in München, ist sie mit einer Gruppe nach Israel gereist und hat dort geistige Orientierung in existenzialistischen Ideen gefunden. Wieder in München hat sie 1961 auf Drängen des Vaters ein Schulmusikstudium mit dem Hauptfach Klavier begonnen. Es folgte noch ein Percussionstudium. Parallel zum Studium hat sich Limpe Fuchs stets andere Bezüge gesucht: z. B. einen einjährigen Kurs am Münchener Rhythmikon bei Amelie Hoellering, die einen ganzheitlichen Ansatz vertreten hat, der das Zusammenspiel von Leib, Seele und Geist im absichtslosen Spiel als Sinnesübung und Meditation herstellte. Eine Richtung, welche die klassische Schulmusik kontrastierte. In einer Gruppe junger Bildhauer*innen lernte Limpe Fuchs ihren späteren Mann, Paul Fuchs, kennen, der wie sie die Nachkriegszeit hinter sich lassen wollte und herauszufinden suchte, wie Selbstbestimmung lebbar sei. Legendär ist die »Musik für alle«-Tournee der beiden als Anima Sound im Jahre 1971 mit einem vom Trecker gezogenen Wagen mit Auftritten auf öffentlichen Plätzen zwischen München und Amsterdam. Sie spielten ihre eigenen Kompositionen mit dem selbstgebauten Fuchs-Horn und Percussion, provozierten und animierten ihre Hörer*innenschaft mit eigenwilligen Performances. Die Musik entwickelte sich im groben Bezugsrahmen der Arbeiten von John Cage, der Minimal Art und Soundscape Artists in Gruppenimprovisationen mit selbstgebauten Klangkörpern.
Bis 1989 blieben Paul und Limpe Fuchs zusammen Anima Sound, tourten 1981/82 und 83 jeweils drei Monate durch Amerika und Kanada, spielten am New Music America Festival 1986 in Chicago und 1989 in New York. Nach aufregenden Jahren nicht nur auf Tourneen, sondern auch als Familie, einem Zeitraum in Italien, wo sich Limpe und Paul Fuchs weiterhin ihrem Lebensentwurf eines unabhängigen und selbstbestimmten Lebens verpflichteten, kam 1989 die persönliche und die berufliche Trennung von Anima.
Limpe Fuchs lebt und arbeitet weiterhin auf dem Pfarrhof in Oberbayern, den sie noch während des Studiums mit Paul Fuchs gemeinsam erwarb und der Ort vieler musikalischer und lebenspraktischer Experimente geblieben ist. Dort entwickelt sie auch heute noch ihre einzigartigen Instrumente, entwirft Klangcollagen, spielt mit Materialien, um ihnen ihre innersten Töne zu entlocken. Seit den 1990er-Jahren arbeitet Limpe Fuchs auch vermehrt als Musikpädagogin, gibt Kompositionskurse am Rhythmikon in München, arbeitet mit Kindern und Jugendlichen und vermittelt ihre Klang- und Bewegungswelten in Kunsthochschulen an Studenten. Dem Ursprung ihres Schaffens bleibt sie dabei stets verbunden: Hören und Wahrnehmung und keine Angst vor dem Nichtkönnen. Und vielleicht ist es das, was im Blick von Limpe Fuchs anmutet: dass darin eine tiefe Unerschrockenheit mit dem sanften Wahrnehmen des anderen verbunden ist, was sich in dem ernsthaften Spiel von Klängen und Körpern ganz leicht und selbstbestimmt im Raum ausbreitet.
VOLKER BARSCH
Marcia Griffiths
• BOB MARLEY & THE WAILERS
• ERSTE LP 1971
Wenn es um Frauen-Power in der Reggae-Szene geht, führt kein Weg an den Alben Naturally und Steppin’ vorbei, die Marcia Griffiths Ende der 1970er für Sonia Pottinger aufnahm, denn hier kamen zwei der stärksten Frauen der jamaikanischen Reggae-Geschichte zusammen.
Beide hatten sich in einem extrem harten, klar von Männern dominierten Business durchgesetzt und eine absolute Ausnahmestellung erarbeitet. Während es neben Marcia immerhin noch eine Handvoll weiterer mehr oder weniger erfolgreicher Sängerinnen in Jamaika gab, war Sonia Pottinger die einzige etablierte Produzentin auf der Insel. Zwischen 1966 und 1985 gingen eine Reihe essentieller Ska-, Rocksteady- und Reggae-Produktionen auf ihr Konto. Marcia hatte ihre Karriere ebenfalls Mitte der 1960er-Jahre begonnen, als Teenager. Besonders erfolgreich war sie im Duett mit Bob Andy, u. a. mit einem dynamischen Cover von Nina Simones »Young Gifted and Black«.
