Augustinus von Hippo

Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1


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      Der Tod war die Strafe der Sünden; beim Herrn war er eine Gabe der Barmherzigkeit, keine Strafe der Sünde. Denn der Herr hatte nichts, weshalb er zu sterben verdiente. Er selbst sagt: „Siehe, es kommt der Fürst dieser Welt, und er findet an mir nichts“. Warum also stirbst du? Aber „damit alle wissen, daß ich den Willen meines Vaters tue, so stehet auf, lasset uns von hinnen gehen“79. Er hatte nichts, weshalb er sterben sollte, und er ist doch gestorben; du hast Grund zu sterben, und weigerst dich zu sterben? Weigere dich nicht im Hinblick auf deine Schuld das zu erdulden, was jener zu erdulden sich würdigte, um dich vom ewigen Tode zu befreien. Ein Mensch und ein Mensch; doch jener nur Mensch, dieser Gottmensch; jener ein Mensch der Sünde, dieser ein Mensch der Gerechtigkeit. Du bist in Adam gestorben, stehe auf in Christus; denn beides bist du schuldig. Schon glaubst du an Christus, doch mußt du noch bezahlen, was du schuldig bist von Adam her. Aber nicht für immer wird dich das Band der Sünde fesseln, denn deinen ewigen Tod hat der zeitliche Tod deines Herrn vernichtet. Das ist Gnade, meine Brüder, das ist auch Wahrheit, weil sie verheißen und gewährt ward.

       14.

      Diese (die Gnade) gab es nicht im Alten Bunde80, weil das Gesetz drohte, nicht half; befahl, nicht heilte; die Krankheit zeigte, nicht wegnahm; aber es bereitete vor auf den Arzt, der mit Gnade und Wahrheit kommen sollte, gleichwie ein Arzt zu einem, den er heilen will, zuerst seinen Diener schickt, damit er jenen gebunden finde. Er war nicht gesund, er wollte nicht geheilt werden, und damit er nicht geheilt würde, rühmte er sich, er sei gesund. Das Gesetz wurde geschickt, es band ihn; er findet sich schuldig, schon schreit er wegen des Bandes. Es kommt der Herr, er heilt mit etwas bitteren und scharfen Arzneimitteln; er sagt nämlich zum Kranken: trage; er sagt: dulde; er sagt: liebe nicht die Welt, habe Geduld; es heile dich das Feuer der Enthaltsamkeit, das Schwert der Verfolgungen sollen deine Wunden aushalten. Du entsetztest dich, obwohl gebunden; jener, frei und ungebunden, trinkt, was er dir gab; er litt zuerst, um dich zu trösten, als wollte er sagen: Was du für dich zu leiden fürchtest, das leide ich zuerst für dich. Das ist Gnade und zwar große Gnade. Wer preist sie gebührend?

       15.

      Von der Niedrigkeit Christi rede ich, meine Brüder. Die Hoheit Christi und die Gottheit Christi ― wer kann sie aussprechen? Um von der Erniedrigung Christi in der Erklärung und Darlegung auf jede Weise zu sprechen, reichen unsere Kräfte nicht aus, ja wir sind zu schwach; wir überlassen das Ganze den Denkenden, denen, die bloß hören, können wir es nicht genügend darlegen. Bedenket die Erniedrigung Christi. Aber wer, fragst du, kann sie uns erklären, wenn du es nicht sagst? Er soll es dir innerlich sagen. Besser sagt das der, welcher innen wohnt, als der, welcher außerhalb spricht. Der möge euch die Gnade seiner Erniedrigung zeigen, der in euren Herzen zu wohnen angefangen hat. Wenn wir nun schon zur Erklärung und Darstellung seiner Niedrigkeit nicht stark genug sind, wer mag dann seine Hoheit darlegen? Wenn „das Fleisch gewordene Wort“ uns in Verwirrung bringt, wer wird dann erklären: „Im Anfang war das Wort“. Bewahret also, Brüder, einen festen Glauben.

       16.

      „Das Gesetz ward durch Moses gegeben, Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Durch einen Diener ist das Gesetz gegeben worden, es erzeugte Schuldige; durch den Herrscher ist die Verzeihung gewährt worden, er hat die Schuldigen befreit. „Das Gesetz ist durch Moses gegeben worden.“ Es schreibe sich der Diener nicht mehr zu, als was durch ihn geschah. Erwählt zu einem hohen Amte, als getreu im Hause, aber doch nur ein Diener, kann er gemäß dem Gesetze handeln, von der Schuld des Gesetzes kann er nicht lösen. Also „das Gesetz ward durch Moses gegeben, Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“

       17.

