ich ihn noch mehr: fußballerisch sowieso, aber auch menschlich. Nach seinem Trikot zu fragen, kostete mich damals ein wenig Überwindung. Bis heute hat es einen Platz bei mir zu Hause. Aktuell über einer kleinen Bar.
Schade, dass „Tusche“ nicht mehr zur besten Sendezeit in Liga zwei oder drei zu sehen ist. Sein Abgang bei Union war sicherlich nicht so, wie er es verdient gehabt hätte. Aber im Fußballgeschäft ist es manchmal so, dass es brutal schnelllebig zugehen kann.
„Tusche“ wird dennoch seinen Weg finden und gehen. Fußballertypen wie er sterben leider nach und nach aus. Im von Normen geprägten Profi-geschäft ist wenig Platz für Individualisten wie „Tusche“, der eher weniger über Dynamik und Athletik kam. Deswegen bin ich froh, dass ich ihn sowohl auf als auch neben dem Platz erlebt habe.
Wir fingen alle mit dem Fußballspielen an, weil es uns Spaß gemacht hat. Verkörpert wird dieser Spaß bei den Profis sehr selten. „Tusche“ hat man immer angesehen, dass er Spaß am Fußball hat, und deswegen hat er mich am Fernseher stets begeistert. Dafür Danke. Ehre ist natürlich ein großes Wort. Dennoch ist es mir eine kleine, dass ich das Vorwort zu diesem Buch schreiben durfte.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Christoph Kramer.
Christoph Kramer wurde 2014 in Brasilien Weltmeister mit der deutschen Nationalmannschaft. Der 1991 in Solingen geborene Fußballer startete seine Profikarriere beim VfL Bochum. Seit 2013 spielt er – unterbrochen von einer Saison bei Bayer Leverkusen – bei Borussia Mönchengladbach.
Und dann war „Tusche“ auf einmal weg
Vorwort von Matthias Koch
Es muss im Spätherbst 2013 gewesen sein. Da standen einige Reporterkollegen und ich mal wieder in der kleinen Zuschauerbox am Trainingsplatz des 1. FC Union Berlin gleich neben dem Stadion An der Alten Försterei. Wir hatten gerade mit Torsten Mattuschka über eines seiner 299 Pflichtspiele für die Eisernen gesprochen. Mattuschka reicherte das Pool-Interview wie immer mit der einen oder anderen witzigen Aussage an. Zum Abschied sagte er zu den Medienvertretern traditionell: „War es das, Jungs? Dann Sport frei, Jungs!“ Alle lachten. Die Sätze Mattuschkas – egal über wen und zu welchem Thema – waren praktisch schon druckreif.
Die meisten Journalisten kannten Mattuschka seit Jahren. Er galt inzwischen als das Gesicht des Vereins. Der immer etwas füllig wirkende Mittelfeldspieler, den es so nicht im Katalog gab, war zum populärsten Unioner aufgestiegen – spätestens nach dem Weggang von Karim Benyamina und Mattuschkas Freistoßtreffer zum 2:1-Sieg gegen Hertha BSC im Berliner Olympiastadion, der im Februar 2011 die historische Stadtmeisterschaft sicherte.
Als Kapitän der Mannschaft übernahm Mattuschka in dieser Zeit stets Verantwortung. Wenn sich andere Spieler nach Niederlagen wegduckten, konnte man sich auf Aussagen von Mattuschka immer verlassen. Er war auch selbstkritisch und erschien nur in absoluten Ausnahmefällen nicht in der Mixed Zone oder zum Smalltalk nach dem Training. Geschichten mit oder über Mattuschka wurde ich als freier Journalist und Fotograf bei fast jeder Zeitung los – egal, ob es um den nächsten Gegner oder den Weltfrieden ging.
Die Medienvertreter, die bei Union mit Mattuschka zu tun hatten, machten sich Ende 2013 aber schon ein bisschen Sorgen. Irgendwann würde der Tag kommen, an dem sich die Wege der Köpenicker und Mattuschka trennen sollten. Verlässliche Aussagen mit solch großem Stellenwert würde es dann vorläufig nicht mehr geben.
Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass Mattuschka bereits Ende August 2014 fluchtartig zu Energie Cottbus wechseln würde. Das Ende der Trainer-Ära von Uwe Neuhaus überlebte er nur wenige Monate. Dass er 2013/14 mit jeweils zwölf Toren und Vorlagen Topscorer der 2. Bundesliga gewesen war, nutzte ihm nichts mehr. „Tusche“ war auf einmal weg.
Ich habe seinen Weg weiter verfolgt, erst bei Energie Cottbus, dann bei der VSG Altglienicke. Schon vor seinem Abschied bei Union war das gemeinsame Buchprojekt mit Torsten Mattuschka längst besprochen. Nun ist es mit Hilfe des Verlags Die Werkstatt auch tatsächlich verwirklicht worden. Dabei kam mir als Autor zugute, dass ich ihn seit zwölf Jahren mit dem Stift und der Kamera in guten wie in schlechten Momenten bei Wind und Wetter „verfolgt“ habe.
