Heinrich Mann

Die Armen


Скачать книгу

kön­nen, fand er es wohl ge­ra­ten, sich an­zunä­hern. Er fass­te so­gar treu­her­zig den Arm des an­de­ren und sag­te ein­dring­lich:

      »Dein Brot? Heß­ling­s­ches Brot, willst du sa­gen! Denn in sei­ner Fa­brik ver­dienst du nur ge­ra­de so viel, dass du in sei­ner Ka­ser­ne woh­nen und in sei­ner Kan­ti­ne es­sen kannst. Was dar­über ist, ist vom Übel,« schloss er hä­misch, und zeig­te zu­erst Bal­rich, dann den an­de­ren sei­ne gel­ben Zäh­ne und sei­ne gel­ben Au­gen. Sie wuss­ten wohl, sie wür­den kein Wort spre­chen, das der In­spek­tor nicht er­füh­re; denn er hat­te dem Jau­ner ge­scha­det, wer muss­te also be­flis­se­ner ge­gen ihn sein als Jau­ner. Den­noch hiel­ten sie nicht an sich. Kan­ti­ne und Ka­ser­ne, zu wahr, brach­ten dem Heß­ling mit Zins wie­der zu­rück, was er ih­nen zahl­te. Der Strom des Gel­des roll­te end­los un­wei­ger­lich in die eine Ta­sche, sie aber mit ih­ren Schwie­len stan­den lech­zend da­ne­ben, sie, ihre Frau­en, ihre Kin­der. Sie mach­ten ihre Kin­der für Heß­ling, wie sie für Heß­ling die Ware mach­ten, wie sie für Heß­ling aßen und tran­ken. »Prost Hass­ling!« rief Dinkl, und an al­len Ti­schen rie­fen sie mit; denn gut war es, den Hass in ein Wort zu fas­sen, den Hass ein­mal deut­lich aus den Zäh­nen zu las­sen und bit­ter im Glas zu schme­cken. Man ging mit ihm schla­fen und stand auf mit ihm, – nur Ge­stalt fehl­te ihm, Fäus­te hat­te er nicht. Wir ha­ben je­den Au­gen­blick, je­den von al­len, die wir er­le­ben, al­les im Be­wusst­sein: die un­ge­rech­te Ge­walt, un­ter der wir ste­hen, be­nach­tei­ligt auf Schritt und Tritt, beim Einat­men und beim Au­sat­men, miss­braucht, ver­ach­tet, hin­ter das Licht ge­führt. Ihr bil­det euch ein, wir ver­gä­ßen? Ja­wohl, ihr denkt, wir rie­chen un­se­re schlech­te Luft nicht mehr, in den über­füll­ten Stu­ben der Ka­ser­nen, die ihr uns baut. Ar­bei­ter­häu­ser A und B, das heißt nicht ar­bei­te und bete, wie der Kon­sis­to­ri­al­rat Zil­lich bei der Ein­wei­hung er­zählt hat­te; es heißt Af­fen­bu­de oder al­les be–. Wir rie­chen, und wir ver­ges­sen nicht. Sehr be­greif­lich, be­merk­te Bal­rich, dass den Da­men Heß­ling und Buck, wie sie ein­tra­ten, der Ge­stank an die Gur­gel ging, und ko­misch bloß, dass sie sich des­halb zu ge­nie­ren schie­nen. »Hät­ten wir sie in der Ge­walt, wie sie uns ha­ben, wir wür­den nicht so vie­le Um­stän­de ma­chen!« Dinkl und Jau­ner er­klär­ten auf das deut­lichs­te, was sie mit den rei­chen Wei­bern heu­te ge­macht ha­ben wür­den, trotz den wei­ßen Haa­ren der einen. Ei­nen Laut aber, der Schlim­me­res ver­hieß, stieß Her­bes­dör­fer aus. In sei­nem ge­röte­ten Kopf war die Kar­tof­fel­na­se weiß wie der nack­te plum­pe Hals, und die Au­gen hin­ter den run­den Bril­lenglä­sern starr­ten blind, als hät­te er Ge­sich­te.

      Dinkl in­zwi­schen war in die Mit­te ge­tre­ten, schob die Dau­men in die Ach­sellö­cher sei­nes gelb­ka­rier­ten Röck­chens und mach­te vor, wie er spa­zie­ren­ge­he. Ein fei­ner Fatz­ke be­geg­ne­te ihm. Den fei­nen Fatz­ke muss­te Jau­ner ma­chen; er nahm sein stei­fes Hüt­chen vom Re­chen und drück­te die Beu­len her­aus. Bei ihm an­ge­langt, schleu­der­te Dinkl ihm die Faust bis nahe un­ter das Kinn, wo­bei Jau­ner über­mä­ßig er­schrak. Dinkl aber tat, als habe er nur die Zi­ga­ret­te an den Mund füh­ren wol­len. Alle lärm­ten Bei­fall. So war es! Je­den Rei­chen konn­te man mit ei­nem Fin­ger er­schre­cken, dass er in Ohn­macht fiel, denn sie schlie­fen im­mer. Sie gin­gen in den Stra­ßen und merk­ten nicht, wie sie un­ter uns Ar­bei­tern ver­ein­samt wa­ren – bloß noch die Po­li­zei war da –, und wie ihre Pelz­män­tel sich ver­lo­ren zwi­schen den vie­len ge­flick­ten Som­mer­ja­cken. Sie mer­ken nichts, sie schla­fen. Nie, den­ken sie, kommt es an­ders. Denn sie sind es ge­wöhnt, sie hat­ten es leich­ter als wir, sich zu ge­wöh­nen.

