Verstand schreit danach, ihm nicht zu folgen. Noch bin ich ihm nicht hörig. Noch? Was hege ich nur für Gedanken? Ich sollte ihm deutlichmachen, dass er keine Forderungen zu stellen hat und von hier verschwinden soll.
»Tut mir leid«, sage ich. »Den Weg nach draußen werden Sie wohl allein finden müssen. Hereingefunden haben Sie ihn ja auch.«
»Ich werde nicht gehen, wenn Sie nicht auf der Stelle tun, worum ich Sie bitte.«
Eine Welle schwappt durch mein Zentrum. Herrgott, ich darf nicht zulassen, dass seine Worte so viel Macht über meine Empfindungen haben.
Hilfesuchend sehe ich mich um und blicke Henry direkt in die Augen. Er und Carina stehen im Gang und beobachten uns.
»Gehen wir«, sage ich und deute mit der Hand in Richtung Fahrstuhl, als wäre ich diejenige, die den Ton angibt. Dabei wissen wir beide, dass dem nicht so ist.
Er geht vor mir über den Korridor, ohne sich umzudrehen, und bleibt vor dem Fahrstuhl stehen, während ich ihm hinterhertrotte wie ein kleiner Hund.
»Und jetzt? Soll ich Ihnen im Aufzug Händchen halten?« Warum zum Henker frage ich das?
Er drückt die Taste und bedenkt mich mit einem Blick, der einen elektrischen Impuls durch meinen Leib treibt. »Dürfen Sie. Ich mag es, wenn ich körperliche Reaktionen hautnah miterlebe.«
Reaktionen auf was? Da wird es nichts geben, worauf ich reagiere. Ich beschließe, gelassen zu bleiben. Dabei steigt mir die Hitze bis in den Kopf. Gut, dass ich Make-up trage.
»Meinetwegen. Ich begleite Sie noch zum Ausgang, aber nur, um wirklich sicherzugehen, dass Sie auch das Haus verlassen.«
Er lächelt und lässt mir den Vortritt. »Das werde ich.«
Obwohl ich mir vorgenommen habe, gelassen zu bleiben, überschlagen sich die Empfindungen in mir. Aufregung, Neugier, Panik. Ich sehe zur Fahrstuhldecke, dann zum Boden, nur damit ich mein Augenmerk nicht auf ihn richten muss.
Was mache ich hier nur?
Er steht mir gegenüber. Ich will nicht verlegen wirken, also reiße ich mich zusammen und erwidere seinen Blick. Wieder ist da dieses geheimnisvolle Lächeln. Er beugt sich nach vorn und langt an mir vorbei. Ich zucke zusammen. Sein Arm streift meine Brust, und sofort fließt ein Schwall Energie von seiner Berührung bis hin zu meinem Schritt. Warum muss ich mich auch direkt vor die Aufzugknöpfe stellen?
Ehe ich meinen Entschluss, in diesen Fahrstuhl zu steigen, überdenken kann, schließen sich die Türen.
Zwar ist der Aufzug so groß, dass locker fünf Leute darin Platz finden würden, trotzdem kommt er mir eng vor. Die dichte lustgetränkte Atmosphäre lässt mir kaum Luft zum Atmen.
»Sie sehen heute bezaubernd aus«, sagt Ethan und lässt den Blick über meinen Körper gleiten.
Hätte ich wenigstens etwas anderes angezogen. Die taillierte Seidenbluse betont meine Oberweite, und statt dem roséfarbenen Bleistiftrock hätte es auch die schwarze Marlenehose getan.
»Danke. Und Sie sehen lüstern aus. Als wollten Sie jeden Moment über mich herfallen.«
Er schmunzelt. »Keine Sorge. Das werde ich erst tun, wenn Sie mir gehören.«
Ich ziehe eine Braue nach oben. »Also nie.«
Er lacht, und beinahe wäre auch mir ein Lachen herausgekommen, weil meine kühnen Antworten so gar nicht zu meinem brennenden Bedürfnis passen.
»Sie stecken schon mittendrin. Sie würden hier nicht mit mir stehen, wenn Sie kein Verlangen danach hätten, sich mir hinzugeben.«
Ich pruste und bin kurz davor, ihm zu widersprechen. Schließlich hat er mich gelockt, mit dem Versprechen, dass er dann gehen werde. Doch im Grunde hätte ich genauso gut ablehnen und drauf bestehen können, dass er jetzt und sofort allein geht. Aber ich habe es nicht getan … Weil er recht hat, und das ärgert mich gewaltig.
Er tritt nach vorn und stellt sich neben mich. Zwar weiche ich einen Schritt zur Seite, dennoch berühren sich unsere Ellenbogen. Abrupt stoppt der Aufzug. Ich sehe Ethan an. Er nimmt seinen Finger vom Notfallknopf und amüsiert sich schmunzelnd über mein Entsetzen.
