vom Leibe platzen. Guste unternahm noch einen Vorstoß. „Ich sag’ es doch!“
Da sprengte Käthchen die letzte Fessel. „Dann mach’ aber schnell, sonst komm’ ich früher und erzähl’ allen, daß nicht du, sondern ich hier die Tür hab’ aufgemacht und hab’ euch beide ertappt.“
Da hierauf Guste nur noch mit den Lidern klappte, setzte Käthchen, plötzlich selbst ernüchtert, hinzu: „Nun ja, das bin ich mir doch schuldig. Bei dir kommt es nicht mehr darauf an.“
Aber Diederichs Blick war Gustes begegnet, verständigte sich mit ihr und glitt hinunter, bis er auf ihrem kleinen Finger den Brillanten traf, den sie gemeinsam aus den Lumpen gezogen hatten. Da lächelte Diederich ritterlich, und Guste, tief errötet, trat so nahe zu ihm, als lehnte sie sich an. Käthchen schlich zur Tür. Über Gustes Schul[pg 329]ter geneigt, sagte Diederich leise: „Ihr Verlobter läßt Sie aber lange allein.“ – „Ach der“, erwiderte sie. Er senkte das Gesicht noch ein wenig und drückte es auf ihre Schulter. Sie hielt ganz still. „Schade“, sagte er und zog sich so unerwartet zurück, daß Guste ausglitt. Sie begriff auf einmal, daß ihre Lage sich wesentlich verändert hatte. Ihr Geld war nicht mehr Trumpf, es war entwertet, ein Mann wie Diederich war mehr wert. Sofort bekam sie einen Blick wie eine Hündin. Diederich sagte gemessen: „An der Stelle Ihres Verlobten würde ich allerdings anders vorgehen.“
Käthchen zog mit äußerster Behutsamkeit die Tür wieder an, sie kehrte zurück, den Finger auf den Lippen.
„Wißt ihr was? Das Theater hat wieder angefangen – schon lange, glaube ich.“
„O Gott!“ sagte Guste; und Diederich:
„Na, dann sitzen wir in der Falle.“
Er suchte die Wände ab nach einem Ausgang; er rückte sogar das Sofa fort. Da keiner zu finden war, entrüstete er sich.
„Hier ist tatsächlich eine Falle. Und um der alten Baracke willen hat der Herr Buck den ganzen Straßenzug verlegt. Er soll es noch erleben, daß ich sie ihm einreiße! Bloß erst Stadtverordneter sein!“
Käthchen kicherte. „Was schnauben Sie denn so? Hier ist es doch ganz gemütlich. Jetzt können wir machen, was wir wollen.“ Und sie sprang über das Sofa. Da gab Guste sich einen Ruck und wollte auch hinüber. Sie blieb aber hängen. Diederich fing sie auf. Auch Käthchen hängte sich an ihn. Er zwinkerte beiden zu. „Also was machen wir?“ Käthchen sagte: „Das müssen Sie wissen. Wir drei kennen uns ja nun.“ – „Und zu verlieren haben wir auch nichts mehr“, sagte Guste. Dann platzten sie alle aus.
Aber Käthchen entsetzte sich. „Kinder! In dem Spiegel seh’ ich aus wie meine tote Großmutter.“
„Er ist ganz schwarz.“
„Und ganz bekritzelt.“
Sie legten die Gesichter darauf, um im fahlen Gaslicht die Ausrufe und Kosenamen zu lesen, die zusammen mit alten Jahreszahlen in den Umrissen verschlungener Herzen standen, auf eingeritzten Vasen, Amoretten und sogar über Gräbern. „Auf der Urne hier unten, nein so was!“ sagte Käthchen. „‚Erst jetzt sollen wir leiden‘ ... Warum? Weil sie hier drinnen waren? Die waren wohl verrückt.“
„Wir sind nicht verrückt“, behauptete Diederich. „Fräulein Guste, Sie haben doch einen Brillanten.“ Er zeichnete drei Herzen, versah sie mit einer Inschrift und ließ die Mädchen das Werk enträtseln. Da sie sich kreischend abwandten, sagte er stolz: „Wozu heißt dies das Liebeskabinett.“
Plötzlich stieß Guste einen Schreckensruf aus. „Hier sieht jemand zu!“
Hinter dem Spiegel hervor streckte sich ein geisterbleicher Kopf!... Käthchen war schon bei der Tür. „Kommen Sie wieder her“, rief Diederich. „Es ist bloß gemalt.“
Der Spiegel hatte sich auf einer Seite von der Wand gelöst, man konnte ihn noch weiter umwenden: da trat die ganze Figur heraus.
„Es ist die Schäferin, die draußen über den Bach springt!“
„Jetzt hat sie es hinter sich“, sagte Diederich; denn die Schäferin saß da und weinte. Auf der Rückseite des Spiegels aber entfernte sich der Schäfer.
