das damit sagen?«
»Leider ja.«
Linda führte aus, was der Sitz des Tumors bedeutete und welche Risiken mit einer Operation verbunden waren. »Entscheiden Sie sich aber gegen eine Operation, werden Ihre Beschwerden immer schlimmer werden, und Ihre Chancen auf Heilung sind gleich null.«
»Das heißt«, sagte Rainer Flossbach langsam, »es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera?«
»Ganz so ist es nicht, es kann ja auch alles gut gehen.«
»Aber die Chancen dafür stehen schlecht.«
»Die Möglichkeit, dass die Operation kein Erfolg wird, besteht, das muss ich in aller Deutlichkeit sagen. Ich will Ihnen nichts vormachen, so sieht es leider aus. Andererseits würde ich den Eingriff nicht empfehlen, wenn ich ihn von vornherein für aussichtslos halten würde. Ich glaube, dass ich es schaffen kann, den Tumor vollständig zu entfernen und zwar so, dass nichts in Ihrem Gehirn beschädigt wird. Nur eine Garantie dafür kann und werde ich nicht abgeben.«
Anke und Rainer Flossbach waren so blass geworden, dass Leon aufsprang und zwei Gläser mit Wasser füllte, die er ihnen reichte. »Trinken Sie das, damit Sie uns hier nicht umfallen«, bat er.
Sie dankten ihm, tranken das Wasser, ließen dabei aber ihren Sohn nicht aus den Augen. Auch Linda hatte ihn die ganze Zeit beobachtet. Noch hatte er kein einziges Wort von sich gegeben.
»Es ist dein Leben, Miro, also auch deine Entscheidung«, sagte sein Vater schließlich.
Miro Flossbach schüttelte sehr langsam den Kopf. »Das hat mit Entscheidung nichts zu tun. Ihr wisst, dass ich mich nicht operieren lassen werde. Ich kann das nicht, auf gar keinen Fall.«
Linda beugte sich vor. Hatte sie sich nicht deutlich genug ausgedrückt? Oder zu deutlich? Hatte sie die Gefahren überbetont, dafür aber die Vorteile einer Operation nicht klar genug hervorgehoben? »Was meinen Sie damit, Herr Flossbach? Wenn Sie sich nicht operieren lassen …«
Er unterbrach sie. »Es geht einfach nicht, mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich habe genau verstanden, was Sie gesagt haben, meine Entscheidung hat nichts mit Ihren Worten oder mit Ihnen zu tun, Frau Doktor. Ich lasse mich auf keinen Fall operieren.«
Nicht nur Linda, auch Leon wandte sich den Eltern zu, mit fragend hochgezogenen Augenbrauen, aber Anke und Rainer gaben mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln zu verstehen, dass sie nicht reden würden, wenn ihr Sohn das nicht wünschte.
Leon sah, dass Linda wie vor den Kopf geschlagen war, weil sie trotz der Worte des Patienten offenbar dachte, seine Ablehnung hätte etwas mit der Art und Weise zu tun, in der sie die möglichen Folgen des Eingriffs erklärt hatte.
Also machte er seinerseits einen Vorstoß. »Herr Flossbach«, begann er, sich an Miro wendend, doch der junge Mann hob abwehrend beide Hände.
»Bitte, ich möchte nicht mehr darüber diskutieren«, sagte er. »Und ich wäre jetzt gern allein. Ganz allein.« Sich an seine Eltern wendend, sagte er: »Bitte, geht nach Hause, ich kann jetzt nicht reden, und ihr könnt mir nicht helfen.«
Linda und Leon fühlten sich so überrumpelt wie offenbar die Eltern ihres Patienten, die sich mit Tränen in den Augen erhoben, aber nicht versuchten, ihren Sohn umzustimmen.
Sie verließen das Zimmer zu viert.
Bevor ihnen die beiden Ärzte weitere Fragen stellen konnten, sagte Rainer Flossbach hastig: »Bitte, wir können nicht mit Ihnen reden, hinter Miros Rücken.«
»Aber was wird denn jetzt mit ihm?«, fragte Anke Flossbach. Ihr liefen Tränen über die Wangen. »Kann er noch hierbleiben? Oder sollen wir auf ihn warten, damit wir ihn mit nach Hause nehmen können? Und was soll dann werden?«
Ihr Mann nahm sie in die Arme, sie fing laut an zu schluchzen.
