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These Girls


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abzuziehen.

      Irgendwann wird mir bewusst, dass hier was nicht passt zum gewohnten Bild der großen TV-Show. Es dauert eine Weile, bis ich weiß, was hier fehlt: die faden Sprüche des Moderators, die mäßigen Gimmicks und irre tollen Gäste und Tonnen nackter Beine vor schlechter Musik. Hier ist das scheinbar bekannte Bild plötzlich mit so viel Ernsthaftigkeit, Qualität und Konzentration auf die Musik aufgeladen, dass man sich fragt, wie man sich jemals zum Glauben bekennen konnte, dass die Hölle eine Show für die ganze Familie ist.

      Während sie im ersten Teil ihren »Babies« viel Platz einräumt, stellt sich Queen Esther Marrow nach der Pause, jetzt in flammendes Rot gekleidet, ins musikalische Zentrum. Die Show wird dadurch strenger, inbrünstiger, heißer und steht ganz im Zeichen der Würde, die diese große Sängerin ausstrahlt, egal ob sie in überwältigender Ekstase oder im meditativen Gebet versunken scheint oder in einer Nightclub-Screamin’-Jay-Hawkins-Atmosphäre die Sünde an die Wand malt. Man glaubt, körperlich zu spüren, wie der ganze Saal von der Bühne aufgesogen wird. Aufgerufen und eingezogen von Gottes mobilem Spezialkommando.

      Der Ungläubige hat nun nichts gesagt über das, was sie sagen, aber soviel kann er sagen: Einen Glauben, der solches Werk hervorbringen kann, hätte ich auch gern. Ohne zu verzweifeln über der Frage, wie ein und dasselbe Konzert auf Rudolph Mooshammer, Societypraktikantin Davorska T., meine Frau und mich dieselbe Wirkung haben kann. Oder wie es Cannonball Adderley gesagt hätte: »Mercy, Mercy, Mercy«.

      Lutz Vössing

       Karen Dalton

      • ERSTE LP 1969

      Folk-Musiker*innen erzählen oft autobiografische Geschichten. Die Musikerin Karen Dalton (1938–1993) jedoch hat nie einen selbst geschriebenen Song gesungen oder aufgenommen, und dennoch schreitet ihre persönliche Lebensgeschichte, von der im Übrigen nur wenige Informationen wirklich gesichert sind, jedes Mal wie ein verkehrter Schatten ihrer Musik voraus. Es ist die Geschichte einer Frau, die mit 20 so singt, als hätte sie bereits zwei Leben hinter sich gehabt, die geradeheraus, ehrlich, mit ihrer krächzenden Stimme zu Lebzeiten gerade mal zwei Alben veröffentlichte, auf denen sie ihre Schwermut so roh und eindringlich einfing. Da ist das 1969 veröffentlichte It’s So Hard to Tell Who’s Going to Love You the Best und das kurze Zeit später aufgenommene und 1971 veröffentlichte In My Own Time.

      Das Leben der in Enid, Oklahoma, in eine musikalische Familie geborenen Dalton hat einige Hoch- und Tiefpunkte. Glaubt man den teils irren Geschichten bzw. dem roten Faden der Wahrheit, von dem man ausgehen muss, klingt es vor allem nach einer langen Reihe von Tiefpunkten: gescheiterte Ehen, Kindesentzug, Drogenprobleme, künstlerische Erfolglosigkeit, Armut und nicht weniger als zwei ausgeschlagene Zähne durch ihren Ex, die sie sich durch den Erlös der beiden ersten Alben reparieren lassen wollte, wozu es jedoch nie kommen sollte. Lauscht man ihrer Musik, verstärkt das die Annahme einer leidenden Person, schafft sie doch mit ihrer starken und zugleich sehr zerbrechlichen Stimme eine äußerst intime, melancholische, von der Tragik ihres Lebens sprechende Stimmung. Müssen Künstler*innen leiden, um Leid in Musik glaubhaft darzustellen? Schwer zu sagen. Im Falle von Karen Dalton sind die Anzeichen deutlich. Man kann sogar zum Teil vage Parallelen zu der Geschichte des enigmatischen Folk-Musikers Jackson C. Frank ziehen, dessen Karriere ebenfalls einer Reihe von Schicksalsschlägen und Depressionen erlag. Sidefact: Karen Dalton sang den Song »Mole in the Ground«, bei Frank heißt er in einer anderen Version »Kimbie«.

