn groß, blond und blauäugig entsprach er dem Riefenstahl´schen Männlichkeits-Ideal. Er erklärte mir, wie die Sache „ganz leicht“ zu retten sei: mit einem gewaltigen Blumenstrauß, einem formvollendeten Handkuss und dann aber mit bestimmtem Auftreten.
„Fahren Sie ins Hotel, nehmen Sie Leni und kommen mit ihr in die Redaktion zurück. Wir werden dann alles klären.“
Ich fuhr also wieder ins Hotel, überreichte den Blumenstrauß und verhielt mich wie geheißen nach Art des Herrenmenschen. Leni Riefenstahl schrie auf: „Nein, das ist ja wunderschön! Aber trotzdem, Ihr Text ist unmöglich, der kann nicht veröffentlicht werden.“
„Frau Riefenstahl, ich habe mit Herrn Nannen darüber gesprochen. Wir können jederzeit ändern. Wir haben noch ein paar mehr Stunden Zeit, als er ursprünglich gesagt hat. Ich möchte Sie bitten, mit mir in die Redaktion zu kommen, da können wir über alles sprechen.“
Sie war tatsächlich einverstanden und wir fuhren zusammen in die Redaktion. Nannen, der den Text inzwischen gelesen hatte, redete gleich los: „Aber Leni, das ist der erste Absatz. Wir können ändern und auch ganz anders in die Geschichte einsteigen. Sie haben das letzte Wort hier. Sie entscheiden, wie wir publizieren.“
Das schmeichelte ihr und sie war einverstanden. In ihren Memoiren schildert sie die Szene. Sie schreibt, sie hätte sich an die Schreibmaschine gesetzt und geändert. Ich habe das so in Erinnerung, dass ich an der Schreibmaschine saß und neben mir Leni Riefenstahl. Gemeinsam gingen wir alles Zeile für Zeile durch. Und sicher hat sie den einen oder anderen Satz geändert, aber im Wesentlichen ist die Geschichte so geblieben, wie ich sie geschrieben hatte. Quasi in letzter Minute war alles fertig und der Text ging nach Gütersloh, wo der „stern“ gedruckt wurde.
Der Beitrag erschien wie von Nannen gewünscht in der Weihnachtsausgabe und hat international hohe Wellen geschlagen. Nach der Veröffentlichung der Story war Leni wieder im Geschäft – ich gebe allerdings zu, wegen der Fotos und nicht wegen des Textes. Aber der gehörte eben dazu.
Auch die Kollegen, die in Oppostion zu Nannen standen und es als Skandal empfanden, Riefenstahl ins Blatt zu rücken, verstummten vorübergehend. Die Fotos waren einfach zu gut.
Leni Riefenstahl und ich hatten uns an diesem Nachmittag freundlich mit Küsschen links und rechts verabschiedet. Leider sollte ich sie nie wiedersehen, aber faszinierend war diese Frau durchaus. Freunde wären wir gewiss nicht geworden, das war klar. Sie war nicht meine Frau und ich nicht ihr Kerl. Die Chemie passte nicht. Ich war ihr ein bisschen zu grob und sie mir zu zickig.
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