Das erste Foto von Mattuschka machte ich allerdings bereits am 30. April 2003, als ich Porträtaufnahmen der Amateurmannschaft von Energie Cottbus schoss. Den jungen Mann mit einem Piercing über dem rechten Auge kannte ich damals nicht persönlich. Das sollte sich nach seinem Wechsel zu Union im Sommer 2005 ändern. Wir führten bis heute unzählige Interviews und Telefonate. In meiner Bilddatenbank www.matzekoch.com gibt es inzwischen über 4.000 beschriftete Mattuschka-Fotos. Selbst private Momente des Fußballers – bei seinem Junggesellenabschied, seiner Hochzeit, einem seiner Umzüge oder dem Wiedereintritt ins Berufsleben nach dem Wechsel nach Altglienicke – durfte ich dokumentieren.
Ich habe bereits Vereinsbücher über Energie Cottbus (2004), den 1. FC Union (2013) und den FC Carl Zeiss Jena (2014) geschrieben. Eine Biografie ist für mich Neuland. Aber der „Fall“ Mattuschka ist es den Versuch allemal wert, denke ich. Gespräche mit ihm, seiner Familie, Freunden und Weggefährten haben hoffentlich ein rundes Werk über den Kicker und Menschen Torsten Mattuschka entstehen lassen.
KAPITEL 1
Geburt und erste Jahre in Cottbus und Umgebung
1980 bis 1985
Cottbus, die DDR und die Welt am 4. Oktober 1980
Torsten Mattuschka wird rund neun Jahre vor dem Mauerfall in Cottbus in der DDR geboren. Deutschland ist seit über 30 Jahren in Ost und West geteilt. Der kalte Krieg zwischen den westlichen Staaten der NATO und den sozialistischen Ländern des Warschauer Paktes erlebt in dieser Zeit eine heiße Phase des Wettrüstens.
Cottbus gehört nicht zu den Epizentren der DDR. Bis zur polnischen Grenze sind es Luftlinie gerade einmal 23 Kilometer. Aber mit rund 100.000 Einwohnern ist es die Hauptstadt des Bezirkes Cottbus. Berlin, die Hauptstadt der DDR, ist gute 100 Kilometer entfernt, die Kulturstadt Dresden ungefähr 90. Das Gebiet um Cottbus gehört seit über zwei Jahrzehnten zu den wichtigsten Kohle- und Energielieferanten der DDR. Erholungsmöglichkeiten für Cottbuser bietet der Spreewald.
Am 4. Oktober 1980 scheint es prominente Fußballer geregnet zu haben. Neben Torsten Mattuschka in Cottbus erblicken auch Tomáš Rosický in Prag, Giovanni Federico in Hagen und Ahmed Madouni in Casablanca das Licht der Welt. Der tschechische Nationalspieler Rosický erlebte als Mittelfeldmann seine Glanzzeit bei Borussia Dortmund und dem FC Arsenal in London. Federico bestritt 59 Erst- und 160 Zweitligaspiele für den 1. FC Köln, den Karlsruher SC, Borussia Dortmund, Arminia Bielefeld und den VfL Bochum.
Mit Karlsruhe wurde der Deutsch-Italiener Federico zweimal Top-scorer der 2. Bundesliga: 2005/06 (14 Tore / 8 Vorlagen) und 2006/07 (19 /14). Mattuschka schaffte dieses Kunststück 2013/14 mit dem 1. FC Union Berlin mit jeweils zwölf Treffern und Torvorbereitungen. Mit dem Franzosen Madouni, der in den 2000er Jahren bei Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen unter Vertrag stand, spielte Mattuschka sogar zwischen 2010 und 2012 zusammen bei Union. Fast hätte Mattuschka Madouni in Cottbus wiedergetroffen. Verteidiger Madouni kickte in der Rückrunde 2013/14 für Energie. Mattuschka kehrte im September 2014 nach neun Jahren bei Union in die Lausitz heim.
Zurück zum 4. Oktober 1980. Zum „Schlüpfen“ hat sich Mattuschka einen Samstag ausgesucht. Das Wetter ist recht annehmbar. „Bei schwachen bis mäßigen Winden aus Südost bis Süd heiter, nachmittags zunehmend wolkig und nachfolgend Durchzug eines Regengebietes, Tageshöchsttemperaturen 16 bis 20 Grad, tiefste Nachttemperaturen 11 bis 8 Grad“, vermeldet die Lausitzer Rundschau.
Das Fernsehen der DDR bietet an diesem Tag auf seinen beiden Kanälen die Klassiker jener Zeit an. Auf Fernsehen 1 läuft beispielsweise Wir sprechen Russisch (7.55 Uhr), Bei Freunden zu Besuch – Russisch in Spielszenen (8.25 Uhr),