dachte ich mir, musste er ja heftig Informationen geliefert haben. Aber dies aus einem Land, dessen Geheimdienst in einer ganz anderen Liga spielte als der deutsche? Irgendwie bot sich die Vorstellung an, dass da jemand auf zwei Schultern getragen wurde.
Es gab eine herrliche Szene, als Manfred Bissinger zu mir ins Redaktionszimmer kam. Er legte mir die Hand auf die Schulter und sagte: „Gratuliere, das hätte ich nicht gedacht, dass du nicht dabei bist. Du stehst nicht auf der Liste.“ – „Welche Liste?“, fragte ich erstaunt. „Auf der BND-Liste.“ Weil ich diesen Hype um Willy Brandt nicht mitmachte, galt ich als Faschist und ein solcher musste in den Augen Bissingers natürlich auch für den BND arbeiten. Nun räumte er ein, sich getäuscht zu haben.
Ich verzieh Bissinger und arbeitete weiter an meinem Bericht für den MI6, den britischen Auslandsgeheimdienst. Denn natürlich hatte ich den Verlockungen nicht widerstehen können. Das hing mit dem charmanten Geschäftsmann Anthony Divall zusammen. Kennengelernt hatte ich ihn während des Biafra-Kriegs. Als dieser begann, war Biafra noch von keinem unabhängigen afrikanischen Land anerkannt worden. Deswegen war es kompliziert, hinzukommen. Die Hilfsflugzeuge, die von Lissabon aus flogen, mussten entweder auf damals portugiesischem oder spanischem Gebiet zwischenlanden, also entweder auf Sao Tomé oder Fernando Po vor der afrikanischen Westküste. Erst im Laufe des Jahres 1967 verbesserte sich die Situation, weil die Elfenbeinküste diplomatische Beziehungen mit Biafra aufnahm und nun dort Station gemacht werden konnte.
Bei den Reisen nach Biafra übernachtete ich häufig im Hotel „Tivoli“ in Lissabon. Zur Übernachtung gehörte stets ein abendlicher Barbesuch, denn zu dieser Zeit war ich ein großer Anhänger des Barlebens. Es war für mich völlig unvorstellbar, in einem großen Hotel ins Bett zu gehen, ohne zuvor an der Bar gewesen zu sein. Auch war das für die Kontaktpflege wichtig. Schließlich war es nicht selbstverständlich, dass Reporter von einer der von Hilfsorganisationen gecharterten Maschinen mitgenommen wurden. Aber ich hatte enge Kontake zur katholischen Caritas Internationalis, die einen Großteil der Flüge nach Biafra bezahlte, weil dort vor allem Katholiken lebten. An der „Tivoli“-Bar lernte ich eines Abends den Engländer Anthony Divall kennen und bald auch schätzen. Für die nächsten 30 Jahre zählte er zu meinen besten Freunden.
Tony war Unternehmer und hatte ein eigenes Flugzeug, mit dem er Hilfsflüge in die Kriegsgebiete der ganzen Welt organisierte. Er hatte die Luftbrücke des eingetragenen Vereins „Fördergesellschaft Afrika“ nach Biafra organisiert sowie Flüge in den Südsudan, wo animistische und christliche Schwarze gegen die Vorherrschaft der mohammedanischen Nordsudanesen rebellierten. Und natürlich flog er auch Waffen nach Biafra. „Wir sind nicht auf Milchpulver-Transporte spezialisiert“, sagte er einmal. Ich selbst bin mit ihm mehrere Male nach Afrika geflogen.
Vor allem aber hatte Anthony Divall eine interessante Geschichte. Als 18-jähriger Royal-Marine war er nach Deutschland gekommen und hatte uns befreit. Als seine Einheit auf den Elbwiesen bei Lauenburg erfuhr, dass der Krieg zu Ende sei, wollte er in Deutschland bleiben und meldete sich zum militärischen Geheimdienst, dem Military Intelligence Service, Section 6 (MI6). Er wurde nach Berlin versetzt und arbeitete dort in den ersten zwei, drei Nachkriegsjahren. Dann aber machten die Briten die für sie schreckliche Entdeckung, dass der Berliner Büroleiter ein Doppelagent war und sie lösten das Büro komplett auf. Fortan war Anthony Divall als freiberuflicher Waffenhändler tätig und wurde vom MI6 immer dann eingesetzt, wenn Großbritannien irgendwelche Bewegungen mit Waffen unterstützen wollte, das aber nicht bekannt werden sollte.
Irgendwann fragte mich Tony, ob ich mir vorstellen könnte, ihm hin und wieder Informationen zu liefern. Er spielte gleich mit offenen Karten: „Ich bin eine Art Relaisstation für den MI6 und du, Randy, bist häufig in afrikanischen und arabischen Ländern unterwegs. Und was da passiert, interessiert uns Engländer sehr.“ Nun war mir Divall sympathisch und irgendwie auch der britische Geheimdienst. Ich wusste einiges aus Kriminalromanen und auch James Bond war schon erfunden. Das Ganze erschien mir seriös.
