ERSTE LP 1967
Eigentlich kann ich verdammte Junkies nicht ausstehen, denn sie sind so oberflächlich! Eine Ausnahme bildet die Sängerin und Musikerin Nico, sie ist eine wirklich originelle Künstlerin. Jetzt liegt sie im »Selbstmörderfriedhof« in Berlin begraben, mitten im Grunewaldforst, am Schildhorn, dort ist es sehr schön. Obgleich sie nicht Selbstmord beging, sondern auf Ibiza 1988 durch einen Sonnenstich gestorben ist.
Nicos bürgerlicher Name lautet: Christa Päffgen. In Köln kann man immer noch im »Päffgen« speisen und Kölsch genießen. Ja, Nicos Eltern stammen aus der Päffgen-Brauereidynastie. Allerdings hat Nico immer ihre Wurzeln ignoriert, sie wollte weder deutsch sein, noch so alt wie sie war. Es war die ganze Zeit absolut unmöglich, ihr Alter zu erfahren. Deswegen gab es auf ihren Tourneen immer wieder Ärger bei jedem Grenzübergang: Sie weigerte sich, ihren Pass vorzuführen.
Zuerst wurde sie Fotomodell, später Musikerin und Schauspielerin. Nico war eine »nördliche Schönheit«. Sehr groß, blond, mit hervorstechenden Backenknochen und breiten sexy (?) Lippen. Sie hatte etwas sehr Kühles an sich. Etwas Geheimnisvolles. Ihre erste Single hieß »I’m Not Sayin’ (That I Love You)«, ein Sixties-Yéyé-Song.
War sie eine gute Schauspielerin? Sie war sehr gut darin, sich selbst zu spielen. Es gibt diesen Film Striptease aus den 1960er-Jahren, in dem auch Serge Gainsbourg als Pianist auftritt. Eine ziemliche Navette, wie man in Frankreich sagt, sie spielt da eine total steife Tänzerin. Mir gefällt der Film natürlich, denn ich bin ein absoluter Fan und teile Max Müllers Meinung: »Wenn du gut bist, kannst du keine Scheiße produzieren.« Großartiger wurde sie in den 1960er-Jahren, im Film ihres damaligen französischen Lebenspartners Philippe Garrel, La cicatrice intérieure (»Die innere Narbe«). Ein seltsamer Traum auf der Leinwand.
Nico, 1985
Zuvor war sie eine von Andy Warhols Musen gewesen, dennoch ganz anders als die anderen »Superstars« aus der Factory. Ihr Stil: klassisch, männlich, unnahbar. Und sie hatte ein Kind! Ari. Alain Delon hat ihn niemals anerkannt, was eigentlich amüsant ist, denn heute sieht Ari genau wie Papa Delon aus. Nur etwas ramponierter, denn sehr früh hatte Ari unter Nicos schlechtem Einfluss Drogen gekostet.
Andy Warhol hatte die Idee, Nico in Lou Reeds Band The Velvet Underground auftreten zu lassen, weil Lou Reed nicht genug Charme oder Sex-Appeal auf der Bühne hatte. Nicos Beziehung zu Lou Reed war problematisch. Der Typ war ziemlich egozentrisch und davon irritiert, dass eine junge schöne Frau seinen Platz auf der Bühne einnehmen sollte. Obgleich er den Deal mit Andy Warhol akzeptiert hatte (Andy würde die Velvet Underground unterstützen, wenn sie Nico zu sich nähmen), boykottierte er sie nonstop.
Sie hatte unzählige Affären, auch mit Jim Morrison, doch sie scheinen sie nicht aus der Ruhe gebracht zu haben. Souveräne Depression war ihr Lebensstil und sie hätte nie aus Liebeskummer losgeheult. So kann ich mir Nico auf keinen Fall vorstellen.
Nach Velvet Underground begann Nicos Solo-Karriere.
Nicos Stimme ist einmalig tief, langsam und schön gruselig. Sie scheint von einem weit entfernten Planeten zu kommen. Ich habe eine Live-Platte von ihr, auf der sie Sinatras »New York New York« interpretiert, von ihrer Orgel begleitet. Scheinbar tritt sie in einem kleinen Club auf, in dem kaum Zuschauer bzw. Zuhörer anwesend sind, die sie auch noch verspotten und sehr spärlich klatschen. Doch ihre Art, »New York New York« zu singen, ist so düster und rührend, New York City wird sofort zur Selbstmordstadt. So ähnlich klingt auch »Das Lied der Deutschen«, ihre Version der deutschen Nationalhymne. Dann verlieren wir aber jeden letzten Glauben an Deutschland.
Ihre eigenen Kompositionen sind eigenwillig, kompromisslos und schlicht wunderbar. Die Musikerin hat nicht vor, irgendwem zu gefallen. Sie lebt in ihrer eigenen Welt und lässt uns ein bisschen hineinhören.