      Mit 17 war sie bereits zweimal verheiratet und Mutter zweier Kinder. Die Ehen scheiterten, das Sorgerecht für einen Sohn verlor sie. Sie krempelte ihr Leben um, verliebte sich in die Geschichten der amerikanischen Folk-Musik und trieb sich von nun an in den Kreisen um Tim Hardin, Fred Neil oder Dino Valente herum. Sie sang mit Bob Dylan, war als die wichtigste Frau in der Greenwich-Village-Folk-Szene der 1960er-Jahre anerkannt und Teil einer Hippie-Kommune mit Leuten wie Stan Brakhage. Bestes Terrain für eine steil verlaufende Karriere. Ihr Debüt bestätigt das. Hier klingt sie, wie man sie später auch auf den Live-Aufnahmen erleben wird, nämlich roh, straight-forward und so ungemein traurig. Beim zweiten Album klingt sie im Gegensatz zum Vorgänger etwas poppiger, etwas mehr Up-Beat. Das kann zwar durchaus schön sein, »Something on My Mind« sei nur ein Beispiel. Doch man hört auch den posthum veröffentlichen Aufnahmen an, dass ihre wahre Größe dann am besten zum Vorschein kommt, wenn sie allein, in ihrer Geschwindigkeit, nur mit Gitarre oder Banjo spielt, schön wie ein unbehauener Diamant. Auf 1966 ist das zu hören oder Green Rocky Road (zu Hause aufgenommen), besonders aber der 2007 als Cotton Eyed Joe veröffentlichte Live-Auftritt zeugt von ihrer starken, intensiven Präsenz, die schlechte Qualität der Aufnahme lässt jedoch nur einen Bruchteil des Glanzes zu, dessen sie mächtig war. Ebenfalls erst spät entdeckt wurden ihre selbst geschriebenen Texte. Ein paar wurden auf der Compilation Remembering Mountains: Unheard Songs by Karen Dalton von u. a. Sharon Van Etten, Julia Holter und Lucinda Williams interpretiert. Zum Einstieg sei allerdings ihr Erstlingswerk empfohlen, denn es zeigt am besten, was sie konnte und zu was sie wohl noch fähig gewesen wäre, hätte ihr Leben einen anderen Lauf genommen.

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      Karen Dalton, It's So Hard to Tell Who's Going to Love You the Best (Capitol, 1969)

      Und nicht nur Bob Dylan sprach in höchsten Tönen von ihr, auch heute beziehen sich viele Künstler*innen auf Karen Dalton, darunter Mark Lanegan, Nick Cave, Joanna Newsom und Devendra Banhart. Trotz der Achtung, die ihr schon damals zuteil wurde, kam es weder zu Lebzeiten noch danach zum Durchbruch. Das lag einerseits an der Musikindustrie, die mit ihren Covern von alten Folk-Liedern oder auch denen ihrer Zeitgenossen wie Tim Hardin nichts anzufangen wusste, und andererseits auch an ihrer nicht konformen Art. Sie wollte bloß Musik machen. Im Gegensatz zu ihren Zeitgenoss*innen war sie eine schüchterne Person. Sie mied das Rampenlicht, fühlte sich unwohl, wenn sie auf der Bühne stand. Mit der Industrie konnte sie nie etwas anfangen. Im Gegensatz zu ihren Zeitgenoss*innen war sie eher schüchtern, mochte das Business nicht und wurde so zu Lebzeiten nicht »entdeckt«. In ihren letzten Lebensjahren verfiel sie den Drogen, infizierte sich mit HIV – und starb, nachdem man 20 Jahre nichts mehr von ihr gehört hatte, vereinsamt im Wohnwagen eines Freundes. Zeit ihres Lebens hatte sie mit sich und der Welt zu kämpfen. Was wäre wohl passiert, hätte sie früher die Aufmerksamkeit und den Erfolg erfahren, den die von ihrem Talent überzeugte, aber doch bescheidene junge Frau verdient hätte? Vielleicht hätte sie viel mehr von ihren Ideen und ihrer Kreativität verwirklichen können. Karen Dalton ist eine beeindruckende Frau in der vom männlichen Pathos dominierten Folk-Szene der 1960er-Jahre und ihre Lebensgeschichte gibt eindrücklich Probleme wider, die sich aus dem realen Problem der Verquickung von Privatleben und Musikgeschäft ergaben.

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      Jonas Engelmann

       Linda Perhacs

      • ERSTE LP 1970

      »Ich werde häufig gebeten, die nachhaltige Wirkung des Albums zu erklären«, so Linda Perhacs 2012 in einem Interview. »Vielleicht ist der Grund, dass es der Versuch war, mit den Harmonien der Natur in Einklang zu stehen, und das ist etwas Zeitloses, das allen gehört.« Die Rede ist von Perhacs Debüt Parallelograms, das 1970 erschienen und sofort wieder von der Bildfläche verschwunden ist. Doch irgendwie hat Parallelograms die Zeit überdauert, ohne das Wissen seiner Schöpferin ein Eigenleben geführt und erst 25 Jahre nach der Veröffentlichung seine eigentliche Wirkung entfaltet. Bis Ende der Neunziger war Perhacs nicht klar gewesen, dass ihr Debüt überhaupt irgendwen erreicht geschweige denn berührt hatte. Nachdem ihr Label sie fallengelassen hatte, als sich Perhacs nicht als die neue Joni Mitchell herausstellte und sie ohnehin wenig Lust auf ein Leben auf Tour hatte, hängte sie ihre Karriere als Musikerin an den Nagel und konzentrierte sich wieder auf die Zähne der Hollywood-Prominenz.

      Dort, in einer Zahnhygiene-Praxis