Dinkls hätten ihr Milch gestohlen. Neuer Krach, neue Tränen, und durch die Aufregung kamen bei Malli die Wehen. Die Polster half ihr sofort wie eine wahre Schwester, zog sie aus, bettete sie, versprach ihrem Bruder Dinkl sein Essen und nahm die drei Kinder mit sich. Sie selbst hatte keine, darum konnten Polsters sich zwei schöne Zimmer halten. In dem einen standen Plüschmöbel, Blattpflanzen und ein Fonograf, es kam wohl auch von den Freundschaften der Frau. Aber wenn man das hätte genau nehmen wollen! Dinkl hatte noch die besondere Freude, dass das Familienereignis auf den Sonntag fiel und Malli voraussichtlich nicht mehr als zwei Arbeitstage verlor. Nachmittags, gerade als Balrich wieder nachfragte, kam hoher Besuch, Frau Generaldirektor Heßling und ihre Schwägerin Buck. In der Tür blieben sie stehen, sie machten Gesichter, als ob es ihnen an die Gurgel ginge. Wahrscheinlich wirkte die Luft hier so, wenn du sie nicht gewöhnt warst. Sie aber schienen sich deswegen zu genieren und fingen an, auf Malli einzureden wie auf einen kranken Kanarienvogel. Mit der Hebamme flüsterten sie und zogen die Brauen hoch. Balrich sah sich so lange und genau die Buck an, bis die Heßling es merkte und halblaut: »Emmi!« rief, wobei sie sie streng am Arm packte. Dabei ließ die Buck ihre Tasche fallen und Balrich, mit einem Sprung, hob sie auf. Als er sie ihr hinhielt, zog sie zuerst die Hand zurück, dann erst unter dem Blick ihrer Schwägerin griff sie zu. Inzwischen beroch er sie, denn sie roch nach Veilchen. Sie war noch hübsch, die Figur war, wie unsere Mädchen sie nur bis zwanzig haben. Auch Leni hatte so goldblondes Haar, aber das der Buck war nicht verstaubt. Endlich, während sie die Tasche nahm, sah sie ihn sogar an und lächelte, etwas schüchtern und sozusagen besänftigend. Vor seinen zusammengewachsenen Brauen machte ihr Lächeln aber sogleich kehrt. Darauf trat Balrich hinter den Bretterverschlag Lenis.
Dinkl kam zu ihm, stieß ihn in die Seite und wisperte, warum er sich verkrieche. Die eine sei scharf auf ihn, da habe er einen schönen Posten in Aussicht. Dinkl machte Witze, weil es ihn nichts anging. Balrich, den es anging, hatte ein Gefühl in der Brust, wie er es einmal gehabt hatte, als er entlassen worden war. Die Buck hatte ihn behandelt wie ein Tier, – man fürchtet es und nimmt es doch nicht ernst; nicht aber wie einen Mann.
Nun gingen sie, Dinkl, scharwenzelnd, brachte sie hinaus, da geschah ein Unglück. Aus seinem tiefen Bückling war Dinkl noch nicht wieder aufgekommen, als sie es schon hatten und auf der Treppe lagen, die Heßling verlor den Hut samt der Hälfte ihrer weißen Haare. Über dem Geländer hoch droben wälzten die Dinklschen Kinder sich vor Lachen, – worauf der Vater zu begreifen anfing. Mit geschwungener Faust verjagte er die Kinder und half dann den Damen. Zum Glück nahte von unten der Herbesdörfer, so brachte man sie bald wieder auf die Füße. »Mein Gott, was war denn das!« riefen sie, auf einmal mit ungezwungenen Stimmen. »Ist hier auf den Stufen nicht Seife?« Dinkl wollte es leugnen oder unbegreiflich finden, Herbesdörfer erhob seine eingerostete Stimme nur zu einem »Achtung!« und breitete die starken Arme aus, für alle Fälle. Sie aber baten die beiden Arbeiter, nachzusehen, wie es rückwärts um sie stehe, und als Dinkl durchaus keine Seife an ihnen fand, fanden sie selbst sie.
