Gräberfeld, zu einer Eiswüste. Das Leben verlor seinen Sinn, Luther war ein Betrüger. Für ein Phantom waren seine Anhänger in Flammen gestorben. Ja, selbst wenn Gott wäre, was wäre er, wenn er auf einem so schwankenden Grunde ruhte, wie der Glaube ist? Nur wenige hatten Luthers Glauben, und selbst Luthers Glaube war nur fliegender Sand. Wäre es nicht besser, der Papst und seine Priester, eine unsterbliche Schar, gerüstet mit unanfechtbaren Dogmen, glaubten für alle, bürgten ihnen für das Dasein und das Wesen Gottes, den zu glauben sie selbst zu schwach sind? Wie ein Gewitter in immer heftigeren Schlägen sich entlädt, mit vernichtenden Blitzen trifft, und dann die Donner schwächer rollen und in der Ferne verschweben, so erschöpfte sich auch die Qual der Anfechtungen. Zuweilen berührte das warme Wort eines Freundes und führte den Verzweifelten aus der Hölleneinsamkeit des leeren Raumes in den Kreis der Lebendigen zurück. Ein Tränenstrom beendete wohl den Anfall.
Einigungsversuche
Als Karl V. im Frühling 1530 nach Deutschland kam, um nach neun Jahren zum ersten Male wieder einen Reichstag selbst zu leiten, kam er als Sieger. Mit Frankreich, England, Venedig hatte er Frieden geschlossen. Der Papst, Clemens VII., hatte den Gehaßten, dessen Truppen Rom verwüstet hatten, in Bologna, nicht ohne tiefe Seufzer auszustoßen, mit der Kaiserkrone gekrönt. Die Protestanten hatten Ursache, besorgt zu sein: der Kaiser hatte die Hände frei, um sie gewaltsam zu unterwerfen. Das Gerücht, das bei der Langsamkeit und Unsicherheit der Nachrichten sich nach Lust ergehen und mehr als heute wirken konnte, flüsterte von gewaltigen Rüstungen des Kaisers und seinen blutdürstigen Absichten; es schien angezeigt, sich zur Wehr zu setzen. Des jungen Landgrafen Kriegslust flammte auf; er hielt den Augenblick für gekommen, mit dem Schwerte zu protestieren. Darin verstand er sich gut mit Zwingli, der großartige, die ganze evangelische Welt ins Auge fassende Pläne ausgearbeitet hatte. Beide glaubten im Besitz der wahren Religion zu sein und wollten sie so weit wie möglich ausbreiten, wenn dadurch auch Brüder voneinandergerissen würden. Das religiöse Bewußtsein beherrschte mit solcher Energie die Gemüter, daß alle anderen Bindungen dagegen zurücktraten. Capito und Oekolampad, die angesehenen Reformatoren von Straßburg und Basel, waren der Ansicht, ein Bündnis unter religiös Gleichgesinnten gewähre stärkeren Schutz als jede politische Verbindung, und angesichts der Religionsgefahr hätten alle anderen Bünde zurückzutreten. Hatten doch auch die katholischen fünf Orte der Eidgenossenschaft sich nicht gescheut, ein Bündnis mit Österreich einzugehen, dessen Spitze sich gegen die evangelischen Eidgenossen kehrte. Philipp von Hessen und Zwingli richteten den Blick nicht nur auf die evangelischen Reichsstände, sondern auch darüber hinaus auf Dänemark und sogar auf Frankreich; Zwingli glaubte gern an das Gerücht, Franz I. neige, durch seine Schwester beeinflußt, zum Evangelium. Auflehnung gegen den Kaiser hatte für beide nichts Erschreckendes. Philipp, so warmherzig er war, wurde durch Regungen der Pietät nicht gehemmt; warf er doch die Gebeine seiner Ahne, der heiligen Elisabeth, nachdem er die Heiligenverehrung abgetan hatte, aus der Kirche heraus, wo sie ruhten. Zwingli vollends fühlte sich zwar als Deutscher, aber nicht als Reichsdeutscher. Die Eidgenossenschaft, in der Anhänglichkeit an den Kaiser entstanden, wurde widerkaiserlich, nachdem das Kaisertum wie ein erblicher Besitz an das Haus Österreich, den Erbfeind der Schweiz, gekommen war. Als nun gar die katholischen Orte mit Österreich die christliche Vereinigung geschlossen und dadurch die Entzweiung zwischen den Eidgenossen vollendet hatten, haßte Zwingli den Kaiser. Ganz anders fühlte Luther. Gerade von seinem überwiegend religiösen Standpunkt aus lehnte er gewaltsame Verbreitung des Glaubens ab, das Wort allein sollte kämpfen und wirken, wie er so oft gesagt hatte. Dann aber stand er ganz anders als Zwingli zu Kaiser und Reich. Auflehnung der Stände gegen den Kaiser, das Haupt des Reiches, hielt er für ein Unrecht, zu dem er nicht raten wollte. Nach seiner Auffassung von den Beziehungen im Reiche waren die Fürsten dem Kaiser ebenso unterworfen wie die Bürgermeister von Torgau dem Kurfürsten von Sachsen. Die Juristen und mehrere Geistliche widersprachen ihm, ohne ihn anderen Sinnes machen zu können, und Kurfürst Johann von Sachsen und Markgraf Georg von Brandenburg dachten wie er. Ihr Entschluß wurde bestimmend für die Haltung der evangelischen Partei; trotz Philipp von Hessen wurde auf gewaltsamen Widerstand verzichtet. Man