und, nun ja, »die Welt ist Klang«.
Aber natürlich war auch immer das Akkordeon zur Hand – und sei es mit David Tudor zusammen auf einer Wippe, mit Lichtregie und mitsingendem Starenvogel (Duo für Akkordeon und Bandoneon, 1963f). Übrigens das Werk einer Frau in einer Zeit, die für Frauen eigentlich ganz andere Dinge vorgesehen hat als Kunst und Naturwissenschaft. Es führte, wenn auch nicht zu Weltberühmtheit, so doch zu beträchtlicher Anerkennung in Kreisen der Musik. Die Wertschätzung der Künstlerin zeigt sich auch anhand der Labels, auf der ihre Musik veröffentlicht wurde und weiter wird: beginnend mit Lovely Music, gegründet vom Mimi Johnson speziell für elektronische und experimentelle Musik, hier erschienen schon in den 1960er-Jahren erste Stücke. Und Composers Recordings Inc. brachte 1998 eine CD mit dem Titel Lesbian American Composers heraus, auf der auch Musik von Pauline Oliveros vertreten war.
Nun, es wird hoffentlich Zeiten geben, in denen Sexualität, sexuelle Orientierung einfach ein Faktum ist, Teil menschlichen Lebens. Aber das ist noch nicht so, selbst die Stonewall Riots liegen gerade mal 50 Jahre zurück. Zwar ist das gestrenge Auge der moralischen Mehrheit bevorzugt auf Schwule und Transgender gerichtet, doch auch das lesbische Leben war (und ist) nicht immer einfach. Pauline Oliveros hat sich darum offenbar nicht weiter geschert und sich ihren Raum geschaffen, einen Raum, der mehr einer Piazza glich, offen für Begegnungen aller Art. In vielen Veröffentlichungen zu Oliveros wird über ihre Sexualität geschwiegen. Es gibt allerdings ein Buch, das sich genau damit befasst, Martha Mockus’ Sounding Out: Pauline Oliveros and Lesbian Musicality. Darin zeigt sich nicht nur Oliveros Vertrautheit mit anderen Komponistinnen, deren Musik sie gefördert sehen will. Mockus beschreibt auch ein feministisches Netzwerk, das letztlich ihr Coming-out in den 1970er-Jahren ermöglichte. Das geschah in Source mit einer famosen Selbstbeschreibung: »Pauline Oliveros is a two legged human being, a female, lesbian, musician, composer among other things witch contribute to her identity. She is herself and lives with her partner Lin Barron … along with assorted poultry, dogs, cats, rabbits and tropical hermit crabs«. Dabei war Oliveros stets auch politisch interessiert und feministischer Neigungen verdächtig. »And Don’t Call Them ›Lady‹ Composers« lautete die Überschrift zu einem von ihr 1970 verfassten Artikel in der New York Times. Sie schrieb: »Why have there been no ›great‹ women composers? The question is often asked. The answer is no mystery. In the past, talent, education, ability, interests, motivation were irrelevant because being female was a unique qualification for domestic work and for continual obedience to and dependence upon men. This is no less true today.« »Warum gab es (also) keinen weiblichen Beethoven?« Die nach wie vor gerne gestellte Frage in diesem Zusammenhang ist öde ohne Ende. Und es gibt eine einfache Antwort: Es gab ja Pauline Oliveros (die Beethoven durchaus schätzte). Beethoven jedoch war lesbisch, ersichtlich in einer Postkartenserie zu berühmten Komponisten, die Oliveros und Alison Knowles in den frühen 1970er-Jahren fabrizierten. Auch da blitzt der klarsichtige Witz dieser bemerkenswerten Frau auf.
Und was ist nun mit ihrer Musik? Sie ist, ums kurz zu fassen, kaum auf einen Nenner zu bringen. Sehr sperriger Stoff ist da zu finden und sehr frei Fließendes, Musik für Ensembles, Orchester, Chor, mit und ohne Elektronik und für Akkordeon, Notiertes und Improvisiertes in allen vorstellbaren Zusammenhängen. Oliveros war ja stets aktiv, seit ihren kompositorischen Anfängen 1960 bis zu ihrem Tod 2016. Und um auf das real life zurückzukommen, das ich eingangs so denglisierend verwendet habe: Das verweist noch auf eine Aktivität Oliveros, nämlich die globale Vernetzung von KünstlerInnen per Avatar bei Second Live zu einem Metaversum der Musik. Ihr Metier war es, an Grenzen zu gehen, sie zu überschreiten, Räume zu betreten, in die vor ihr noch niemand vorgedrungen war.
Ein Rollenmodell? Unbedingt. Aber sicher keins, dem irgendwie einfach nachgeeifert werden kann. Es hat sich, im Hinblick auf die E-Musik, der Pauline Oliveros ja auch zuzurechnen ist, viel getan. Komponistinnen, sogar Dirigentinnen haben sich etabliert. In Sachen Jazz und Impro sind Frauen inzwischen ziemlich selbstverständlich. Im Bereich der elektronischen Musik gibt’s viele aufregende Klänge aller Arten zu hören, die Frauen ganz selbstverständlich verfertigen. Sie war jederzeit eine Vorstreiterin dafür, dass Frauen Dinge tun können, obwohl niemand sich vorstellen konnte, dass diese Dinge tatsächlich von Frauen getan werden können. Nur weil sie es wollen.
