Heinrich Mann

Gesammelte Werke


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hin. „Sie sind doch nur ein Komödiant“, sagte er entrüstet.

      „Finden Sie?“ fragte Buck und glänzte noch heller. Guste rümpfte die Nase. „Na dann amüsiert euch weiter“, äußerte sie und wollte gehen. Aber der Landgerichtsrat Fritzsche war da, er verbeugte sich vor ihr und auch vor Buck. Ob der Herr Rechtsanwalt gestatte, daß er mit dem Fräulein Braut den Kotillon tanze. Er sprach äußerst höflich, beschwichtigend gewissermaßen. Buck antwortete nicht, er faltete die Brauen. Guste indessen hatte schon Fritzsches Arm genommen.

      Buck sah ihnen nach, eine Falte zwischen den Brauen, selbstvergessen. „Ja ja,“ dachte Diederich, „erfreulich ist es nicht, wenn man einem Herrn begegnet, der mit Ihrer Schwester, mein Bester, eine Vergnügungsreise gemacht hat, und dann holt er einem die Braut vom Tisch weg, und du kannst nichts machen, weil sonst der Skandal noch größer wird, weil nämlich unsere Verlobung selbst schon ein Skandal ist ...“

      Aufschreckend sagte Buck: „Wissen Sie, daß ich erst jetzt rechte Lust bekomme, Fräulein Daimchen zu ehelichen? [pg 339]Ich hielt die Sache für – nicht sehr sensationell; aber die Einwohner von Netzig machen geradezu eine Pikanterie daraus.“

      Diederich war starr über diese Wirkung. „Wenn Sie finden“, brachte er hervor.

      „Warum nicht? Sie und ich, wir beiden Gegenpole, führen doch hier die vorgeschrittenen Tendenzen der moralfreien Epoche ein. Wir machen Betrieb. Der Geist der Zeit geht hier noch in Filzschuhen über die Straße.“

      „Wir werden ihm Sporen anlegen“, verhieß Diederich.

      „Prost!“

      „Prost! Aber meine Sporen“ – Diederich blitzte. „Ihre Skepsis und Ihre schlappe Gesinnung sind nicht zeitgemäß. Mit“ – er blies durch die Nase – „mit Geist ist heute nichts zu machen. Die nationale Tat“ – ein Faustschlag auf den Tisch – „hat die Zukunft!“

      Buck darauf mit verzeihendem Lächeln: „Die Zukunft? Das ist eben die Verwechslung. Die nationale Tat hat abgehaust, im Lauf von hundert Jahren. Was wir erleben und noch erleben sollen, sind ihre Zuckungen und ihr Leichengeruch. Es wird keine gute Luft sein.“

      „Von Ihnen habe ich nichts anderes erwartet, als daß Sie das Heiligste in den Schmutz ziehen!“

      „Heilig! Unantastbar! Sagen wir gleich ewig! Nicht wahr? Außerhalb der Ideale eures Nationalismus wird nie, nie wieder gelebt werden. Früher, mag sein, in der dunkeln Periode der Geschichte, die euch noch nicht kannte. Jetzt aber seid ihr da, und die Welt ist angelangt. Dünkel und Haß der Nationen, das ist das Ziel, darüber hinaus geht es nicht.“

      „Wir leben in einer harten Zeit“, bestätigte Diederich ernst.

      „Weniger hart als verkalkt ... Ich bin nicht überzeugt, daß die Menschen, deren Dasein in den Dreißigjährigen Krieg fiel, an die Unabänderlichkeit ihres auch nicht weichen Zustandes geglaubt haben. Und ich bin überzeugt, daß die Rokokowillkür von denen, die ihr unterlagen, für überwindbar gehalten worden ist, sonst hätten sie nicht die Revolution gemacht. Wo ist, in den Räumen der Geschichte, die wir seelisch noch betreten können, die Zeit, die sich in Permanenz erklärt und aufgetrumpft hätte vor der Ewigkeit mit ihrer traurigen Beschränktheit. Die jeden nicht ganz in ihr Befangenen abergläubisch bemäkelt hätte. Nicht national gesinnt sein erregt bei euch noch mehr Grauen als Haß! Aber die vaterlandslosen Gesellen sind euch auf den Fersen. Dort im Saal, sehen Sie sie?“

      Diederich verschüttete seinen Sekt, so schnell fuhr er herum. War denn Napoleon Fischer eingedrungen, mit den Genossen?... Buck lachte stumm und innig. „Bemühen Sie sich nicht, ich meine nur das stille Volk auf den Wänden. Warum scheinen sie so heiter? Was gibt ihnen das Recht auf Blumenwege, leichten Schritt und Harmonie? Ah! Ihr Freunde!“ Über die Tanzenden hinweg schwenkte Buck sein Glas. „Ihr Freunde der Menschheit und jeder guten Zukunft, weitherzig und unbekannt mit der düsteren Selbstsucht eines nationalen Vetternbundes: Weltseelen ihr, kehrt wieder! Selbst unter uns noch erwarten euch einige!“