      Hier war Her­bes­dör­fer fer­tig mit sei­nen Vor­be­rei­tun­gen, aus­zu­spre­chen, was er sah. Er zeig­te sei­ne rie­si­gen Hän­de her, ein Fin­ger war weiß ver­bun­den, – öff­ne­te und schloss sie, dass sie knack­ten, und sag­te müh­sam vor Kraft:

      »Das Gan­ze kommt an­ders!«

      Bal­rich, ge­gen­über, hör­te ihm ach­tungs­voll zu. Da­durch ent­ging es ihm fast, dass der alte Gel­lert ihn lei­se in die Sei­te stieß und ihm et­was an­ver­trau­te. Er schi­en es lan­ge in sich un­ter­drückt zu ha­ben, und nur die ge­stei­ger­te Stim­mung der Um­ge­bung be­wirk­te es, dass sein letz­ter al­ter Zahn sich auf­hob und et­was her­ausließ.

      »Längst schon könn­te es an­ders sein,« wis­per­te er. »Auch um­ge­kehrt wär’ ein Schuh ge­wor­den. Hab’ ich Heß­ling mit ge­grün­det, was fehlt dann viel, und ich wäre, was er ist.«

      Sein Groß­nef­fe sah ihn an; der Alte kniff die Lip­pen und mach­te sich klein, als habe er nichts ge­sagt. Bal­rich stutz­te kurz; schon zuck­te er die Ach­seln, Ge­schwätz ohne Kraft war nicht acht­bar.

      Auch ka­men eben jetzt die Ge­nos­sen auf die Par­tei zu spre­chen. Die Par­tei war mit nich­ten ein­wand­frei, sie ent­hielt Ele­men­te, die mehr an sich dach­ten, als an die ar­bei­ten­de Klas­se. Jau­ner, als der Miss­ver­gnüg­tes­te, kenn­zeich­ne­te den Ge­nos­sen Na­po­le­on Fi­scher, un­se­ren Ab­ge­ord­ne­ten, der Ge­schäf­te ge­macht hat­te, aber bes­se­re für sich als für uns. Er stand gut mit Heß­ling und wuss­te auch der Re­gie­rung nichts mehr ab­zu­schla­gen. Was be­kam er für die Un­men­ge Mi­li­tär, die er be­wil­lig­te? Wie­der eine Ver­si­che­rung, wie­der eine Für­sor­ge. Und hat­te doch ge­ar­bei­tet, so­gar bei Heß­ling. Was hof­fen von den an­de­ren, mit den wei­chen Hän­den.

      Dies war wohl rich­tig; den­noch wag­te sich der Bei­fall viel we­ni­ger ent­schie­den her­aus, als vor­hin, ge­gen Ar­beit­ge­ber und be­sit­zen­de Klas­se. Hier­mit war nicht zu spa­ßen, und was Jau­ner dem Par­tei­be­am­ten wie­der er­zähl­te, konn­te dir schlech­ter be­kom­men als sein Be­richt an den Heß­ling­s­chen Herrn Obe­rin­spek­tor. So viel ließ sich wohl sa­gen, dass die Ver­si­che­run­gen und Für­sor­gen ihre zwei gu­ten Sei­ten hat­ten, eine für uns und eine für die Rei­chen, de­nen sie zu ei­nem bes­se­ren Schlaf ver­hal­fen. Dinkl, als der Un­vor­sich­tigs­te, ging wei­ter und be­haup­te­te, das zwei­te sei die Haupt­sa­che, und der alte Ar­bei­ter, der von dem Pen­si­ons­plun­der le­ben kön­ne, sei noch nicht ge­bo­ren.

      »Mein ei­ge­ner Va­ter, wie oft ich ihm ins Ge­wis­sen rede, vor Mit­tag, wenn wir Män­ner noch nicht aus der Fa­brik zu­rück sind, geht er mit sei­ner Ess­schüs­sel bei den Nach­ba­rin­nen um­her.«

      Hier­zu war der Alte ge­nö­tigt, weil sei­ne Kin­der ihm das Geld sei­ner Al­ters­ver­sor­gung ab­nah­men und ihm nicht satt da­für zu es­sen ga­ben. Dies wuss­te man; aber wel­cher Vor­wurf traf einen Ka­me­ra­den, der Frau und vier Kin­der hin­durch­brach­te. Bes­ser, es hun­ger­te ein Al­ter.

      Her­bes­dör­fer, längst nicht mehr wild, hat­te ein von der Furcht zu­sam­men­ge­zo­ge­nes Ge­sicht und jam­mer­te in rau­en Lau­ten vor sich hin. Er be­klag­te sich über den Kas­sen­arzt, der ihn schon wie­der zur Ar­beit schick­te, ob­wohl er im Knie seit sei­nem Un­fall noch im­mer eine Schwä­che hat­te. Er hat­te die Schwä­che nicht, wenn er drau­ßen um­her­ging; aber kaum in der Fa­brik, hat­te er sie; und die Furcht, hin­ein­zu­fal­len zwi­schen die Mühl­rä­der und zer­mah­len zu wer­den mit dem Holz­stoff, mach­te ihm Schwin­del.

      »Das ken­ne ich,« sag­ten sie an den an­de­ren Ti­schen. Denn sie kann­ten es.

      »Man hat doch nur sei­ne Glied­ma­ßen. Frau und Kin­der ha­ben nur mei­ne Glied­ma­ßen. So ein Dok­tor tut im­mer, als wach­sen sie nach.«

      »Der