»Was jetzt! Wir müssen doch zum Tee in die Stadt. Noch einmal nach Hause und uns umkleiden?«
Dinkl riet hierzu, sie wieder meinten: »Das kostet eine halbe Stunde, und was sagt die Generalin!«
Angelegentlich wandten sie sich an Herbesdörfer, um auch seine Ansicht zu erfahren, freilich ohne Erfolg, er machte ein barsches Gesicht. Die Polster kam herzu, schlug die Hände zusammen und erbot sich, von den Kleidern alles abzuwaschen, – worauf eine technische Verhandlung folgte. Sie blieb ohne Ergebnis; so drang Dinkl durch, mit seinem Hinweis auf die besondere Leistungsfähigkeit des Heßlingschen Autos.
»Das muss wahr sein,« sagte Frau Generaldirektor Heßling, »es ist ein Charron.«
Dinkl gab zu bedenken, ob nicht die deutsche Industrie den Vorzug verdiene, selbst wenn sie nicht ganz so leistungsfähig sein sollte. Ernste Meinungsverschiedenheiten erwuchsen hieraus nicht, unter dem Entgegenkommen beider Teile setzte die Unterhaltung sich fort bis vor das Haus. Erst beim Anblick ihres Chauffeurs ging durch die Damen ein sichtbarer Ruck, und als sie gar im Auto saßen, erwiderten sie den Gruß der Arbeiter nur noch aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf zu rühren.
Dinkl fand sich damit ab, er stand, als das Auto fort war, und lachte, dass sein Gerüst wackelte. Die Kinder, die nachgeschlichen waren, bekamen vom Vater ihre Ohrfeigen, aber er lachte dabei, und alle mit, die Polster samt den Nachbarinnen.
Als die Bande wieder hinaufstürmte, würde sie den Karl Balrich überrannt haben. Er stand auf dem Treppenabsatz und schien vertieft in den Seifenfleck. Er machte ihnen Platz, lachte aber nicht wie sie, sondern faltete die Brauen … Sein Schwager klopfte ihn auf die Schulter und nahm ihn mit in die Kantine; der Malli seien sie doch bloß lästig in ihrem Betrieb.
Die Kantine war voll, von allen Tischen wurden Fragen geschrien wegen des hohen Besuches und der Seife. Der Vorfall mit der Seife beschäftigte alle. Seife war das Stichwort für Witze, die sich alle ähnlich sahen, und jeder erregte das gleiche Gebrüll.
Zu Balrich, Dinkl und Herbesdörfer setzte sich stumm der alte Malermeister, der seit kurzem im Keller bei Klinkorum wohnte. Er war umhergezogen und hatte sich eben durchgeschlagen, ein unruhiger Taugenichts, bis er es gut fand, seine altgewordenen Knochen an den Ort zu tragen, wo er Heimatsrecht und Verwandte hatte. Er und Balrich sagten nichts, – bis Herbesdörfer sie etwas fragte. Er hatte eine Aussprache wie ein Wilder und äußerte sich so angestrengt, als verlernte er das Sprechen von Tag zu Tag. Er fragte: was den reichen Weibern denn einfalle, dass sie ungebeten eine Arbeiterin in den Wehen zu begaffen kämen, wie eine Kuh. Dinkl stieß ihn heimlich an, und unter dem Tisch zeigte er ihm das Zwanzigmarkstück, das die Besucherinnen dagelassen hatten. Laut sagte er: »Sie haben Langeweile gehabt. Das Teewasser bei der Generalin hat noch nicht gekocht.«
Balrich inzwischen atmete schneller. Er war im Begriff, sich aufzurichten und zu bekennen, dass auch die Reichen ein Herz haben könnten! Denn vor sich hatte er das schüchterne Lächeln der Emmi Buck, und mitten in dem Qualm hier berührte ihn ihr Veilchengeruch. Da sah der alte Maler ihn an mit seinem Grinsen im Bocksbart und nahm ihm das Wort weg.
»Ich weiß Bescheid, – seit ich ein reiches Luder habe laufen gesehen, weil eine Arbeiterin mit dem Arm in der Maschine hing. Sie hatte vorgesorgt, dass ihr so etwas gleich gemeldet werde.«
»Das hast du selbst gesehen, Onkel Gellert?« fragte Balrich drohend. Denn er dachte an die kleinen Mädchen, die der Alte an sich lockte.
»Ich selbst, – und die Arbeiterin war später meine Frau, deine Großtante.«
»Ja,