hernieder. Und wie sind die Menschen unter das Gesetz gekommen? Dadurch, daß sie das Gesetz nicht erfüllten. Denn wer das Gesetz erfüllt, ist nicht unter dem Gesetze, sondern mit dem Gesetze; wer aber unter dem Gesetze ist, wird durch das Gesetzt nicht aufgerichtet, sondern gedrückt. Alle unter dem Gesetze stehenden Menschen also macht das Gesetz zu Schuldigen, und dazu ist es über ihrem Haupte, um die Sünden zu offenbaren, nicht sie hinwegzunehmen. Das Gesetz also befiehlt, der Geber des Gesetzes erbarmt sich in dem, was das Gesetz befiehlt. Indem die Menschen versuchten mit eigenen Kräften das zu erfüllen, was vom Gesetze vorgeschrieben ist, sind sie gerade durch ihr verwegenes und voreiliges Selbstvertrauen zu Fall gekommen und waren so nicht mit dem Gesetze, sondern sind unter das Gesetz geraten als Schuldige. Und weil sie mit eigenen Kräften das Gesetz nicht erfüllen konnten, haben sie, als Schuldige unter dem Gesetze stehend, die Hilfe des Befreiers angerufen; und die Anklage des Gesetzes bewirkte bei den Stolzen das Gefühl der Krankheit. Das Gefühl der Krankheit bei den Stolzen wurde zum Bekenntnis für die Demütigen. Schon bekennen die Kranken, daß sie krank sind; es möchte der Arzt kommen und die Kranken heilen.
3.
Wer ist der Arzt? Unser Herr Jesus Christus. Wer ist unser Herr Jesus Christus? Der, welcher auch von denen gesehen wurde, von welchen er gekreuzigt wurde; der, welcher ergriffen, mit Backenstreichen mißhandelt, gegeißelt, angespieen, mit Dornen gekrönt, ans Kreuz gehängt wurde, starb, mit einer Lanze verwundet, vom Kreuze abgenommen, ins Grab gelegt wurde. Eben der ist unser Herr Jesus Christus; eben der ist es, fürwahr, und er ist ganz der Arzt unserer Wunden, er, der Gekreuzigte, der verhöhnt wurde, bei dessen Kreuzigung die Verfolger das Haupt schüttelten und sagten: „Wenn er der Sohn Gottes ist, so steige er herab vom Kreuze“60; er ist ganz unser Arzt, er in der Tat. Warum hat er also den Spöttern nicht gezeigt, daß er der Sohn Gottes sei, um, wenn er sich auch am Kreuze erhöhen ließ, wenigstens bei den Worten: „Wenn er der Sohn Gottes ist, steige er herab vom Kreuze“, jetzt herabzusteigen und ihnen zu zeigen, daß er der wahre Sohn Gottes sei, den sie zu verhöhnen gewagt hatten? Er wollte nicht. Warum wollte er nicht? Etwa weil er nicht konnte? Er konnte sicher. Denn was ist mehr, vom Kreuze herabzusteigen oder vom Grabe auferstehen? Doch er hat die Spötter geduldet, denn er hat das Kreuz nicht zum Erweise der Macht, sondern zur Probe der Geduld auf sich genommen. Dort hat er deine Wunden geheilt, wo er die seinigen so lange ertrug; dort hat er dich vom ewigen Tode gerettet, wo er zeitlich61 zu sterben sich würdigte. Er starb, oder ist in ihm der Tod gestorben? Was ist das für ein Tod, der den Tod besiegte?
4.
Indes ist das unser* ganzer* Herr Jesus Christus, der gesehen, festgenommen und gekreuzigt wurde? Ist er ganz nur dies? Er ist es zwar, aber der Ganze ist nicht das, was die Juden sahen; dies ist nicht der ganze Christus. Und was ist er? „Im Anfang war das Wort“. In welchem Anfang? „Und das Wort war bei Gott“. Und wie beschaffen ist das Wort? „Und Gott war das Wort“. Ist etwa dieses Wort von Gott gemacht? Nein. Denn „dieses war im Anfang bei Gott“. Wie nun? Ist das andere, was Gott gemacht hat, nicht ähnlich dem Worte? Nein; denn „alles ist durch dasselbe geworden, und ohne dasselbe ist nichts geworden“. Wie ist durch dasselbe alles geworden? Weil „was geworden ist, in ihm Leben war“, und bevor es wurde, war es Leben. Was geworden ist, ist nicht Leben; allein in der Idee d. h. in der Weisheit Gottes war es, noch ehe es wurde, Leben. Was geworden ist, ist vergangen; was in der Weisheit Gottes ist, kann nicht vergehen. Leben also war in ihm, was geworden ist. Und was für ein Leben? Denn auch die Seele ist das Leben des Körpers; unser Leib hat sein Leben, und wenn er es verliert, ist dies der Tod des Leibes. War also jenes Leben so beschaffen? Nein; sondern „das Leben war das Licht der Menschen“. Etwa das Licht der Tiere? Denn dieses (gewöhnliche) Licht ist für Menschen und Tiere. Es gibt aber ein (besonderes) Licht der Menschen. Sehen wir zu, wie die Menschen von den Tieren sich unterscheiden, und dann werden wir einsehen, was das Licht der Menschen sei. Du unterscheidest dich vom Tiere nur durch den Verstand. Rühme dich in nichts anderem. Tust du dir etwas zugute auf deine Stärke? Du wirst von den Tieren übertroffen. Tust du dir etwas zugute auf Schnelligkeit? Du wirst von den Fliegen übertroffen. Tust du dir etwas zugute auf Schönheit? Wie schön sind die Pfauenfedern? Wodurch bist du also edler? Durch das Ebenbild Gottes. Wo ist das Ebenbild Gottes? Im Geiste, im Verstande. Wenn du also deshalb edler bist als das Tier, weil du einen Verstand hast, womit du erkennst, was das Tier nicht erkennen kann, dadurch aber Mensch, daß du edler bist als der Tier, so ist das Licht der Menschen das Licht der Geister. Das Licht der Geister ist über den Geistern und übertrifft alle Geister. Das war jenes Leben, durch welches alles geworden ist.
