Heinrich Mann

Die Armen


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Dinkls hät­ten ihr Milch ge­stoh­len. Neu­er Krach, neue Trä­nen, und durch die Auf­re­gung ka­men bei Mal­li die We­hen. Die Pols­ter half ihr so­fort wie eine wah­re Schwes­ter, zog sie aus, bet­te­te sie, ver­sprach ih­rem Bru­der Dinkl sein Es­sen und nahm die drei Kin­der mit sich. Sie selbst hat­te kei­ne, dar­um konn­ten Pols­ters sich zwei schö­ne Zim­mer hal­ten. In dem einen stan­den Plüschmö­bel, Blatt­pflan­zen und ein Fo­no­graf, es kam wohl auch von den Freund­schaf­ten der Frau. Aber wenn man das hät­te ge­nau neh­men wol­len! Dinkl hat­te noch die be­son­de­re Freu­de, dass das Fa­mi­li­e­ner­eig­nis auf den Sonn­tag fiel und Mal­li vor­aus­sicht­lich nicht mehr als zwei Ar­beits­ta­ge ver­lor. Nach­mit­tags, ge­ra­de als Bal­rich wie­der nach­frag­te, kam ho­her Be­such, Frau Ge­ne­ral­di­rek­tor Heß­ling und ihre Schwä­ge­rin Buck. In der Tür blie­ben sie ste­hen, sie mach­ten Ge­sich­ter, als ob es ih­nen an die Gur­gel gin­ge. Wahr­schein­lich wirk­te die Luft hier so, wenn du sie nicht ge­wöhnt warst. Sie aber schie­nen sich des­we­gen zu ge­nie­ren und fin­gen an, auf Mal­li ein­zu­re­den wie auf einen kran­ken Ka­na­ri­en­vo­gel. Mit der Heb­am­me flüs­ter­ten sie und zo­gen die Brau­en hoch. Bal­rich sah sich so lan­ge und ge­nau die Buck an, bis die Heß­ling es merk­te und halb­laut: »Emmi!« rief, wo­bei sie sie streng am Arm pack­te. Da­bei ließ die Buck ihre Ta­sche fal­len und Bal­rich, mit ei­nem Sprung, hob sie auf. Als er sie ihr hin­hielt, zog sie zu­erst die Hand zu­rück, dann erst un­ter dem Blick ih­rer Schwä­ge­rin griff sie zu. In­zwi­schen beroch er sie, denn sie roch nach Veil­chen. Sie war noch hübsch, die Fi­gur war, wie un­se­re Mäd­chen sie nur bis zwan­zig ha­ben. Auch Leni hat­te so gold­blon­des Haar, aber das der Buck war nicht ver­staubt. End­lich, wäh­rend sie die Ta­sche nahm, sah sie ihn so­gar an und lä­chel­te, et­was schüch­tern und so­zu­sa­gen be­sänf­ti­gend. Vor sei­nen zu­sam­men­ge­wach­se­nen Brau­en mach­te ihr Lä­cheln aber so­gleich kehrt. Da­rauf trat Bal­rich hin­ter den Bret­ter­ver­schlag Le­nis.

      Dinkl kam zu ihm, stieß ihn in die Sei­te und wis­per­te, warum er sich ver­krie­che. Die eine sei scharf auf ihn, da habe er einen schö­nen Pos­ten in Aus­sicht. Dinkl mach­te Wit­ze, weil es ihn nichts an­ging. Bal­rich, den es an­ging, hat­te ein Ge­fühl in der Brust, wie er es ein­mal ge­habt hat­te, als er ent­las­sen wor­den war. Die Buck hat­te ihn be­han­delt wie ein Tier, – man fürch­tet es und nimmt es doch nicht ernst; nicht aber wie einen Mann.

      Nun gin­gen sie, Dinkl, schar­wen­zelnd, brach­te sie hin­aus, da ge­sch­ah ein Un­glück. Aus sei­nem tie­fen Bück­ling war Dinkl noch nicht wie­der auf­ge­kom­men, als sie es schon hat­ten und auf der Trep­pe la­gen, die Heß­ling ver­lor den Hut samt der Hälf­te ih­rer wei­ßen Haa­re. Über dem Ge­län­der hoch dro­ben wälz­ten die Dinklschen Kin­der sich vor La­chen, – wor­auf der Va­ter zu be­grei­fen an­fing. Mit ge­schwun­ge­ner Faust ver­jag­te er die Kin­der und half dann den Da­men. Zum Glück nah­te von un­ten der Her­bes­dör­fer, so brach­te man sie bald wie­der auf die Füße. »Mein Gott, was war denn das!« rie­fen sie, auf ein­mal mit un­ge­zwun­ge­nen Stim­men. »Ist hier auf den Stu­fen nicht Sei­fe?« Dinkl woll­te es leug­nen oder un­be­greif­lich fin­den, Her­bes­dör­fer er­hob sei­ne ein­ge­ros­te­te Stim­me nur zu ei­nem »Ach­tung!« und brei­te­te die star­ken Arme aus, für alle Fäl­le. Sie aber ba­ten die bei­den Ar­bei­ter, nach­zu­se­hen, wie es rück­wärts um sie ste­he, und als Dinkl durch­aus kei­ne Sei­fe an ih­nen fand, fan­den sie selbst sie.