Ich lieferte Tony also die ersten Informationen und die waren offenbar gut, denn nach einiger Zeit wurde mir mitgeteilt, dass mich ein Geheimdienstmitarbeiter aus London kennenlernen möchte. Es war ein gewisser Donald, er kam nach Hamburg und ich habe mit ihm die Reeperbahn besucht. Der Brite war hin und weg. Hamburg war damals meines Wissens die einzige Stadt der Welt, wo auf der Bühne echter Sex gezeigt wurde. Das war eine Attraktion weltweit und das wollte man sehen. Donald kam bald öfters nach Hamburg und bat mich stets, mit ihm die Reeperbahn zu besuchen. Auch ich freute mich auf seine Besuche, denn er brachte immer einen Briefumschlag mit meinem Agentenlohn mit. Das war für mich sehr schönes privates Geld, über das ich mit meiner Familie nicht redete, das für mich privat zur Verfügung stand. Unter anderem auch für den einen oder anderen Besuch der Reeperbahn.
Die Zusammenarbeit mit dem MI6 lief sehr sauber und professionell ab. Die Geschichte endete erst Jahre später mit dem Falklandkrieg 1982. Ich arbeitete für das Reportagemagazin „Geo“, als die Briten zu mir mit einem sehr gut durchdachten Vorschlag kamen. Man habe gewisse Kontakte zu meinem Chefredakteur und es gebe die Möglichkeit, dass dieser mir vorschlage, eine mehrwöchige Reportagereise durch Patagonien zu machen. Dabei sollte ich die Küste entlangfahren und mir alles notieren, was mir an argentinischen Artillerie- und Raketenstellungen auffalle. Nun war aber auch in Deutschland bekannt, wie die Stimmung in Argentinien war und dass die dort regierende Militärjunta Jagd auf Spione machte. Einige waren schon geschnappt und zu Gefängnisstrafen von bis zu 30 Jahren verurteilt wurden. Dass ich mich einem solchen Risiko aussetzen sollte, behagte mir gar nicht. Das war mir wirklich zu gefährlich und ich beschloss, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, die Zusammenarbeit mit dem MI6 zu beenden. Die waren einverstanden. „Okay. Wir verstehen das. Sache erledigt. Mund halten.“ Es wurde ein Schlussstrich gezogen und es galt für beide Seiten das Schweigegebot. Wir trennten uns als Freunde. In summa waren unsere 15 Jahre Zusammenarbeit davon geprägt, dass beide Seiten profitierten. Ich jedenfalls kann mich nicht beklagen.
Blumen für Leni
Beim Comeback der Filmregisseurin Leni Riefenstahl (1902-2003) als weltweit beachtete und anerkannte Fotografin hat der „stern“ eine große Rolle gespielt. 1975 erschien eine Fotostrecke, die als „beste fotografische Leistung des Jahres“ mit der Goldmedaille des Art-Directors-Club Deutschland ausgezeichnet wurde. Bereits 1969 war im „stern“ die Fotostrecke „Leni Riefenstahl fotografiert die Nuba – Was noch nie ein Weißer sah“ veröffentlicht. Die Aufnahmen, die Leni Riefenstahl im Südsudan gemacht hatte, waren wirklich hervorragend.
Es war unser Art-Director Rolf Gillhausen, der auf die Fotos gestoßen war. Der Mann war ein richtiger Bildkünstler, wie es sie heute nicht mehr gibt. Er kannte weltweit die großen Fotografen und wusste genau, was in anderen Blättern erschienen war. Als Fotograf war er der erste westliche Journalist, der China besucht und eine Geschichte unter der Schlagzeile „Die blauen Ameisen“ im „stern“ geschrieben hatte, weil alle Chinesen blau gekleidet waren. 1956 fotografierte er beim Aufstand in Ungarn, wie die aufgebrachte Bevölkerung Jagd auf Mitarbeiter der ungarischen Staatssicherheit machte und diese kurzerhand aufknüpfte. Als ich zum „stern“ kam, war er Fotochef und sein Wort galt bei Chefredakteur Henri Nannen.
Als Nannen von Gillhausen die Riefenstahl-Fotos über die Nuba vorgelegt bekam, war er beeindruckt. Nannen war ohnehin Riefenstahl-Fan. Immerhin hatte er als Sprecher in ihrem berühmten Olympiafilm von 1936 mitgewirkt. Der Nächste, der die Fotos vorgelegt bekam, war ich. Nannen wusste, dass ich zu jener Handvoll Kollegen zählte, die ganz schnell eine lange Geschichte schreiben konnten, auch als Ghostwriter. Das war auch bei Swetlana Allilujewa so gewesen, der Tochter Stalins, die sich 1967 in den Westen abgesetzt hatte. In einer Nacht musste ich damals die erste Folge ihrer Memoiren, die der Verlag für viel Geld gekauft hatte, in „stern“-Deutsch umschreiben.
Wahrscheinlich spielte auch eine Rolle, dass ich den Südsudan kannte. Nannen schwärmte mir jedenfalls von den „sensationellen Fotos“ vor, die Gillhausen bei Leni Riefenstahl entdeckt hatte.
„Randy, das sind wunderbar ästhetische Aufnahmen nackter Naturmenschen, daraus müssen wir unbedingt eine Fotogeschichte machen. Ich möchte diese gern in der Weihnachtsausgabe unseren Lesern präsentieren. Das aber bedeutet, wir benötigen