können, fand er es wohl geraten, sich anzunähern. Er fasste sogar treuherzig den Arm des anderen und sagte eindringlich:
»Dein Brot? Heßlingsches Brot, willst du sagen! Denn in seiner Fabrik verdienst du nur gerade so viel, dass du in seiner Kaserne wohnen und in seiner Kantine essen kannst. Was darüber ist, ist vom Übel,« schloss er hämisch, und zeigte zuerst Balrich, dann den anderen seine gelben Zähne und seine gelben Augen. Sie wussten wohl, sie würden kein Wort sprechen, das der Inspektor nicht erführe; denn er hatte dem Jauner geschadet, wer musste also beflissener gegen ihn sein als Jauner. Dennoch hielten sie nicht an sich. Kantine und Kaserne, zu wahr, brachten dem Heßling mit Zins wieder zurück, was er ihnen zahlte. Der Strom des Geldes rollte endlos unweigerlich in die eine Tasche, sie aber mit ihren Schwielen standen lechzend daneben, sie, ihre Frauen, ihre Kinder. Sie machten ihre Kinder für Heßling, wie sie für Heßling die Ware machten, wie sie für Heßling aßen und tranken. »Prost Hassling!« rief Dinkl, und an allen Tischen riefen sie mit; denn gut war es, den Hass in ein Wort zu fassen, den Hass einmal deutlich aus den Zähnen zu lassen und bitter im Glas zu schmecken. Man ging mit ihm schlafen und stand auf mit ihm, – nur Gestalt fehlte ihm, Fäuste hatte er nicht. Wir haben jeden Augenblick, jeden von allen, die wir erleben, alles im Bewusstsein: die ungerechte Gewalt, unter der wir stehen, benachteiligt auf Schritt und Tritt, beim Einatmen und beim Ausatmen, missbraucht, verachtet, hinter das Licht geführt. Ihr bildet euch ein, wir vergäßen? Jawohl, ihr denkt, wir riechen unsere schlechte Luft nicht mehr, in den überfüllten Stuben der Kasernen, die ihr uns baut. Arbeiterhäuser A und B, das heißt nicht arbeite und bete, wie der Konsistorialrat Zillich bei der Einweihung erzählt hatte; es heißt Affenbude oder alles be–. Wir riechen, und wir vergessen nicht. Sehr begreiflich, bemerkte Balrich, dass den Damen Heßling und Buck, wie sie eintraten, der Gestank an die Gurgel ging, und komisch bloß, dass sie sich deshalb zu genieren schienen. »Hätten wir sie in der Gewalt, wie sie uns haben, wir würden nicht so viele Umstände machen!« Dinkl und Jauner erklärten auf das deutlichste, was sie mit den reichen Weibern heute gemacht haben würden, trotz den weißen Haaren der einen. Einen Laut aber, der Schlimmeres verhieß, stieß Herbesdörfer aus. In seinem geröteten Kopf war die Kartoffelnase weiß wie der nackte plumpe Hals, und die Augen hinter den runden Brillengläsern starrten blind, als hätte er Gesichte.
Dinkl inzwischen war in die Mitte getreten, schob die Daumen in die Achsellöcher seines gelbkarierten Röckchens und machte vor, wie er spazierengehe. Ein feiner Fatzke begegnete ihm. Den feinen Fatzke musste Jauner machen; er nahm sein steifes Hütchen vom Rechen und drückte die Beulen heraus. Bei ihm angelangt, schleuderte Dinkl ihm die Faust bis nahe unter das Kinn, wobei Jauner übermäßig erschrak. Dinkl aber tat, als habe er nur die Zigarette an den Mund führen wollen. Alle lärmten Beifall. So war es! Jeden Reichen konnte man mit einem Finger erschrecken, dass er in Ohnmacht fiel, denn sie schliefen immer. Sie gingen in den Straßen und merkten nicht, wie sie unter uns Arbeitern vereinsamt waren – bloß noch die Polizei war da –, und wie ihre Pelzmäntel sich verloren zwischen den vielen geflickten Sommerjacken. Sie merken nichts, sie schlafen. Nie, denken sie, kommt es anders. Denn sie sind es gewöhnt, sie hatten es leichter als wir, sich zu gewöhnen.
