George Sand

Die kleine Fadette


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hinreichenden Mittel besaß, seine ganze Familie bei sich zu behalten, und so musste wohl daran gedacht werden, die Zwillinge bei anderen in den Dienst zu geben.

      Da war nun der Vater Caillaud von la Priche, der ihm das Anerbieten machte einen von beiden zu nehmen, um seine Ochsen zu führen, denn er hatte einen ansehnlichen Grundbesitz zu bewirtschaften, und seine eignen Söhne waren für jenen Dienst, entweder schon viel zu erwachsen, oder noch viel zu jung. Die Mutter Barbeau geriet in große Angst, als ihr Eheherr zum ersten Mal über diese Angelegenheit mit ihr sprach und empfand großen Kummer darüber. Man hätte denken sollen, es sei ihr noch nie in den Sinn gekommen, dass ihren Zwillingen ein derartiges Los bevorstehen könne, und dennoch war sie in dieser Hinsicht schon immer in Sorgen gewesen. Indessen, da sie ihrem Mann gegenüber sehr unterwürfig war, fand sie kein Wort der Erwiderung dagegen. Der Vater empfand seinerseits wohl auch große Bekümmernis und leitete die Sache von Weitem ein. Die Zwillinge weinten anfangs und streiften drei Tage lang in Wald und Wiesen umher, ohne sich im Hause blicken zu lassen, als zu den Stunden der Mahlzeiten. Mit ihren Eltern sprachen sie nicht ein Wort darüber, und wenn man sie fragte, ob sie daran gedacht hätten sich zu fügen, erwiderten sie nichts, aber sobald sie allein waren, besprachen sie sich viel untereinander.

      Den ersten Tag nach der traurigen Botschaft, verbrachten sie nur mit Klagen, und sie hielten sich umschlungen, wie in der Furcht, dass man sie gewaltsam trennen könnte. Aber Vater Barbeau würde es nicht in den Sinn gekommen sein, so etwas zu tun. Er besaß die Weisheit des Landmannes, die zum Teil in der Geduld besteht und zum Teil in dem Vertrauen auf die heilsame Wirkung der Zeit. Auch waren die Zwillinge am folgenden Morgen, als sie sahen, dass man sie durchaus nicht drängte, und dass man darauf rechnete, die Vernunft würde ihnen schon kommen, in viel größerer Bekümmernis über den väterlichen Beschluss, als Drohungen und Strafen ihnen zu verursachen vermocht hätten, – »Es wird nicht anders sein, als dass wir uns darin fügen müssen«, sagte Landry; »es kommt jetzt nur noch darauf an, wer von uns gehen wird; man ließ uns ja die Wahl, und der Vater Caillaud hat gesagt, dass er uns nicht alle beide nehmen könne.«

      »Was liegt mir noch daran, ob ich gehe oder bleibe«, sagte Sylvinet, »da wir uns ja doch trennen müssen. Ich denke nicht einmal darüber nach, dass ich hinaus soll, anderswo zu leben; wenn ich nur dich bei mir behalten könnte, würde ich mich recht gut vom Hause entwöhnen.«

      »Das ist leicht gesagt«, erwiderte Landry, »und doch wird es dem, der bei unseren Eltern bleibt tröstlicher zu Mute sein, und er wird, weniger von der Sehnsucht zu leiden haben als der andere, der nichts mehr von alledem sieht, was ihm Trost und Erquickung war: weder seinen Zwillingsbruder, noch seinen Vater und seine Mutter, weder seinen Garten noch seine Tiere.«

      Landry sagte dies alles mit ziemlich gefasster Miene; aber Sylvinet war dem Weinen nahe, denn er besaß lange nicht einen so festen entschlossenen Sinn, wie sein Bruder. Die Vorstellung alles, was ihm lieb und teuer war, mit einem Mal verlassen zu müssen, erfüllte ihn mit solchem Schmerz, dass er seine Tränen nicht länger zu bezwingen vermochte.

      Landry weinte auch, aber nicht so fassungslos; überhaupt in einer ganz anderen Weise, denn er war stets darauf bedacht, den schlimmsten Teil alles Unangenehmen auf sich zu nehmen, und er wollte sehen, wie viel sein Bruder ertragen könne, um ihm dann alles Übrige zu ersparen. Er wusste recht gut, dass Sylvinet sich mehr ängstigen würde, an einem anderen Ort zu wohnen und in einer fremder Familie zu leben, als er dies tun würde.