So galt Marcia bereits um 1970 herum als Jamaikas wichtigste Sängerin, während Rita Marley und Judy Mowatt so ziemlich die einzigen Frauen waren, die in derselben Liga spielten. Ironischerweise wurden alle drei 1974 von Bob Marley engagiert und als »I-Threes« zum Background-Chor degradiert – ein Spiegelbild der Geschlechter-Machtverhältnisse in der jamaikanischen Musikszene. Auch wenn ihre eigenen Solo-Karrieren dadurch ins Stocken gerieten, ist dieser Schritt mehr als nachvollziehbar, denn als Teil des Marley-Trosses eröffneten sich ihnen Möglichkeiten, von denen andere Reggae-Artists kaum zu träumen wagten. Und tatsächlich drückten die I-Threes, allen voran Marcia, den Marley-Songs aus dem Background heraus ihren Stempel auf, exemplarisch in Songs wie »Them Belly Full« oder »Forever Loving Jah«. Zwischen den internationalen Tourneen und Studiosessions mit Bob gab es aber doch noch kleine Zeitfenster für eigene Projekte, aus denen Alben wie Ritas Who Feels It Knows It oder Judys überragendes Black Woman resultierten. Und eben auch Marcias Beiträge für Sonia Pottinger.
Marcia Griffiths beim Ruhr Reggae Summer in Mülheim, 2016
Musikalisch bewegen sich Naturally und Steppin’ auf gleichhohem Niveau, was nicht nur an Sonia Pottingers Qualitäten als Produzentin lag, sondern auch an so hervorragenden Studiomusikern wie Sly Dunbar, Ansel Collins oder Clive Hunt. Und dass ein Top-Artist wie Ken Boothe bereit war, Backgroundgesang beizusteuern, zeigt, welch hohes Standing Marcia in der jamaikanischen Macho-Szene genoss.
Persönlich bevorzuge ich von beiden Alben Steppin’, weil es mit »Steppin’ Out of Babylon« mein Lieblings-Marcia-Lied enthält und wegen des genialen Covers, einer Kreation von Bob-Marley-Cover-Designer Neville Garrick. Fast komplett in Gelb-, Orange- und Rottönen gehalten, präsentiert es Marcias lachendes Gesicht als eine über einem Bergrücken aufgehende, alles überstrahlende Sonne.
Und ist das nicht auch seit über 50 Jahren ihre eigentliche Rolle? Die meisten halten zweifellos Bob Marley für die wichtigste Reggae-Figur, aber was wären viele seiner Songs ohne Marcias Beitrag? Die klassische Geschichtsschreibung kennt nur männliche Sieger und ignoriert meist die feminine Seite. Bob Marley und Peter Tosh sind beide seit über 30 Jahren tot, Rita Marley hat sich nach Ghana zurückgezogen und Judy Mowatt ist zum christlichen Gospel übergelaufen. Nur Marcia ist immer noch da und hat mit dem treffend betitelten Timeless gerade wieder ein neues Reggae-Album veröffentlicht. In den vier Jahrzehnten, die seit Steppin’ ins Land gezogen sind, ist sie immer am Ball geblieben und hatte dabei auch nie Berührungsängste mit aktuellen Dancehall-Riddims. Erfolgreich war sie u. a. mit der Bunny-Wailer-Komposition »Electric Boogie« und ihrer Zusammenarbeit mit Dancehall-Produzent Donovan Germain.
Allerdings besteht Marcias Repertoire vor allem aus Liedern, die andere für sie schrieben, und Coverversionen, sodass sie nicht als innovative Songschreiberin in die Geschichte eingehen wird. Und natürlich ist sie alles andere als eine radikal-feministische Aktivistin. Dafür bleiben ihre Songs zu sehr den 1950er/1960er-Jahre-Konventionen verhaftet: Meist drehen sich die Texte um das (natürlich rein heterosexuelle) »Er liebt mich, er liebt mich nicht«, und auch musikalisch bleibt Marcia eine klassische Gesangsdiva, die mit schönen, sauber gesungenen Melodien überzeugt, statt alte Strukturen postmodern zu dekonstruieren. Revolutionär ist aber Marcias Durchhaltevermögen, mit dem sie seit über 50 Jahren ihre Ausnahmestellung behauptet – ihre feminine Kraft, ihre souveräne Ausstrahlung und nicht zuletzt ihre wunderschöne Stimme.
Während bis heute keine Frau ernsthaft versucht hat, in Sonia Pottingers Fußstapfen zu treten, hat Marcia viele jüngere Sängerinnen maßgeblich beeinflusst. Aktuelle weibliche Artists aus Jamaika, wie Jah 9, Hempress Sativa, Aza Lineage oder Koffee, würden Marcia zweifellos als Inspirationsquelle bezeichnen, aber auch internationale Reggae-Sängerinnen, wie die Australierin Nattali Rize, die kapverdische Pariserin Mo’ Kalamity, die Deutsch-Puertoricanerin Sara Lugo oder die Chinesin Yehaiyahan (formerly known as Chacha).
Ist also doch tatsächlich Marcia die Sonne, um die sich im Reggae-Universum alles dreht? Habe ich mich vor über 30 Jahren gar nicht in Bob Marleys Musik verliebt, sondern in Marcia? So richtig bewusst wurde mir ihre überragende Bedeutung für die Reggae-Historie erst, als ich sie im Januar 2013 beim Rebel Salute Festival an der jamaikanischen Nordküste live auf der Bühne sah. In ein perfekt sitzendes weißes Kleid gehüllt, stand sie dort, trällerte mit ihrer immer noch makellosen Stimme ihre Klassiker