„Und dort kommt man hinaus!“ Diederich wies auf einen erleuchteten Spalt, er tastete, die Tapete öffnete sich.
„Dies ist der Ausgang, wenn man es hinter sich hat“, [pg 331]bemerkte er und ging voraus. Ihm im Rücken sagte Käthchen spöttisch:
„Ich habe gar nichts hinter mir.“
Und Guste wehmütig: „Ich auch nicht.“
Diederich überhörte dies, er stellte fest, daß man sich in einem der kleinen Salons hinter dem Büfett befand. Eilends erreichte er die Spiegelgalerie und verlor sich unauffällig in der Menge, die soeben aus dem Saal quoll. Man war erfüllt von dem tragischen Schicksal der heimlichen Gräfin, die nun also doch den Klavierlehrer geheiratet hatte. Frau Harnisch, Frau Cohn, die Schwiegermutter des Bürgermeisters, alle hatten verweinte Augen; Jadassohn, der, schon abgeschminkt, Lorbeeren einzusammeln kam, ward von den Damen nicht gut aufgenommen. „Sie sind schuld, Herr Assessor, daß es so gekommen ist! Schließlich war sie doch Ihre leibliche Schwester.“ – „Pardon, meine Damen!“ Und Jadassohn verteidigte seinen Standpunkt als legitimer Erbe der gräflichen Besitzungen. Da sagte Meta Harnisch:
„Aber so herausfordernd brauchten Sie nicht auszusehen.“
Sofort richteten sich alle Blicke auf seine Ohren; man kicherte; und Jadassohn, der vergeblich krähte, was denn los sei, ward von Diederich unter den Arm genommen. Diederich, das süße Pochen der Rache im Herzen, führte ihn eben dorthin, wo die Regierungspräsidentin unter lebhafter Anerkennung seiner Verdienste um ihr Werk sich vom Major Kunze verabschiedete. Kaum aber daß sie Jadassohn erblickte, drehte sie einfach den Rücken. Jadassohn blieb am Boden haften, Diederich brachte ihn nicht mehr weiter. „Was ist denn?“ fragte er heuchlerisch. „Ach ja, die [pg 332]Präsidentin. Sie haben ihr nicht gefallen. Sie sollen auch nicht Staatsanwalt werden. Man sah Ihre Ohren zu sehr.“
Was aber Diederich auch erwartet hatte, diese Spottgeburt einer Grimasse hatte er nicht erwartet! Wo war die hochgemute Schneidigkeit, der Jadassohn sein Leben geweiht hatte? „Ich sage es ja“, äußerte er nur, ganz leise; aber man glaubte einen grauenvollen Aufschrei zu hören ... Dann kam er in Bewegung, tanzte am Fleck umher und redete. „Sie können lachen, mein Bester! Sie wissen nicht, was Sie an Ihrem Gesicht haben. Ihr Gesicht, nichts weiter, und in zehn Jahren bin ich Minister.“
„Na, na“, sagte Diederich. Er setzte hinzu: „Das ganze Gesicht brauchen Sie nicht einmal: bloß die Ohren.“
„Wollen Sie sie mir verkaufen?“ fragte Jadassohn und sah ihn an, daß Diederich erschrak. „Kann man das?“ fragte er unsicher. Jadassohn ging schon, unter zynischem Lachen, auf Heuteufel zu. „Sie sind doch Spezialist für Ohren, Herr Doktor ...“
Heuteufel erklärte ihm, daß tatsächlich, wenn auch bisher nur in Paris, Operationen ausgeführt würden, durch die man Ohren auf die Hälfte ihres Umfanges herunterbringe. „Wozu gleich das Ganze weg?“ sagte Heuteufel. „Die Hälfte können Sie ruhig behalten.“ Jadassohn hatte seine Haltung zurück. „Großartiger Witz! Erzähl’ ich bei Gericht. Sie Gauner!“ Und er klopfte Heuteufel auf den Bauch.
Diederich inzwischen wandte sich seinen Schwestern zu, die, zum Ball umgekleidet, aus der Garderobe kamen. Sie wurden allerseits mit Beifall begrüßt und berichteten von ihren Eindrücken auf der Bühne. „Tee – Kaffee: Gott, war das aufregend!“ sagte Magda. Auch Diederich als Bruder nahm Glückwünsche entgegen. Er schritt zwischen ihnen, Magda hatte sich in ihn eingehängt, [pg 333]Emmis Arm dagegen mußte er gewaltsam festhalten. Sie zischte: „Laß die Komödie“; und er schnob ihr zu, zwischen Lachen und Grüßen: „Du hast zwar bloß die kleine Rolle gehabt, aber sei froh, wenn du überhaupt mal was vorstellst. Sieh Magda an!“ Denn Magda schmiegte sich gefällig an ihn, sie schien bereit, das Glück der einigen Familie so lange spazieren zu führen, als er es irgend wünschte. „Kleine,“ sagte er mit zärtlicher Achtung, „du hast Erfolg gehabt. Aber