der Heirat mit dem Künstler Les Perhacs und dem Umzug nach Topanga Canyon im Umland von Los Angeles arbeitete die 1943 geborene Perhacs in der Praxis eines ehemaligen Professors in Beverly Hills, wo sie Paul Newman, Cary Grant und Henry Fonda Zahnstein entfernte. Unter den Patienten war auch der Filmkomponist Leonard Rosenman, der bei Arnold Schönberg Komposition studiert und den Score zu Rebel Without a Cause geschrieben hatte; in den späten Siebzigern sollte er für seine Musik zu Stanley Kubricks Barry Lyndon und dem Woody-Guthrie-Biopic Bound for Glory jeweils mit dem Oscar ausgezeichnet werden. Auf Rosenbergs Frage nach ihren Hobbies erzählte Perhacs ihm von Folksongs, die sie nach Feierabend komponiere und brachte ihm zum nächsten Termin ein Tape mit ihren Songentwürfen mit. Und weil in Hollywood vieles nach einem schlechten Drehbuch klingt: Schon am folgenden Morgen rief Rosenman an und bat Linda Perhacs in sein Studio, wenige Wochen später stand der Plattenvertrag mit Kapp Records, einem Sublabel von MCA. Rosenman hatte in seinem Studio aufgrund von Science-Fiction-Soundtracks, an denen er gerade arbeitete, die aktuellste Technik zur Verfügung, die sie nutzten, um mit elektronischen Effekten zu spielen, Soundloops zu entwerfen und Gesangsspuren übereinanderzuschichten. Gemeinsam entwarfen sie ein Album zwischen Acid-Folk, Psychedelic und Bluesanleihen, gebrochen durch an John Cages Radioarbeiten der 1940er-Jahre erinnernde Soundexperimente – für den elektronisch verstärkten und modifizierten Dusch-Schlauch nennen die Credits Brian Ingoldsby.
Die Texte von Perhacs sind lyrische Projektionen der eigenen Gefühlswelt auf die Natur, Songs wie »Chimacun Rain«, »Dolphin« oder »Call of the River« beschreiben Erinnerungen an die Redwood-Bäume der Kindheit in Nordkalifornien und Eindrücke von langen Spaziergängen an der Küste. Doch Textzeilen wie »Colors that are dripping« (»Morning Colors«) oder »I’m seeing silences between leaves« (»Chimacun Rain«) weisen über Natur und Liebesbekundungen hinaus. »Ich habe Musik als Farben gesehen«, hat Perhacs in einem Interview erklärt. »Ich dachte immer, jeder könnte das sehen, aber mir wurde klar, dass das nicht jeder kann. Später habe ich herausgefunden, dass es einen Namen dafür gibt, Synästhesie.« Hier liegt das eigentliche Geheimnis von Parallelograms: Perhacs hat mit Hilfe von Rosenman versucht, Farben zurück in Musik zu verwandeln. »Das Ganze sollte eine dreidimensionale Skulptur aus Musik darstellen«, erklärt sie in einem Dokumentarfilm. Dort beschreibt sie auch ihr Schlüsselerlebnis auf einer Heimfahrt vom Ehepaar Rosenman – vollkommen nüchtern, wie sie betont: »Plötzlich erschien im Himmel etwas, das ich noch nie gesehen hatte. Heute weiß ich, dass auch andere Menschen ähnliches gesehen haben. Es war eine sich bewegende Skulptur. Ich wusste, dass ich Musik sehe ohne Musik hören zu können. Ich nahm ein kleines Stück Papier und notierte, was ich gesehen hatte.« Aus diesen Notizen entstand der Song, der die Vision von Linda Perhacs am prägnantesten eingefangen hat: »Parallelograms«. Mehrere Gitarren- und Gesangsspuren legen sich übereinander, erzeugen über einen Surround-Sound-Effekt einen Kreis, in dem sich Soundloops drehen, vorwärts und rückwärts laufende Stimmenfragmente den Kreislauf aufbrechen, bis die Gitarre wieder die Oberhand gewinnt; »Quadrehedral / Tetrahedal / Mono-cyclo-cyber-cilia« singt Perhacs darüber mehrstimmig. Eine »visuelle Musikkomposition« nannte sie den Song, und: »Das ist eine echte Komposition, das andere sind Songs«. Songs wohlgemerkt, die ebenfalls zeitloser klingen als 90 Prozent aller anderen 1970 veröffentlichten Alben.
Linda Perhacs, Parallelograms (Kapp, 1970)
Das Plattenlabel war überhaupt nicht angetan und hat die mühsam im Studio erarbeiteten Sounds um alle Höhen und Tiefen bereinigt, um es fürs amerikanische Mittelwellenradio kompatibel zu machen, das Album auf billigstes Vinyl gepresst und sich jegliche Pressearbeit gespart. Perhacs soll der Legende nach ihre eigene Kopie des Albums nach kurzem Höreindruck in den Müll geworfen haben.