      »Was jetzt! Wir müs­sen doch zum Tee in die Stadt. Noch ein­mal nach Hau­se und uns um­klei­den?«

      Dinkl riet hier­zu, sie wie­der mein­ten: »Das kos­tet eine hal­be Stun­de, und was sagt die Ge­ne­ra­lin!«

      An­ge­le­gent­lich wand­ten sie sich an Her­bes­dör­fer, um auch sei­ne An­sicht zu er­fah­ren, frei­lich ohne Er­folg, er mach­te ein bar­sches Ge­sicht. Die Pols­ter kam her­zu, schlug die Hän­de zu­sam­men und er­bot sich, von den Klei­dern al­les ab­zu­wa­schen, – wor­auf eine tech­ni­sche Ver­hand­lung folg­te. Sie blieb ohne Er­geb­nis; so drang Dinkl durch, mit sei­nem Hin­weis auf die be­son­de­re Leis­tungs­fä­hig­keit des Heß­ling­s­chen Au­tos.

      »Das muss wahr sein,« sag­te Frau Ge­ne­ral­di­rek­tor Heß­ling, »es ist ein Char­ron.«

      Dinkl gab zu be­den­ken, ob nicht die deut­sche In­dus­trie den Vor­zug ver­die­ne, selbst wenn sie nicht ganz so leis­tungs­fä­hig sein soll­te. Erns­te Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten er­wuch­sen hieraus nicht, un­ter dem Ent­ge­gen­kom­men bei­der Tei­le setz­te die Un­ter­hal­tung sich fort bis vor das Haus. Erst beim An­blick ih­res Chauf­feurs ging durch die Da­men ein sicht­ba­rer Ruck, und als sie gar im Auto sa­ßen, er­wi­der­ten sie den Gruß der Ar­bei­ter nur noch aus den Au­gen­win­keln, ohne den Kopf zu rüh­ren.

      Dinkl fand sich da­mit ab, er stand, als das Auto fort war, und lach­te, dass sein Gerüst wa­ckel­te. Die Kin­der, die nach­ge­schli­chen wa­ren, be­ka­men vom Va­ter ihre Ohr­fei­gen, aber er lach­te da­bei, und alle mit, die Pols­ter samt den Nach­ba­rin­nen.

      Als die Ban­de wie­der hin­auf­stürm­te, wür­de sie den Karl Bal­rich über­rannt ha­ben. Er stand auf dem Trep­pen­ab­satz und schi­en ver­tieft in den Sei­fen­fleck. Er mach­te ih­nen Platz, lach­te aber nicht wie sie, son­dern fal­te­te die Brau­en … Sein Schwa­ger klopf­te ihn auf die Schul­ter und nahm ihn mit in die Kan­ti­ne; der Mal­li sei­en sie doch bloß läs­tig in ih­rem Be­trieb.

      Die Kan­ti­ne war voll, von al­len Ti­schen wur­den Fra­gen ge­schri­en we­gen des ho­hen Be­su­ches und der Sei­fe. Der Vor­fall mit der Sei­fe be­schäf­tig­te alle. Sei­fe war das Stich­wort für Wit­ze, die sich alle ähn­lich sa­hen, und je­der er­reg­te das glei­che Ge­brüll.

      Zu Bal­rich, Dinkl und Her­bes­dör­fer setz­te sich stumm der alte Ma­ler­meis­ter, der seit kur­z­em im Kel­ler bei Klin­ko­rum wohn­te. Er war um­her­ge­zo­gen und hat­te sich eben durch­ge­schla­gen, ein un­ru­hi­ger Tau­ge­nichts, bis er es gut fand, sei­ne alt­ge­wor­de­nen Kno­chen an den Ort zu tra­gen, wo er Hei­mats­recht und Ver­wand­te hat­te. Er und Bal­rich sag­ten nichts, – bis Her­bes­dör­fer sie et­was frag­te. Er hat­te eine Auss­pra­che wie ein Wil­der und äu­ßer­te sich so an­ge­strengt, als ver­lern­te er das Spre­chen von Tag zu Tag. Er frag­te: was den rei­chen Wei­bern denn ein­fal­le, dass sie un­ge­be­ten eine Ar­bei­te­rin in den We­hen zu be­gaf­fen kämen, wie eine Kuh. Dinkl stieß ihn heim­lich an, und un­ter dem Tisch zeig­te er ihm das Zwan­zig­mark­stück, das die Be­su­che­rin­nen da­ge­las­sen hat­ten. Laut sag­te er: »Sie ha­ben Lan­ge­wei­le ge­habt. Das Tee­was­ser bei der Ge­ne­ra­lin hat noch nicht ge­kocht.«

      Bal­rich in­zwi­schen at­me­te schnel­ler. Er war im Be­griff, sich auf­zu­rich­ten und zu be­ken­nen, dass auch die Rei­chen ein Herz ha­ben könn­ten! Denn vor sich hat­te er das schüch­ter­ne Lä­cheln der Emmi Buck, und mit­ten in dem Qualm hier be­rühr­te ihn ihr Veil­chen­ge­ruch. Da sah der alte Ma­ler ihn an mit sei­nem Grin­sen im Bocks­bart und nahm ihm das Wort weg.

      »Ich weiß Be­scheid, – seit ich ein rei­ches Lu­der habe lau­fen ge­se­hen, weil eine Ar­bei­te­rin mit dem Arm in der Ma­schi­ne hing. Sie hat­te vor­ge­sorgt, dass ihr so et­was gleich ge­mel­det wer­de.«

      »Das hast du selbst ge­se­hen, On­kel Gel­lert?« frag­te Bal­rich dro­hend. Denn er dach­te an die klei­nen Mäd­chen, die der Alte an sich lock­te.

      »Ich selbst, – und die Ar­bei­te­rin war spä­ter mei­ne Frau, dei­ne Groß­tan­te.«

      »Ja,