      Er trank aus, Diederich bemerkte mit Verachtung, daß er weinte. Übrigens bekam er sogleich eine schlaue Miene. „Ihr aber, Zeitgenossen, wißt wohl nicht, was der alte Bürgermeister, der da hinten zwischen den Amtspersonen und Schäferinnen rosig lächelt, als Schleife über der Brust trägt? Die Farben sind verblichen; ihr denkt wohl, es sind [pg 341]die euren? Es ist aber die französische Trikolore. Sie war neu damals und nicht die eines Landes, sondern der allgemeinen Morgenröte. Sie zu tragen, war beste Gesinnung; es war, wie ihr sagen würdet, streng korrekt. Prost!“

      Aber Diederich war verstohlen mit seinem Stuhl davongerückt und spähte umher, ob niemand höre. „Sie sind ja besoffen,“ murmelte er; und um die Situation zu retten, rief er: „Herr Rose! Noch eine Flasche!“ Darauf setzte er sich achtunggebietend zurecht.

      „Sie scheinen nicht daran zu denken, daß seitdem ein Bismarck da war!“

      „Nicht nur einer“, sagte Buck. „Von allen Seiten ist Europa in diesen nationalen Durchgang getrieben worden. Nehmen wir an, er war nicht zu vermeiden. Nach ihm werden bessere Gefilde kommen ... Aber seid ihr eurem Bismarck etwa gefolgt, solange er im Recht war? Ihr habt euch zerren lassen, ihr habt mit ihm im Konflikt gelebt. Erst jetzt, da ihr über ihn hinaus sein solltet, hängt ihr euch an seinen kraftlosen Schatten! Denn euer nationaler Stoffwechsel ist entmutigend langsam. Bis ihr begriffen habt, daß ein großer Mann da ist, hat er schon aufgehört, groß zu sein.“

      „Sie werden ihn kennenlernen!“ verhieß Diederich. „Blut und Eisen bleibt die wirksamste Kur! Macht geht vor Recht!“ Der Kopf schwoll ihm rot an bei diesen Glaubenssätzen. Aber auch Buck regte sich auf.

      „Die Macht! Die Macht läßt sich nicht ewig auf Bajonetten davontragen wie eine aufgespießte Wurst. Die einzige reale Macht ist heute der Friede! Spielt euch die Komödie der Gewalt vor! Prahlt gegen eingebildete Feinde draußen und im Innern! Taten, glücklicherweise, sind euch nicht erlaubt!“

      „Nicht erlaubt?“ Diederich blies, als sollte Feuer kom[pg 342]men. „Seine Majestät hat gesagt: Lieber lassen wir unsere gesamten achtzehn Armeekorps und zweiundvierzig Millionen Einwohner auf der Strecke ...“

      „Denn wo der deutsche Aar –!“ rief Buck, mit jähem Schwung; und noch wilder: „Nicht Parlamentsbeschlüsse! Die einzige Säule ist das Heer!“

      Diederich gab ihm nichts nach. „Ihr seid berufen, mich in erster Linie vor dem äußeren und inneren Feind zu schützen!“

      „Einer hochverräterischen Schar zu wehren!“ schrie Buck.

      „Eine Rotte von Menschen –“

      Diederich fiel ein: „– nicht wert, den Namen Deutsche zu tragen!“

      Und beide einstimmig: „Verwandte und Brüder niederschießen!“

      Tänzer, die sich am Büfett erfrischten, wurden aufmerksam auf ihr Geschrei, sie holten auch ihre Damen herbei, um ihnen den Anblick eines heldenhaften Rausches zu verschaffen. Sogar die Kartenspieler streckten die Köpfe herein; und alle bestaunten Diederich und seinen Partner, die auf ihren Stühlen schwankend und an den Tisch geklammert mit glasigen Augen und entblößten Gebissen einander starke Worte ins Gesicht schleuderten.

      „Einen Feind, und der ist mein Feind!“

      „Einer nur ist Herr im Reich, keinen anderen dulde ich!“

      „Ich kann sehr unangenehm sein!“

      Die Stimmen überschlugen sich.

      „Falsche Humanität!“

      „Vaterlandslose Feinde der göttlichen Weltordnung!“

      „Müssen ausgerottet werden bis auf den letzten Stumpf!“

      Eine Flasche flog gegen die Wand.

      „Zerschmettere ich!“

      „Deutschen Staub!... Pantoffeln!... Herrliche Tage!“

      Hier glitt durch die Zuschauer ein Wesen mit verbundenen Augen: Guste Daimchen, die sich auf diese Weise einen Herrn