Hier war Herbesdörfer fertig mit seinen Vorbereitungen, auszusprechen, was er sah. Er zeigte seine riesigen Hände her, ein Finger war weiß verbunden, – öffnete und schloss sie, dass sie knackten, und sagte mühsam vor Kraft:
»Das Ganze kommt anders!«
Balrich, gegenüber, hörte ihm achtungsvoll zu. Dadurch entging es ihm fast, dass der alte Gellert ihn leise in die Seite stieß und ihm etwas anvertraute. Er schien es lange in sich unterdrückt zu haben, und nur die gesteigerte Stimmung der Umgebung bewirkte es, dass sein letzter alter Zahn sich aufhob und etwas herausließ.
»Längst schon könnte es anders sein,« wisperte er. »Auch umgekehrt wär’ ein Schuh geworden. Hab’ ich Heßling mit gegründet, was fehlt dann viel, und ich wäre, was er ist.«
Sein Großneffe sah ihn an; der Alte kniff die Lippen und machte sich klein, als habe er nichts gesagt. Balrich stutzte kurz; schon zuckte er die Achseln, Geschwätz ohne Kraft war nicht achtbar.
Auch kamen eben jetzt die Genossen auf die Partei zu sprechen. Die Partei war mit nichten einwandfrei, sie enthielt Elemente, die mehr an sich dachten, als an die arbeitende Klasse. Jauner, als der Missvergnügteste, kennzeichnete den Genossen Napoleon Fischer, unseren Abgeordneten, der Geschäfte gemacht hatte, aber bessere für sich als für uns. Er stand gut mit Heßling und wusste auch der Regierung nichts mehr abzuschlagen. Was bekam er für die Unmenge Militär, die er bewilligte? Wieder eine Versicherung, wieder eine Fürsorge. Und hatte doch gearbeitet, sogar bei Heßling. Was hoffen von den anderen, mit den weichen Händen.
Dies war wohl richtig; dennoch wagte sich der Beifall viel weniger entschieden heraus, als vorhin, gegen Arbeitgeber und besitzende Klasse. Hiermit war nicht zu spaßen, und was Jauner dem Parteibeamten wieder erzählte, konnte dir schlechter bekommen als sein Bericht an den Heßlingschen Herrn Oberinspektor. So viel ließ sich wohl sagen, dass die Versicherungen und Fürsorgen ihre zwei guten Seiten hatten, eine für uns und eine für die Reichen, denen sie zu einem besseren Schlaf verhalfen. Dinkl, als der Unvorsichtigste, ging weiter und behauptete, das zweite sei die Hauptsache, und der alte Arbeiter, der von dem Pensionsplunder leben könne, sei noch nicht geboren.
»Mein eigener Vater, wie oft ich ihm ins Gewissen rede, vor Mittag, wenn wir Männer noch nicht aus der Fabrik zurück sind, geht er mit seiner Essschüssel bei den Nachbarinnen umher.«
Hierzu war der Alte genötigt, weil seine Kinder ihm das Geld seiner Altersversorgung abnahmen und ihm nicht satt dafür zu essen gaben. Dies wusste man; aber welcher Vorwurf traf einen Kameraden, der Frau und vier Kinder hindurchbrachte. Besser, es hungerte ein Alter.
Herbesdörfer, längst nicht mehr wild, hatte ein von der Furcht zusammengezogenes Gesicht und jammerte in rauen Lauten vor sich hin. Er beklagte sich über den Kassenarzt, der ihn schon wieder zur Arbeit schickte, obwohl er im Knie seit seinem Unfall noch immer eine Schwäche hatte. Er hatte die Schwäche nicht, wenn er draußen umherging; aber kaum in der Fabrik, hatte er sie; und die Furcht, hineinzufallen zwischen die Mühlräder und zermahlen zu werden mit dem Holzstoff, machte ihm Schwindel.
»Das kenne ich,« sagten sie an den anderen Tischen. Denn sie kannten es.
»Man hat doch nur seine Gliedmaßen. Frau und Kinder haben nur meine Gliedmaßen. So ein Doktor tut immer, als wachsen sie nach.«
»Der