eine bestimmte Reaktion. Ein Gesetz mit sehr breiter Anwendbarkeit ist z. B. das Gesetz der konstanten Masseverhältnisse.
Alle durch ein jeweiliges bestimmtes Gesetz erklärten Phänomene zeichnen sich dadurch aus, dass sie gemeinsame Eigenschaften haben, die durch das Gesetz miteinander verbunden sind. So haben in allen Fällen, in denen z. B. das Newton‘sche Beschleunigungsgesetz zur Anwendung kommt, Körper eine bestimmte Masse, auf die eine bestimmte Kraft wirkt und die mit einer bestimmten Rate beschleunigt werden. Natürlich sind streng genommen einzelne Fälle, in denen das Newton‘sche Beschleunigungsgesetz oder das Gravitationsgesetz anzuwenden ist, nie an sich absolut gleich. Aber alle Fälle zeichnen sich eben dadurch aus, dass sie dieselbe Beziehung von physikalischen Eigenschaften verkörpern. Diese Eigenschaften sind durch das Gesetz miteinander eindeutig verbunden. Alle Fälle eines bestimmten chemischen Reaktionstyps sind dadurch gekennzeichnet, dass Reagenzien eines bestimmten Typs beteiligt sind und ein bestimmtes chemisches Verhalten beobachtet wird (z. B. dass ein definierter pH-Wert und ein definierter Indikator eine definierte und messbare Farbreaktion ergeben). Solche Eigenschaften sind, neben ihrer gesetzhaften Verknüpfung, operationalisierbar, d. h. sie sind durch ein bestimmtes Verfahren charakterisiert, das definierte Messungen oder Beobachtungen beinhaltet, und dadurch auch wohldefiniert.
Davon scheinen sich jedoch mutmaßliche makroevolutive Vorgänge bzw. Stadien dieser Vorgänge zu unterscheiden, die durch „natürliche Selektion“ (einschließlich erforderlicher Mutationsereignisse) erklärt werden sollen. Alle Fälle, in denen ein Gesetz der Makroevolution zur Anwendung käme, müssten sich dadurch auszeichnen, dass bestimmte Eigenschaften durch dieses Gesetz eindeutig miteinander verbunden sind. Die Eigenschaften und diese Beziehung zwischen ihnen müssten dann an jedem Fall, wo dieses Gesetz zur Anwendung kommt, vorgefunden werden können. Aber weder solche Eigenschaften noch ein solches Gesetz mit einer solchen Beziehung sind in Sicht, wo es um makroevolutive Erklärungsversuche neuer und funktional komplexer Merkmale geht, selbst wenn es sich um sehr ähnliche Merkmale handelt. Zwar gibt es für sich prinzipiell messbare Größen, die für Selektion relevant sind, wie z. B. Reproduktionsraten. Diese sind jedoch nur Konsequenzen der aktuellen „Fitness“ eines Individuums; sie stehen mit dem eigentlichen (mutmaßlichen) physischen Entstehungsprozess selbst, um den es hier zentral geht, in keinem gesetzesartigen Zusammenhang.
Es ist vor diesem Hintergrund alles andere als überraschend, dass z. B. aus den hypothetischen Abfolgen und Randbedingungen, unter denen der Vogelflug evolutionär entstanden sein soll, nichts darüber erschlossen werden kann, wie der Fledermausflug entstanden ist. Trotz ähnlicher Flugleistung sind die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen enorm. So sind beispielsweise bei den Fledermäusen die Hinterbeine in den Flug involviert, bei den Vögeln dagegen nicht (außer bei einigen fossilen Formen, die als eigene Linien gelten). Man sollte erwarten, dass ursprünglich ein starker Selektionsdruck herrschte, die Beine auch als Stütze für Tragflächen zu nutzen (vgl. PETERS 2002, 349). Oder warum haben trotz ähnlicher Selektionsdrücke die Vögel eine ganz speziell gebaute fixierte, kleine Lunge mit hocheffektiver Durchströmungsatmung, die Fledermäuse dagegen nicht? Beispiele und Fragen dieser Art sind Legion.
Alle Fälle, in denen ein Gesetz der Makro-evolution zur Anwendung käme, müssten sich dadurch auszeichnen, dass bestimmte Eigenschaften durch dieses Gesetz eindeutig miteinander verbunden sind.
Weiterhin besteht der Verdacht, dass für die Beschreibung mutmaßlich makroevolutiver Vorgänge nicht solche Prädikate verwendet werden, die naturwissenschaftlich „erlaubt“, d. h. operationalisierbar und wohldefiniert wären (wie z. B. Masse, Ladung, eine bestimmte Farbe, pH-Wert usw.). Der Punkt ist hier, dass die evolutionäre Sprache wesentlich von teleologischen Begriffen geprägt ist; dazu gehören im Zusammenhang mit natürlicher Selektion Erfolgs- oder Misserfolgsbegriffe wie Anpassung oder Fortpflanzungserfolg. Solche Begriffe beschreiben etwas, was scheitern oder gelingen kann, insofern der Bezug auf Funktionen, also auf zweckmäßige Konstruktionen, wesentlich ist (ähnlich wie das bei der Bergmann‘schen Regel der Fall ist).