Tine Plesch
Janis Joplin
• BIG BROTHER & THE HOLDING COMPANY
• ERSTE SINGLE 1968
Janis Joplin starb vor 30 Jahren. Sie starb allein in einem Hotelzimmer, an zu reinem Heroin, das ihr Körper, gerade mal ein halbes Jahr clean, nicht verkraftete. Sie wurde erst nach 18 Stunden gefunden.
Ich frage ein paar Bekannte, was ihnen zu Janis Joplin einfällt. Nichts. Sie wissen, wer sie ist und sie kennen sicher ein paar ihrer Songs – »Me and Bobby McGee« zum Beispiel, das nach ihrem Tod erschien und ihr einziger Nummer-1-Hit wurde. So verzeichnet es das Minilexikon, das meinen neugekauften Minidiscs beiliegt. Und erwähnt – immerhin – nicht ihr exzessives Leben, sondern ihren »hemmungslosen Vokalstil«. Die Klage, der Schrei, das Flüstern – sie alle gehören zum Blues, und Janis Joplin hat sie alle beherrscht, hat in unerhörter Intensität Innerstes nach außen gekehrt, hat es dir um die Ohren geschlagen: Aggression, Verletzlichkeit, Einsamkeit, Begehren, Leidenschaft. Konnte es aber auch anders, den Blues, wie er sich gesungen gehört – Liveaufnahmen von 1963 und 1965 sind auf dem Doppelalbum Janis Joplin zu finden. Janis Joplin hat mit dafür gesorgt, dass die große Bessie Smith einen Grabstein bekam und ihn auch zur Hälfte bezahlt. Was für eine Geste!
Janis Joplin wurde 1943 in Port Arthur, Texas, geboren, als die Rassentrennung noch fest verankerter Teil des gesellschaftlichen Lebens vor allem der Südstaaten und »nigger-knocking« ein Freizeitvergnügen war. Von all dem hielt Joplin nichts, interessierte sich für Musik, Lyrik und Kunst und galt so schnell als Außenseiterin – »a weirdo among fools« nannte sie es. Sie schloss sich einer Jungsgang an, sie passte nicht ins Bild, ins damals gängige Frauenbild schon gar nicht, sie wurde verspottet als »hässlichster Mann auf dem Unigelände«. Pieke Biermann und Guy St. Louis schrieben 1979: »Sie steht quer zu allen Linien, in die sie passen sollte: Sie ist viel zu verworfen und deftig für eine weiße Frau, ihre Sprache und ihre Gesten sind zu dreckig, sie ist zu dick für ein Idol, nach dem sich die weißen Fans sehnen sollen, und zu verwurschtelt für eine ordentliche kontinuierliche Karriere.« Ich erinnere mich an die Bilder im Doppelalbum Janis Joplin. Janis in verschiedenen Phasen und Posen: mit hochgesteckten Haaren, mit Federboa und kettenbehängt, mit nachdenklichem Blick hinter der runden Brille und ohne Glam-Klamotten. Ich fand sie höchst attraktiv. Natürlich erwähnte damals niemand, dass Joplin zwar von »One Good Man« sang, aber auch Frauen liebte. Wie Bessie Smith übrigens. Auch Myra Friedmanns Biografie schweigt sich darüber aus. Biermann/St. Louis schrieben, ganz im Geist der 2. Frauenbewegung: »Und dann ist sie auch noch eine lesbische Frau, und die Drastik, mit der sie ihre Verzweiflung über die sexuellen Zustände herausschreit, ist nicht gut weißen Zuhörerinnen zu empfehlen, die man zu getreuen, wenn auch … etwas ›befreiteren‹ heterosexuellen Gefährtinnen von Männern machen will.«
Janis Joplin, 1970
Als sie zwanzig war, ging sie nach San Fransisco. Der Rest ist bekannt, ein einjähriger Abstecher zurück nach Texas ändert nichts daran. Folkkneipen, Big Brother and the Holding Company, der Durchbruch in Monterey 1967, die Kozmic Blues Band, die Full Tilt Boogie Band. Alk, Heroin, Sex, das volle Programm. Immer von Selbstzweifeln geplagt, immer im Schatten ihres Images als spontane, taffe Person. »Interviewers don’t talk as much about my singing as about my lifestyle … Maybe my audiences can enjoy my music more if they think I’m destroying myself.« Die Musikerin Joplin war zielstrebig. »Was über sie erzählt wurde, z.B. sie lasse es sich immer gutgehen und arbeite nie, ist totaler Unsinn. Ich habe nie eine Künstlerpersönlichkeit gesehen, die härter gearbeitet hat. … Sie plante jedes einzelne Stöhnen, jeden Schrei.« Janis Joplin wollte alles, lautet eine gängige Formel zu ihrem Leben. Das erinnert mich an eine andere Künstlerin, deren Tod