      Und damit nicht etwa einer sage: Ist nicht auch Gnade und Wahrheit geworden durch Moses, der Gott gesehen hat? fügte er sogleich hinzu: „Gott hat niemand je gesehen.“ Und wie wurde dem Moses Gott bekannt? Weil der Herr sich seinem Diener offenbarte. Welcher Herr? Christus selbst, der das Gesetz durch einen Diener vorausgeschickt hat, um dann selbst zu kommen mit Gnade und Wahrheit. Denn „Gott hat niemand je gesehen“. Und wie ist er jenem Diener, soweit er es fassen konnte, erschienen? Aber „der eingeborene Sohn, heißt es, der im Busen des Vaters ist, der hat es kundgetan“. Was heißt das: „Im Busen des Vaters“? Im Verborgenen des Vaters. Denn Gott hat nicht einen Busen81, wie wir an den Kleidern einen solchen haben, noch auch darf man meinen, er sitze so wie wir, noch ist er etwa umgürtet, daß er einen Busen hat, sondern weil unser Busen inwendig ist, so heißt das Verborgene des Vaters der Busen des Vaters. Der den Vater im Verborgenen des Vaters kennt, der hat es kundgetan. Denn „Gott hat niemand je gesehen“. Er also kam und tat kund, was er gesehen hat. Was sah Moses? Moses sah eine Wolke, er sah einen Engel, er sah Feuer82; das sind lauter Geschöpfe; sie waren ein Bild ihres Herrn, gewährten aber nicht die Gegenwart des Herrn selbst. Denn deutlich heißt es im Gesetze: „Und es sprach Moses mit dem Herrn von Angesicht zu Angesicht wie ein Freund mit seinem Freunde“. Du fährst weiter in der Schrift und findest, wie Moses sagt: „Wenn ich Gnade gefunden habe vor deinem Angesichte, so zeige dich mir offen, damit ich dich sehe“. Und es genügt nicht, daß er so redete, er erhielt auch die Antwort: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen“83. Es sprach also, meine Brüder, mit Moses ein Engel, der das Bild des Herrn trug, und all das, was dort durch den Engel geschah, verhieß die zukünftige Gnade und Wahrheit. Die das Gesetz recht erforschen, wissen es, und da es am Platze ist, daß auch wir etwas davon reden, so viel der Herr offenbart, so wollen wir es eurer Liebe nicht verschweigen.

       18.

      Dies aber sollt ihr wissen, daß alles, was körperlich gesehen wurde, nicht die Substanz Gottes war. Denn jenes sehen wir mit den Augen des Fleisches, wie aber wird die Substanz Gottes gesehen? Frage das Evangelium: „Selig sind, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott anschauen“84. Es gab Menschen85, welche, durch die Eitelkeit ihres Herzens getäuscht, sagten, der Vater sei unsichtbar, der Sohn aber sichtbar. Wie sichtbar? Wenn durch das Fleisch, da er Fleisch annahm, so ist es ganz klar. Denn von jenen, welche das Fleisch Christi sahen, haben die einen an ihn geglaubt, die anderen ihn gekreuzigt, und die an ihn geglaubt haben, wurden nach seiner Kreuzigung schwankend, und wenn sie nach der Auferstehung das Fleisch nicht berührt hätten, so würde der Glaube nicht zu ihnen zurückgekehrt sein. Wenn also der Sohn wegen des Fleisches sichtbar ist, so geben auch wir das zu, wie es denn katholischer Glaube ist; wenn aber vor dem Fleische, wie jene sagen, d. h. vor seiner Menschwerdung, so reden sie sehr albern und irren sehr. Denn jene sichtbaren Dinge sind geschehen auf körperliche Weise durch das Geschöpf, damit in ihnen ein Sinnbild gezeigt würde; gewiß wurde nicht die Substanz (Gottes) selbst gezeigt und kundgegeben. Möge eure Liebe als bescheidenen Beweis dies beachten: Die Weisheit Gottes kann mit Augen nicht gesehen werden. Brüder, wenn Christus die Weisheit Gottes und die Kraft Gottes ist86, wenn Christus das Wort Gottes ist, das Wort des Menschen aber87 mit Augen nicht gesehen werden kann, kann dann das Wort Gottes so gesehen werden?

       19.

      Vertreibet also aus euren Herzen fleischliche Gedanken, damit ihr in Wahrheit unter der Gnade seid, damit ihr zum Neuen Testamente gehöret. Deshalb wird das ewige Leben verheißen im Neuen Bunde. Leset das Alte Testament und sehet, wie dem noch fleischlichen Volke dasselbe befohlen wurde wie uns. Denn einen Gott zu verehren wird auch uns geboten. „Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht eitel nennen“ wird auch uns geboten ― das zweite Gebot. „Du sollst den Sabbat beobachten“ wird uns noch mehr geboten, weil uns die geistige Beobachtung geboten wird. Denn die Juden beobachteten den Tag des Sabbats knechtisch, zur Schwelgerei, zur Trunkenheit. Um wieviel besser würden ihre Frauen Wollarbeit verrichten, als auf den Söllern tanzen. Es sei ferne, Brüder, daß wir sagen, sie beobachteten den Sabbat. Geistig beobachtet den Sabbat der Christ, indem er sich von knechtlicher Arbeit enthält. Denn was heißt sich von knechtlicher Arbeit enthalten? Von der Sünde sich enthalten. Wie beweisen wir das? Frage den Herrn: „Jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde“88. Also wird uns auch geistig die Beobachtung des