5.
Wo war es? Hier war es. War es etwa beim Vater und hier nicht? Oder, was der Wahrheit näher kommt, war es beim Vater und zugleich hier? Wenn es also hier war, warum wurde es nicht gesehen? Weil „das Licht in der Finsternis leuchtet, und die Finsternis hat es nicht begriffen“. O Menschen, seid doch nicht Finsternis, seid nicht ungläubig, ungerecht, frevelhaft, raubgierig, geizig, Liebhaber der Welt: denn* das* ist die Finsternis. Das Licht ist nicht abwesend, aber ihr seid abwesend vom Lichte. Der Blinde an der Sonne hat die Sonne gegenwärtig, aber er ist der Sonne abwesend. Seid also nicht Finsternis. Denn das ist eben die Gnade, von der ich reden will, daß wir nicht mehr Finsternis seien, und der Apostel zu uns sagen könne: „Ihr waret einst Finsternis, jetzt aber Licht im Herrn“62. Weil also das Licht der Menschen d. i. der Geister nicht gesehen wurde, war es nötig, daß ein Mensch von dem Lichte Zeugnis gab, nicht einer, der selbst Finsternis war, sondern ein erleuchteter Mensch. Aber wenn auch erleuchtet, war er doch nicht selbst das Licht, „sondern Zeugnis sollte er geben vom Lichte“. Denn „er war nicht das Licht“. Und welches war das Licht? „Es war das wahre Licht, welches jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.“ Und wo war dieses? „Es war in dieser Welt“. Und wie „in dieser Welt“? Ist etwa, wie das Licht der Sonne, des Mondes, der Lampen, so auch jenes Licht in der Welt? Nein. Denn „die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt“, d. h. „das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht begriffen“. Die Welt ist nämlich die Finsternis, denn die Liebhaber der Welt sind die Welt. Hat denn das Geschöpf seinen Schöpfer nicht anerkannt? Zeugnis gab der Himmel durch den Stern63; Zeugnis gab das Meer, es trug den Herrn, da er auf ihm wandelte64; Zeugnis gaben die Winde, sie ruhten auf sein Geheiß65; Zeugnis gab die Erde, sie ward erschüttert bei seiner Kreuzigung66. Wenn dies alles Zeugnis gab, wie soll dann die Welt ihn nicht erkannt haben, außer eben deshalb, weil unter der Welt die Liebhaber der Welt zu verstehen sind, die mit dem Herzen in der Welt wohnen? Und schlecht ist die Welt, weil die Bewohner der Welt schlecht sind, wie ein Haus schlecht ist, nicht die Wände, sondern die Bewohner.
6.
„Er kam in sein Eigentum“ d. i. er kam in das Seinige, „und die Seinigen nahmen ihn nicht auf“. Was für eine Hoffnung ist also vorhanden als die, daß er denen, „die ihn aufnahmen, die Macht gab, Kinder Gottes zu werden“. Wenn sie Kinder sind, werden sie geboren; wenn sie geboren werden, wie werden sie dann geboren? Nicht aus dem Fleische, „nicht aus dem Geblüte, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott sind sie geboren“. Sie mögen sich also freuen, daß sie aus Gott geboren sind; sie mögen sich rühmen, daß sie Gott angehören; sie mögen die Versicherung hinnehmen, daß sie aus Gott geboren sind: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Wenn das Wort nicht davor zurückschreckte, von einem Menschen geboren zu werden, sollen dann die Menschen erröten, von Gott geboren zu werden? Weil er aber dies tat, heilte er uns; weil er uns heilte, sehen wir. Denn daß „das Wort Fleisch geworden ist und unter und gewohnt hat“, ist für uns zum Heilmittel geworden, damit wir, die wir durch Erde geblendet wurden, mit Erde geheilt würden67, und geheilt, was sehen sollten? „Und wir haben“, sagt Johannes, „seine Herrlichkeit gesehen, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit“.
7.
„Johannes gibt Zeugnis von ihm, ruft und spricht: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Der nach mir kommt, ist mir zuvorgekommen.“ Er kam nach mir und ging mir voraus.