George Sand

Die kleine Fadette


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eins, der Kummer seines Bruders, ihn wieder zum Wanken bringen konnte. Er ging deshalb vor Tagesanbruch an das Bett der Zwillinge und weckte Landry auf, nahm sich dabei aber wohl in Acht den älteren Bruder, der an dessen Seite schlief, ja nicht anzurühren.

      »Auf, mein Junge«, flüsterte er Landry leise zu, »wir müssen uns aufmachen nach la Priche, ehe deine Mutter es sieht, du weißt, sie ist voller Kümmernis, und man muss ihr den Abschied ersparen. Ich selbst will dich zu deinem neuen Herrn führen und dir deine Sachen tragen.«

      »Soll ich denn ohne Abschied von meinem Bruder gehen?« fragte Landry. »Er wird mir böse werden, wenn ich ihn so ohne Weiteres verlasse.«

      »Wenn dein Bruder aufwacht und dich fortgehen steht, dann fängt er an zu weinen und weckt auch deine Mutter auf, und die Mutter wird noch heftiger weinen, wenn sie euch so betrübt sieht. Komm, Landry, du bist ein mutiger Bursche, du kannst es nicht wollen, dass deine Mutter krank wird. Erfülle deine Pflicht ganz, mein Kind, und gehe still hinaus. Schon heute Abend werde ich deinen Bruder zu dir führen, und da morgen Sonntag ist, kommst du den ganzen Tag zu deiner Mutter auf Besuch.«

      Landry gehorchte mit mutiger Fassung und schritt zum Hause hinaus, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Mutter Barbeau hatte nicht so ruhig geschlafen, um nicht alles gehört zu haben, was ihr Mann zu Landry gesagt hatte. Die arme Frau fühlte, dass ihr Mann recht habe; sie rührte sich nicht von der Stelle und begnügte sich damit die Gardine des Bettes ein wenig zu lüften, um Landry fortgehen zu sehen. Das Herz wurde ihr dabei so schwer, dass es sie nicht länger im Bett hielt: sie sprang heraus, um ihn noch einmal zu umarmen; aber, als sie bis zu dem Lager der Zwillinge gekommen war, wo Sylvinet noch im festen Schlaf lag, blieb sie stehen. Der arme Knabe hatte seit drei Tagen, und so zu sagen, seit drei Nächten so viel geweint, dass er völlig erschöpft davon war. Er hatte sogar etwas Fieber, denn er warf sich auf seinen Kissen hin und her, stieß schwere Seufzer aus und stöhnte laut, ohne sich aus dem Schlafe losreißen zu können.

      Als die Mutter Barbeau den einzigen Zwilling, der ihr noch verblieb, betrachtete, konnte sie nicht umhin sich zu gestehen, dass dieser es sei, dessen Scheiden ihr noch größeren Schmerz verursachen würde. Er war wirklich der Gefühlvollere von den beiden; mochte es nun sein, dass er von zarterer Konstitution war, oder, dass es in dem von Gott gegebenen Naturgesetz so angeordnet war, dass, wo zwei Personen durch Liebe oder Freundschaft miteinander verbunden sind, die eine immer von größerer Hingabe ergriffen sein wird, als die andere. Vater Barbeau hatte eine Feder mehr Gewicht an Zuneigung für Landry, denn ihm galten Arbeitskraft und Mut mehr als Liebkosungen und zarte Aufmerksamkeiten. Die Mutter empfand eine kaum zu bemerkende größere Vorliebe für den zierlicheren und schmiegsameren ihrer Zwillinge, also für Sylvinet.

      Da stand sie nun und betrachtete ihren armen Knaben, der ganz bleich und abgemattet dalag, und sie sagte sich, dass es himmelschreiend gewesen wäre, ihn schon so früh in einen Dienst zu geben. Landry habe eher das Zeug dazu, Mühe und Arbeit auszuhalten, und überdies würden die Liebe und Sehnsucht nach seinem Bruder und seiner Mutter ihm nicht so zusetzen, dass er krank davon werden könnte. Landry ist ein Bursche, der einen großen Begriff von seiner Pflicht hat, fuhr sie in ihren Betrachtungen fort; aber darin liegt es eben, wenn er nicht ein etwas trockenes Gemüt hätte, würde er nicht so entschlossen fortgegangen sein, ohne nur ein einziges Mal den Kopf zu wenden, oder auch nur eine einzige Träne zu vergießen. Er würde nicht die Kraft gehabt haben, zwei Schritte weit zu gehen, ohne den lieben Gott anzuflehen, ihm Kraft und Mut zu verleihen. Er würde sich an mein Bett geschlichen haben, wo ich lag und so tat, als ob ich schliefe, wenn auch nur, um mich noch einmal anzusehen, und den Zipfel meines Bettvorhanges zu küssen. Mein Landry ist freilich ein richtiger Bursche, der nur verlangt zu leben, sich tüchtig herumzutummeln, zu arbeiten, und der sich nach Ortsveränderung sehnt. Aber dieser hier hat ein Herz, so weich, wie das eines Mädchens; der ist so zärtlich und so sanft, dass man gar nicht anders kann, als ihn lieb haben, wie seinen eigenen Augapfel.