Auch wenn sie spricht, ist ihre Stimme unglaublich tief und ihr Redefluss extreeem langsaaam. Ihr fehlt nicht an Humor. Ganz ernst behauptet sie: »Ich wollte schooon immer wie Bob Dylan klingen.«
Mehr zu Nico – ein paar Tipps: Meine Lieblingsstücke (mit oder ohne Velvet Underground): »I’ll Be Your Mirror«, »All Tomorrow’s Parties«, »Chelsea Girls«, »Eulogy to Lenny Bruce«, »Janitor of Lunacy.«
Über Nico gibt es ein tolles Buch von dem Berliner Musiker Lüül, der so naiv wie Candide Nico in den 1970er-Jahren kennenlernte, sofort über alles liebte und auf Tour begleitete. Sein Buch heißt: Nico – Im Schatten der Mondgöttin.
Ebenfalls super: Nico – Reise in die Finsternis – Die letzten Jahre einer Rock-Legende (eine eigenwillige deutsche Übersetzung des englischen Titels: The End), von James Young geschrieben, der auf Nicos letzter Tournee als Keyboarder auftrat. Eine Tournee, auf der alles schief ging.
Es gibt auch zwei sehr gute Filme über sie: Nico Icon, (tolles Anagramm!), ein grandioser Dokumentarfilm von Susanne Ofteringer. Und Nico 1988 von Susanne Nichiarelli, ein Spielfilm über Nicos letztes Lebensjahr. Die dänische Schauspielerin Trine Dyrholm spielt Nicos Rolle und sie singt auch. In den fünf ersten Minuten war ich etwas irritiert, weil Trine ganz anders aussieht als Nico, aber dann hat sie mich umgehauen, weil sie die Person verstanden hat. Falls sie überhaupt jemand begreifen kann …
EBBA DURSTEWITZ
Laura Nyro
• ERSTE LP 1967
Als die Singer-Songwriterin Laura Nyro, nach mehreren erfolglos gebliebenen Nominierungen in den Jahren zuvor, 2012 endlich in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, ging ein (mehrheitlich männliches) Raunen durch die über Popularmusikalisches berichtenden Medien: Laura Nyro, das war doch diese sagenhaft schlecht gekleidete, in von russischen Matronen genähten, unförmige schwarze Samtplünnen gehüllte »Rock-Ophelia«, die ihrerzeit mit Ach und Krach einen Top-100-Hit gehabt hatte, der es 1970 gerade mal für zwei Wochen auf Platz 92 der Billboard Charts schaffte. Und so furchtbar war ihr Auftritt auf dem berühmten Monterey Festival gewesen, dass er in D. A. Pennebakers Konzertfilm Monterey Pop aus dem Jahr 1968 gar nicht enthalten war. Wie drei tanzende Elefanten im Zirkus, so sei sie dort auf der Bühne rübergekommen, hatte ihr damaliger Manager Artie Mogull gesagt. Und sogar noch im Rückblick, als er zu dieser Äußerung befragt wurde: »She pissed me off!«
Dass diese Person mit ihren zwei Handvoll Alben (mit im Übrigen für damalige Verhältnisse lächerlich kleinen Auflagen von, wenn es hoch kam, gerade mal 400.000) nun Aufnahme in die ehrwürdige Hall of Fame finden sollte, empfand mancher als »ungeheuerlich« und als Zeichen der »Arroganz und Schulmeisterei« vonseiten der Hall of Fame, die solchermaßen deutlich ihre Verachtung dem breiten Publikum gegenüber zeige, dem durch die Wahl Laura Nyros mit erhobenem Zeigefinger und auf unerträglich herablassende Art vorgeschrieben werden solle, was für Musik es gut zu finden habe, statt die Künstler zu wählen, deren Musik bei ebendiesem Publikum wirklich ankäme. Kulturellen Elitismus nannte es der Journalist Hampton Stevens im weinerlichen Duktus der Opferstilisierung in der Washington Times.
Offensichtlich macht Laura Nyro Angst. Manchen Menschen zumindest. Damals wie heute. Zu Lebzeiten und posthum. »She pissed me off!« Du liebes Bisschen!
1947 wurde die spätere Angstmacherin in der New Yorker Bronx als Kind russisch-jüdisch-italienisch-katholischer Eltern geboren. Sie war kaum 19, als sie ihr erstes Album More Than a New Discovery aufnahm. Insbesondere ihre ersten drei Alben enthalten entgegen den eingangs erwähnten Unkereien unzählige (auch: kommerzielle) Hits: »And When I Die«, »Stoned Soul Picnic«, »Wedding Bell Blues«, »Stoney End«, »Eli’s Comin’«. Nur waren es andere, die mit Nyros Songs Hits hatten, wie z. B. Blood, Sweat & Tears, Peter, Paul & Mary, Fifth Dimension, Barbra Streisand oder Three Dog Night. 1969 waren gleich drei Top-Ten-Hits, die sich wochenlang in den Billboard Charts hielten, Songs, die Laura Nyro geschrieben hatte.
Ebenso groß und beeindruckend