»Ihr Sohn«, sagte Linda mit erzwungener Ruhe, »sollte auf jeden Fall noch hier in der Klinik bleiben. Halten Sie es für ausgeschossen, dass er seine Meinung doch noch ändert?«
»Ich weiß nicht, wie Sie ihn dazu bringen könnten«, antwortete Rainer Flossbach leise. »Wir werden es auch versuchen, aber nicht jetzt. Wenn er sagt, er will allein sein, ist es besser, ihn erst einmal in Ruhe zu lassen. Und für uns ist es eine Beruhigung, dass er hier in guten Händen ist. Sollte sich sein Zustand verschlechtern, wissen Sie ja am besten, was Sie tun müssen.« Er hielt seine Frau, die noch immer heftig weinte, fest umschlungen. »Wir fahren jetzt nach Hause, wir haben ja noch ein krankes Kind«, setzte er hinzu. »Aber ich zumindest werde später noch einmal kommen und versuchen, mit Miro zu reden.«
Als beide sich zum Gehen wandten, sahen Linda und Leon ihnen nach. Es kam nicht oft vor, dass der Klinikchef sprachlos war, doch jetzt fehlten ihm die Worte.
Linda brachte es nach längerem Schweigen auf den Punkt: »Schlimmer hätte es nicht kommen können.«
*
»Abtropfen lassen«, sagte Lili, als Simon ihr von dem Zusammenstoß mit Kaja erzählt hatte. »Irgendwann wird es ihr selbst zu blöd, und sie hört damit auf, die Zicke zu spielen. Niemand macht sich gern überall unbeliebt.«
»Möglich, aber ich will nicht ständig auf der Hut sein«, erklärte Simon. »Es ist nämlich so: Ich bin da richtig gerne. Das ist viel Arbeit in dem Haus, aber weil alles so schön ist, macht es Spaß, das in Ordnung zu halten. Und ich ärgere mich, wenn ich merke, dass Kaja das überhaupt nicht zu schätzen weiß. Außerdem stresst es mich, weil ich immer mit dem nächsten Angriff rechne. Ich will meine Ruhe haben, damit ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann.«
»Das verstehe ich«, erklärte Lili, »aber tu trotzdem, was ich dir sage, ich bin schließlich selbst sechzehn, und ich bin ein Mädchen, ich kenne mich da besser aus als du. Lass dich nicht aus der Ruhe bringen, sie wird irgendwann aufgeben. Ich weiß ja nicht, welches Problem sie hat – also, außer dass sie in der Pubertät ist, meine ich, da drehen ja viele durch.«
»Ich weiß, dass ich Glück mit dir habe«, warf Simon rasch ein.
Lili grinste. »Das kannst du laut sagen. Aber vielleicht steht dir so ein Theater mit mir ja auch noch bevor?« Als sie sein Gesicht sah, wurde sie schnell wieder ernst. »Deine Kaja wird noch ein paar Angriffe starten, das ist blöd für dich, aber du kannst dich ja innerlich darauf einstellen. Irgendwann wird es ihr langweilig, und sie hört von selbst auf. Verlass dich auf mich. Und noch etwas: Beklag dich nie, nie, nie bei einem Familienmitglied über sie. Mach das mit ihr allein aus.«
»Ich habe mich ja heute nicht aus der Ruhe bringen lassen, aber es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte zurückgeschossen. Das hat mich erschreckt«, gestand Simon.
Jetzt erst merkten sie, dass Lisa an der Tür stand, offenbar hörte sie dem Gespräch schon eine Weile zu. »Hast du auch einen guten Rat für mich?«, erkundigte sich Simon.
»Lilis Rat ist gut«, erklärte Lisa. »Aber frag Kaja doch mal ganz ruhig, was eigentlich mit ihr los ist. Vielleicht sagt sie es dir ja.«
»Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hat ein Junge sie blöd behandelt, und das hat sie nicht gut weggesteckt, obwohl sie offenbar selbst schon jede Menge Jungs unglücklich gemacht hat. Sie ist ziemlich hübsch, wahrscheinlich laufen ihr viele nach.«
»Das ist ja noch kein Grund, sich so aufzuführen, wie sie es tut«, meinte Lisa.
»Das sieht ihre Familie auch so.«
»Es hört sich nicht so an, als wäre sie ein Mädchen, mit dem ich gern befreundet wäre«, befand Lili. »Also, hör auf meinen Rat, großer Bruder.« Nach diesen Worten verschwand sie. Da auch Lisa sich wieder verzog, blieb Simon mit seinen Gedanken allein.
Da er keine bessere Idee hatte, würde er auf Lili hören: sich innerlich wappnen, stets auf den nächsten Angriff gefasst sein und unter allen Umständen Ruhe bewahren.
Mal sehen, was ihm das einbrachte.
*
Als Selina die Kayser-Klinik betrat und ihrer Tante eine Nachricht schrieb,