Z. B. beruht eine Vorstellung wie die, dass die Isolationswirkung eines Fells und der damit verbundene bessere Überlebenserfolg die Entstehung des Fells erkläre, auf einem entsprechenden Fehlschluss. Niemals kann die Eigenschaft eines Felles das Entstehen desselben erklären (höchstens, dass Spezies, die ein Fell mit seinen Eigenschaften bereits haben, eine höhere Reproduktions- bzw. eine niedrigere Mortalitätsrate aufweisen). Ebenso kann in einem natürlichen Kontext ein Zweck oder eine Funktion keine Erklärung sein. Zwecke und Funktionen sind nicht operationalisierbar. Teleologische Begriffe sind daher der Physik und Chemie fremd. Sie beschreiben nicht den eigentlichen physischen Prozess oder Mechanismus, sondern beziehen sich lediglich auf das Resultat eines möglichen Prozesses und setzen den Prozess als gegeben (und unproblematisch) voraus. Es wird also gerade der physische Prozess, der für einen makroevolutiven Vorgang wesentlich wäre, nicht inhaltlich thematisiert. Der Philosoph Geert KEIL schreibt zu Recht:
„Ein kausaler Mechanismus, in dessen Beschreibungen Kategorien wie ‚Überlebenserfolg‘ oder ‚Anpassung‘ vorkommen könnten, existiert nicht. Es kann ihn nicht geben, weil das zugrundeliegende Problem ein begriffliches ist und kein empirisches“ (KEIL 1993, 118).
Das heißt: Wir brauchen für eine echte Erklärung der Existenz von X wesentlich Gesetzmäßigkeiten (nebst plausiblen Randbedingungen), die zudem operationalisierbare Eigenschaften in Beziehung setzen. Sonst müssen wir offen lassen, ob X wirklich auf natürlichem Wege ins Dasein kam (siehe Kastentext „Warum wirkliche, natürliche Ursache-Wirkungs-Relationen immer auf Naturgesetzen und Randbedingungen beruhen müssen“). Zumindest gibt es dann für die These einer natürlichen Entstehung keine naturwissenschaftliche Rechtfertigung.
BRAILLARD & MALATERRE (2015) meinen, natürliche Selektion fungiere als vereinheitlichende Erklärung, indem sie so verschiedene Dinge wie Fossilbericht, Entwicklung und Instinkt von Tieren usw. erkläre. Eine solche „Erklärung“ ist aber solange nicht naturwissenschaftlich, wie sie nicht auf Daten zurückgreift, die spezifisch für natürliche Zusammenhänge wären. Das wären solche Daten, die es ermöglichen, wirklich (auf Gesetzen beruhende) Mechanismen zu formulieren. Ohne einen wenigstens paradigmatischen Nachweis solcher Mechanismen fehlt die rationale Rechtfertigung, wirklich von einer rein natürlichen Genese der Lebewesen auszugehen. Der Fossilbericht oder die Merkmale der Tiere könnten dann genauso gut auch nichtnatürliche Ursachen haben. Autoren wie BRAILLARD und MALATERRE verwischen damit den Unterschied zwischen einer wirklich naturwissenschaftlichen Erklärung und einem weltanschaulichen Deutungsrahmen.
Es ist daher in gewisser Weise nicht verwunderlich, dass der „natürlichen Selektion“ häufig eine praktisch beliebige Schöpferkraft zugesprochen wird, ohne dabei um eine naturwissenschaftliche Erklärung bemüht zu sein (z. B. POWELL 2012).13
Anders gelagert sind dagegen mikroevolutive Phänomene. Hier ist eine (empirisch gehaltvolle) Regelhaftigkeit deshalb gegeben, weil bestimmte evolvierbare Funktionen bereits in einer Spezies angelegt bzw. programmiert sind. Durch diese Anlage sind Veränderungen vorgegeben und dadurch prognostizierbar. Außerdem sind die Mechanismen z. T. konkret nachvollziehbar (wodurch die teleologische Sprache hier wirklich durch eine mechanistische ersetzt werden könnte). So kann z. B. erfolgreich vorhergesagt werden, wie sich Körperform, Form der Beine oder die Ausprägung der Zehenlappen bei den karibischen Anolis-Eidechsen bei Neubesiedlungen von Inseln ausprägen werden – in Abhängigkeit von den verfügbaren Lebensräumen (LOSOS 2018). Es ist Konsens, dass dabei vorhandene Variationsprogramme abgerufen werden, denn sie sind innerhalb von wenigen Generationen abrufbar. Ein Neuerwerb durch Zufallsmutation, Auslese und Fixierung in der Population würde dagegen (wenn wir voraussetzen, dass dies überhaupt möglich ist) für jeden Mutations- und Fixierungsschritt sehr viele Generationen erfordern.
Naturgemäß haben solche Veränderungspotenziale dann auch Grenzen. Sie unterscheiden sich von mutmaßlichen makroevolutiven Prozessen durch a) die Vorprogrammierung, b) die begrenzte Reichweite des Veränderungspotenzials, c) die empirisch gehaltvolle Regelhaftigkeit.
Bei mikroevolutiven Phänomenen ist eine Regelhaftigkeit deshalb gegeben, weil bestimmte evolvierbare Funktionen bereits in einer Spezies angelegt bzw. programmiert sind.
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