      »Höre Bruder«, sprach er zu ihm, »wenn wir uns zu einer Trennung entschließen müssen, ist es am besten, dass ich gehe. Du weißt ja, dass ich etwas stärker bin, als du; wenn wir von einer Krankheit befallen werden, was beinah immer zu gleicher Zeit geschieht, hast du das Fieber jedesmal etwas mehr als ich. Man sagt, dass wir sterben könnten, wenn man uns trennt. Was mich betrifft, so glaube ich nicht, dass ich sterben würde; aber für dich möchte ich nicht einstehen, und das ist es, weshalb es mir lieber wäre, dich bei unserer Mutter zu wissen, die dich trösten und pflegen kann. Wenn man in der Liebe zwischen uns beiden einen Unterschied macht, was freilich kaum der Fall zu sein scheint, so glaube ich, dass du es bist, den man am liebsten hat, und ich weiß auch, dass du der Hübscheste und Zutraulichste bist. Bleibe du also hier, und ich gehe dann. Wir werden nicht weit voneinander fort sein. Die Ländereien des Vaters Caillaud grenzen an die unsrigen, und wir können uns jeden Tag sehen. Mir wird es angenehm sein, wenn ich mich tüchtig plagen muss; das wird mich zerstreuen, und da ich schneller laufen kann als du, komme ich dann gleich dich aufzusuchen, sobald ich mein Tagewerk beendet habe. Und du, da du nicht so viel zu tun hast, kommst jeden Tag herüber und suchst mich bei meiner Arbeit auf. So werde ich deinetwegen viel weniger Sorge haben, als wenn du aus dem Hause fort gingst, und ich daheim bliebe. Ich bitte dich also, bleibe hier.

      Drittes Kapitel

      Sylvinet wollte von diesen Vorstellungen nichts wissen. Wenn er auch mit größerer Zärtlichkeit als Landry an seinem Vater, seiner Mutter und an seiner kleinen Nanette hing, so schrak er doch davor zurück seinen lieben Zwilling den schwersten Teil ihres Geschicks auf sich nehmen zu lassen.

      Nachdem sie genug herumgestritten hatten, beschlossen sie, das Los, durch Strohhalm ziehen, entscheiden zu lassen, und Landry war es, der den kürzesten Halm zog. Sylvinet war mit dieser Probe nicht zufrieden; er wollte es noch einmal mit dem Werfen eines dicken Sous-Stückes versuchen. Dreimal fiel für ihn die Hauptseite des Gepräges nach oben. Es war also immer für Landry, den das Los zu gehen traf.

      »Du siehst nun wohl, Wie das Schicksal es beschlossen hat«, sagte Landry, »und du weißt, dass man dem Willen des Schicksals nicht zuwiderhandeln darf.«

      Sylvinet weinte am dritten Tage noch sehr, Landry aber vergoss kaum noch eine Träne. Der erste Gedanke an das Verlassen des väterlichen Hauses hatte ihm vielleicht noch größeren Schmerz verursacht, als seinem Bruder. Er war sich seines Mutes bewusst, und hatte sich nicht einen Augenblick über die Unmöglichkeit getäuscht, dem Willen seiner Eltern zu widerstehen. Aber grade, weil er viel über seinen Schmerz nachdachte, hatte er diesem den Stachel genommen; auch hatte er viele Gründe aufgefunden, die ihm sein Schicksal als eine unabwendbare Notwendigkeit erscheinen ließen. Sylvinet dagegen, der immer nur trostlos war, hatte nicht den Mut gehabt über die Angelegenheit nachzudenken. So war es also gekommen, dass Landry ganz entschlossen war zu gehen, während Sylvinet sich noch nicht einmal in die Notwendigkeit der Trennung gefunden hatte.

      Auch hatte Landry überhaupt etwas mehr Selbstgefühl als sein Bruder. Es war ihnen so oft vorgesagt worden, dass sie nie ein ganzer Mann sein würden, wenn sie sich nicht darein finden könnten, voneinander getrennt zu sein. Landry nun, der den Stolz seiner vierzehn Jahre in sich keimen fühlte, wandelte die Lust an zu zeigen, dass er kein Kind mehr sei. Seitdem sie zum ersten Mal ausgezogen waren, auf dem Wipfel eines Baumes ein Vogelnest zu suchen, bis auf den gegenwärtigen Tag, war er es stets gewesen, der bei jeder Unternehmung seinen Bruder überredete und mit sich fort zog. So gelang es ihm denn auch dieses Mal ihn zu beruhigen, und als sie am Abend in das Haus der Eltern zurückkehrten, erklärte er seinem Vater: dass er und sein Bruder bereit seien, sich in das Unvermeidliche zu fügen, dass sie das Los gezogen hätten, und dass er hinaus gehen werde, die großen Ochsen von la Priche zu führen.

      Vater Barbeau nahm seine Zwillinge und setzte jeden, obgleich sie schon groß und stark waren, auf eins seiner Kniee und sprach zu ihnen:

      »Meine Kinder, ihr steht jetzt im Alter der Vernunft, das erkenne ich an eurer Unterwerfung, und ich bin mit euch zufrieden. Merkt es euch: Wenn die Kinder ihren Eltern Freude machen, sind sie Gott im Himmel wohlgefällig, der sie früher oder später dafür belohnen wird. Ich weiß nicht, wer von euch beiden der erste war, der sich zu unterwerfen bereit war. Aber Gott weiß es und wird ihn dafür segnen, dass er zum Guten gesprochen hat, wie er den anderen dafür segnen wird, dass er sich danach gerichtet hat.«

      Darauf führte der Vater seine Zwillinge zur Mutter, damit auch sie ihnen ihr Lob spende. Aber Mutter Barbeau wurde es so schwer ihre Tränen zu unterdrücken, dass sie keines Wortes fähig war, und sich damit begnügen musste, ihre Lieblinge zu umarmen und zu küssen.

      Vater Barbeau, der einen guten Verstand hatte, wusste recht gut, welcher von den beiden der mutigste war, und welcher am meisten Anhänglichkeit besaß. Er wollte den