Noch bevor ich ein Wort herausbringe, neigt er den Kopf dicht an mein Ohr.
»Ich weiß, dass Sie es wollen.« Sein warmer Atem huscht über meinen Nacken und hinterlässt ein mildes Prickeln. »Eine Woche. Niemand wird davon erfahren.«
Ich zittere, innerlich und äußerlich. Seine Hand gleitet über meine Taille, und meine Sehnsucht lässt nicht zu, dass ich sie wegschiebe. Ich will ihn spüren, riechen und küssen. Seine Worte und Gesten berühren etwas, tief in mir. Etwas, das bisher nie gestillt worden ist. Ein sündiges Verlangen, von dem ich nur ein einziges Wort entfernt bin.
Ja. Ich will es. Aber ich bringe dieses Wort einfach nicht über die Lippen. Es gibt zu vieles, was mich daran hindert. Meine Karriere, mein Ruf, mein Stolz. Ich sollte ihn zurückweisen, ihm klarmachen, dass das keine Option für mich ist.
Er hält meine Hüfte, dreht mich zu sich und sieht mir tief in die Augen. Die wenigen Zentimeter, die unsere Münder voneinander trennen, gleichen einem magnetischen Feld. Ich öffne die Lippen, während sich meine Pupillen den seinen nicht entziehen können. Meine Unterlippe bebt – gewiss der Tatsache, dass er mich gleich küssen wird. Doch dann wendet er sich ab.
Der Boden ruckelt und mein Magen schlägt eine kleine Welle. Der Fahrstuhl hat sich wieder in Bewegung gesetzt.
Ein leises, sehnsüchtiges Seufzen entwischt mir. Ich fahre mit den Fingern durch meine Locken, als müsse ich sie nach einem stürmischen Quickie in Ordnung bringen. Dabei ist gar nichts passiert. Ethan lehnt sich wieder an die Metallwand mir gegenüber und interessiert sich im Moment mehr für die leuchtenden Ziffern als für mich. Meine Wangen glühen, weil ich mich so schäme.
Er erkundet mein Gesicht, und ich schäme mich noch mehr, weil mir klar wird, dass er meine Signale empfangen hat. Sein sexy Blick beweist es: Er weiß, dass ich bereit bin, auf sein Angebot einzugehen. Verdammt, er spielt mit mir.
Als das Pling ertönt und die Aufzugtüren auseinandergleiten, bin ich erleichtert und enttäuscht zugleich. Erleichtert, weil die Verlegenheit unerträglich wird, und enttäuscht, weil ich mir am liebsten das holen würde, was er mir eben noch verwehrt hat.
Er verlässt den Aufzug. Mit Wehmut im Bauch starre ich auf seinen männlich schönen Rücken. Eine Sekunde später dreht er sich zu mir um.
»Sie brauchen sich heute Abend nichts zum Essen zu machen, Melissa. Mein Fahrer wird Sie um zwanzig Uhr bei Ihnen zu Hause abholen. Bis dahin wünsche ich Ihnen einen schönen Nachmittag.«
6
Nur noch dreißig Minuten, und ich bin noch immer am überlegen, ob ich das rote Etuikleid oder den schwarzen Overall anziehen soll. Beide Kleidungsstücke liegen ausgebreitet auf meinem Bett, während ich zum hundertsten Mal überlege, wie ich Ethan gegenübertreten soll. Ich brauche eine Strategie, mit der ich das Gemälde ohne diesen wagemutigen Deal ergattere. Vielleicht lässt er sich doch noch erweichen.
Ich laufe vom Schlafzimmer ins Bad und wieder zurück ins Schlafzimmer, nur um zu prüfen, ob Haare und Make-up perfekt aussehen. Das Seidenhöschen reibt an meinem frisch rasierten Schritt. Natürlich bin ich auch neugierig, was er mir zu sagen hat, weshalb er mich überhaupt zum Essen einlädt. Ich richte noch einmal meine Brüste im BH und entscheide mich für das Kleid. Rot bedeutet Entschlossenheit und die brauche ich dringend. Außerdem betont es meine schlanke Taille.
***
Um Punkt acht klingelt es an der Tür. Mein ganzer Körper vibriert. Wie in Trance schlüpfe ich in die cremefarbenen Pumps und ziehe den Trenchcoat an. Einige Sekunden bleibe ich vor dem Garderobenspiegel stehen, betrachte mein verdattertes Gesicht und schüttle den Kopf. Ich muss verrückt sein, so etwas zu tun. Nein, ich werde nichts tun, was ich nicht will. Ich werde Ethan mit klarem Verstand gegenübertreten und mir lediglich anhören, was