      So dachte die Mutter Barbeau und kehrte ins Bett zurück, aber ohne wieder einschlafen zu können. Vater Barbeau und Landry schritten indessen querfeldeinwärts über Wiesen und Triften rüstig dahin in der Richtung nach la Priche. Als sie auf einer kleinen Anhöhe angelangt waren, von der aus man die Häuser von la Cosse, sobald man auf der anderen Seite hinabsteigt, nicht mehr sieht, blieb Landry stehen und blickte zurück. Das Herz wurde ihm schwer, und er setzte sich auf das Farnkraut nieder, unfähig einen Schritt weiter zu gehen. Sein Vater tat, als ob er nichts bemerke, und setzte die Wanderung fort. Nach einer kleinen Weile rief er den Sohn sanft beim Namen und sprach zu ihm.

      »Sieh, wie es schon dämmert, Landry; wir müssen uns beeilen, wenn wir noch vor Sonnenaufgang da sein wollen.«

      Landry richtete sich wieder auf, und da er es sich zugeschworen hatte, vor seinem Vater nicht zu weinen, bezwang er die Tränen, die ihm in dicken Tropfen die Augen füllen wollten. Er tat, als habe er sein Taschenmesser fallen lassen, und so kam er glücklich nach la Priche, ohne von seinem Schmerz, der gewiss kein geringer war, etwas blicken zu lassen.

      Viertes Kapitel

      Als der Vater Caillaud sah, dass man ihm den stärksten und tätigsten der Zwillinge zuführte, war er hoch erfreut darüber und empfing ihn mit großer Freundlichkeit. Er wusste recht gut, dass es viel gekostet haben würde, bis man zu einem Entschluss gekommen war, und da er ein wackerer Mann und ein guter Nachbar war, der mit Vater Barbeau auf freundschaftlichem Fuße stand, bot er alles aus, den jungen Burschen durch ermunterndes Entgegenkommen zu ermutigen. Er ließ ihm rasch die Suppe vorsetzen und einen Krug Wein dazu, um ihm den Sinn wieder aufzufrischen, denn es war leicht zu erkennen, dass der Kummer ihn drückte. Dann nahm er ihn mit hinaus, um die Ochsen anzuspannen und zeigte ihm, auf welche Art er dies zu tun pflege. Aber, wahrlich, Landry war kein Neuling in diesen Dingen; sein Vater besaß ja selbst ein stattliches Ochsenpaar, das er schon oft angeschirrt und zum Staunen aller, ausgezeichnet geführt hatte. Sobald er die großen Ochsen des Vater Caillaud erblickte, welche von der größten und schönsten Rasse, und die am besten gepflegten und am besten genährten in der ganzen Gegend waren, fühlte er, wie es seinem Stolz schmeicheln würde, ein so schönes Gespann mit seinem Stachel leiten zu dürfen. Und dann machte es ihm auch Freude zu zeigen, dass er weder ungeschickt noch feige sei, und dass man ihm nichts zu zeigen brauche, was er nicht schon verstehe. Sein Vater unterließ nicht, ihn zu loben und seine guten Eigenschaften herauszustreichen; und als es nun Zeit geworden war auf die Felder hinauszugehen, kamen alle Kinder Vater Caillauds, Knaben und Mädchen, groß und klein, freundlich herbei, den Zwilling zu begrüßen. Das jüngste von den Mädchen befestigte mit Bändern einen Blumenzweig an seinem Hut, weil dies der erste Tag seines Dienstes war, den die Familie, bei der er einstand, wie einen Festtag feiern wollte. Sein Vater gab ihm noch, bevor er sich zur Heimkehr anschickte, in Gegenwart seines neuen Herrn einige Ermahnungen, worin er ihn anwies, diesen in allen Dingen zufriedenzustellen und das Vieh mit derselben Sorgfalt zu pflegen, als ob es sein eignes wäre.

      Landry versprach sein Möglichstes zu tun und zog dann an die Arbeit hinaus. Er hielt sich tapfer und arbeitete den ganzen Tag über tüchtig, und nach der Rückkehr vom Feld hatte er großen Appetit. Es war das erste Mal, dass er so streng gearbeitet hatte, und ein wenig Ermüdung ist das beste Mittel gegen Kummer.

      Der arme Sylvinet war unterdessen auf dem Zwillingshof viel übler daran. Dies war nämlich, wie hier gesagt werden muss, der Name, den man im Marktflecken la Cosse dem Anwesen des Vaters Barbeau seit der Geburt der beiden Knaben gegeben hatte; umso mehr, da einige Zeit später auch eine Magd des Hauses ein paar Zwillingsmädchen geboren hatte, welche freilich tot zur Welt gekommen waren. Da nun die Bauern stark darin sind, allerlei Geschwätz aufzubringen und Spitznamen zu erfinden, hat das Haus mit den dazu gehörenden Grundstücken den Namen: ›Der Zwillingshof‹ erhalten; und überall, wo Sylvinet und Landry sich blicken ließen, wurden sie von der Dorfjugend mit dem Geschrei empfangen: »Seht da! die Zwillinge vom Zwillingshofe!«

      Der erste Tag der Trennung wurde auf dem Hof des Vaters Barbeau in großer Traurigkeit verbracht. Sobald Sylvinet erwachte und seinen Bruder nicht mehr an seiner Seite fand, ahnte er die Wahrheit; aber er konnte doch nicht begreifen, dass Landry so ohne Abschied von ihm zu nehmen, fortgegangen sein könne. Sylvinet war deshalb bei alle seinem Schmerz etwas böse auf seinen Bruder.

      »Was