Ende der Neunziger veröffentlichte Michael Piper, der sich mit seinem Label The Wild Places auf obskure und verschollene Folk- und Psychedelic-Alben der Sechziger und Siebziger spezialisiert hat, das Album erstmals auf CD. Die digitale Version verbreitet sich schnell über das Internet, obwohl die schlechte Vinylpressung von 1970 zugrunde lag. Zwei Jahre später stöberte Piper die Künstlerin in Topanga Canyon auf, wo im Keller noch immer die originalen Bänder lagen, die seitdem die Basis für die zahlreichen Reissues waren, inklusive aller Höhen und Tiefen. Musiker*innen von Devendra Banhart über Julia Holter bis Sufjan Stevens haben Linda Perhacs Tribut gezollt, zu gemeinsamen Auftritten und Projekten überredet und sie nach 40 Jahren aus der Alltagsroutine ihres Dayjobs als Zahnhygienikerin befreit. 2014 hat Perhacs ihr zweites Album in 44 Jahren, The Soul of All Natural Things, veröffentlicht, 2017 folgte I’m a Harmony. Die Titel deuten es an: Dort geht’s ziemlich esoterisch zu, viel Seele, innere Ausgeglichenheit, Gott, Planeten, Geister, Stimmen der Natur etc. Eher zwei- als dreidimensional. Aber Parallelograms bleibt ein viel zu lange vergessener musikalischer Höhepunkt der Siebziger. »Semi para bolic / Semi metra bolic / Radio-larial-uni-cellular«.
SABRINA MARZELL
Suzanne Ciani
• NEOTANTRIK
• ERSTE LP 1970 (ERSTE AUFNAHMEN 1969)
Das Universum modularer Synthesizer öffnet der frühen Elektroakustik der 1960er-Jahre erstmals die Türen zu unbekannten Klangräumen und schafft das Fundament unerhörter Klangästhetiken: vom Krautrock über New Age bis hin zur elektronischen Avantgarde. Denn die durch den Synthesizer erzeugte Klangsynthese hält Einzug in unterschiedliche Musikgenres und bringt elektronisch generierte Spatial Rhythms und Sounds hervor. Elektronische Musik wird fortan zu einer eigenständigen Kunstform.
Neben Robert Moogs modularem Synthesizer System ist es Don Buchla, der durch seinen elektronischen Klangerzeuger die Welt modularer Synthesizer enorm bereichert. Anders als bei Moogs Systemen erfolgt die Klanggenerierung des Buchlas nicht nach dem Prinzip der subtraktiven Synthese, sondern basiert auf der komplexeren und schwerer zu bedienenden Timbre-Modulation. Das Ergebnis sind tiefe, abstrakte Klangillusionen, die in die Sphäre des Hörbaren gelangen. Die synthetischen Klänge avancieren bald zu Hymnen damaliger intellektueller Musikerkreise.
Als eine der ersten Frauen der US-amerikanischen elektronischen Musikkultur erliegt die in einem Bostoner Vorort aufgewachsene Suzanne Ciani der Faszination der analogen Soundmaschine und erzeugt bald eigenes Musikmaterial mit dem Buchla-Synthesizer. Bemerkenswert ist Cianis entschieden feministische Haltung, die sie im männlich dominierten Feld der Elektroakustik von Beginn an einnimmt und eine weibliche Konnotation setzt.
Die über Jahrzehnte hinweg aktive Komponistin und Klangkünstlerin verzeichnet weitreichende Erfolge. Unter Anderem komponierte sie den Score für The Incredible Shrinking Woman, den Pop in Pour Coca-Cola-Werbespot oder die Pieptöne der ersten musikalischen Spülmaschine von General Electric. Heute gilt sie als Pionierin auf dem Gebiet elektronischer Musik und Sound Design.
Suzanne Ciani
Mitte der 1970er-Jahre verlässt die studierte Pianistin die kalifornische Westküste und macht sich für eine Live Buchla Performance auf in die Bonino Gallery nach New York City, für die sie Aufsehen und Anerkennung erlangt. Ein gutes Jahr später schafft sie es bereits auf das Cover der NY Times’ Arts & Leisure, performt mit ihrem Buchla im angesagten WBAI Free Music Store und im Downtownloft von Phil Niblock, der Avantgardist der damaligen Fotografie-, Film- und Musikszene New Yorks.
Die beiden Konzertaufnahmen der Künstlerin von 1975 kramte das Londoner Label Finders Keepers Records aus dem Fundus und presste 2016 eine Neuauflage der Buchla Performances Cianis auf Platte. Denn für die Performances entwickelte Ciani eigens für den Buchla Series 200 ein »Basic Performance Patch«, das sich aus vier einzelnen Modulen zusammensetzt. Die Module Prism Melody und The Vertical Sequencer entspringen der Idee serieller Abfolgen. Ein konstanter Puls bildet die Basis für harmonisierte Rhythmen und eine melodische Textur. Das Prinzip der Polyphonie bricht in den Modulen The String Patch und Keyboard Rotations die bisherige Ordnung