beschloß, die Sache Gott anheimzustellen, vom Wort nicht zu lassen und für das Wort zu leiden, wenn es sein müsse, auch den Tod. Wieviel weltliche Interessen zu der unerschütterlichen Anhänglichkeit der Fürsten an das Evangelium beitragen mochte, sie waren in diesem bedeutenden Augenblick von aufrichtiger Frömmigkeit erfüllt. Sie waren ein kleines Häuflein gegenüber der Macht des Kaisers und der katholischen Stände, sie waren ersichtlich in Gefahr, der Kurfürst von Sachsen, der noch nicht vom Kaiser belehnt war, mußte damit rechnen, daß der Kaiser ihm die Kur nehmen und auf den katholischen Herzog Georg, seinen Vetter, übertragen würde; aber gerade er schätzte Gottes Gnade höher als irdischen Besitz und gab sich in Gottes Hand. Es sind zwei Wege, sagte er, Gott verleugnen oder die Welt; denke ein jeder, welches am besten sei. So ihr stille wäret, wäre euch geholfen; das war Luthers Lieblingsvers in den Psalmen. Etwas anderes kam hinzu, daß sie nämlich alle, besonders Luther, im Herzen auf die Milde des Kaisers hofften. Luther war empfänglich für den kindlichen Glauben an die mystische, friedenbringende Aufgabe des Kaisers, die seit Jahrhunderten im Volke fortlebte. Er sah Karl immer noch, wie er ihm in Worms erschienen war, als das Lamm unter Wölfen. Viele nahmen an, er werde vom Papst und dessen bösartigem Anhang zu Gewalttaten gedrängt, er persönlich sei milde nach der angeborenen Art des Hauses Österreich und komme mit versöhnlicher Gesinnung.
Karl war damals 30 Jahre alt, jung, aber ein fester, selbständiger Charakter, seiner ungeheuren Macht gewachsen. Er konnte haben, als hätte er nicht: er ließ sich naßregnen, um sein Barett zu schonen, aber er konnte kaiserliche Pracht entfalten, wenn sein Ansehen es erforderte; es war eine Aufgabe, der genügt wurde. Als er während des Schmalkaldischen Krieges bei Ingolstadt lagerte, ließ er sich unter dem heftigsten Bombardement durch den Feind von dem damals berühmten Mathematiker Petrus Apiani – er hieß Bienewitz und stammte aus Meißen – ein astronomisches Instrument erklären. Einige Jahre zuvor hatte er den Gelehrten in den Adelsstand erhoben und zum Pfalzgrafen ernannt. Dem Mathematikprofessor war nicht wohl zumute, er hätte lieber einen sicheren Winkel gesucht; allein der großmütige Karl, so erzählt der Berichterstatter, stand ganz unerschrocken da und hörte aufmerksam zu, obwohl es so gefährlich zuging, daß eine vierpfündige Stückkugel mitten durch das kaiserliche Zelt flog. In jeder Lage eine stolze Haltung zu bewahren, gehörte zum Kaisertum. Karl V. war ein durch und durch vornehmer Mensch. War es eine Folge der Erziehung oder das Bewußtsein seiner allen Menschen übergeordneten Stellung, er trat niemals prahlerisch, laut, aufdringlich auf, aber er ließ sich von keinem Auge schwach oder von Leidenschaft überwältigt sehen. Er liebte nur wenige Menschen, vor allen seine Schwestern und am meisten seine Frau, diese mit innigster Hingebung; im allgemeinen war er, wenn auch zurückhaltend, doch verbindlich und liebenswürdig, ja er wußte einen Ton vertraulicher Herzlichkeit anzuschlagen, wie die Deutschen es liebten. Ein Feinschmecker und nicht so mäßig, wie seine Ärzte es vorschrieben, war ihm doch die wüste Ausschweifung der deutschen Fürsten im Essen und Trinken widerwärtig, und er ließ das gelegentlich merken. Er stand zwischen ihnen wie ein Tierbändiger, der zufällig ohne Waffen zwischen Tiger und Panther geraten ist, darauf angewiesen, sie durch seine gelassene Haltung und seinen festen Blick zu beherrschen. Bis zu einem hohen Grade gelang ihm das; sein vornehmes Wesen und seine Selbstbeherrschung imponierten den Deutschen und wirkten stark auf sie, die zum größeren Teil ganz anders waren, naiv und roh, gewohnt, sich gehen zu lassen, und die sich deshalb gegenseitig in ihren Schwächen durchschauten. Trotzdem er von Anfang an das Luthertum vollständig abgelehnt hatte, rühmten ihn gerade verschiedene Reformatoren, einige waren geradezu bezaubert von ihm. Melanchthon erschien er wie ein Heros des Altertums, den dazu noch Milde ziert.
In der Tat war Karl nicht nur nicht grausam, sondern er zog, wenn es sich tun ließ, die gelinden Mittel den gewaltsamen vor; aber er war durch und durch Kaiser und Staatsmann, und wenn seine politischen Zwecke sich nicht anders erreichen ließen, konnte er sehr hart sein. Da Einigkeit der Stände zur Bekämpfung der Türken notwendig war, hielt er es für seine Pflicht, Einigkeit zu erzwingen. Die Bekämpfung der Türken war die Aufgabe des Kaisers wie der Herren von Österreich, die Bekämpfung der Häresie hing unzertrennlich damit zusammen. Daß er gewaltsame