unmittelbar unterworfen waren oder seinen Standpunkt teilten, in den Niederlanden und in Spanien. Das war keine besondere Härte seinerseits, sondern geltendes Recht, das jetzt nur strenger ausgeübt wurde. Indessen, Karl war weder kleinlich noch eigensinnig; da im Reich die Verhältnisse anders lagen, schlug er hier andere Wege ein. Er war hier auf den guten Willen der Stände angewiesen, konnte nicht schlechtweg befehlen, was er natürlich lieber getan hätte. Nicht einmal auf die katholischen Stände konnte er unbedingt zählen, denen ihre Libertät fast ebenso heilig war wie ihr Glaube; vielleicht war ihm kein protestantischer Stand so feind wie die katholischen Bayernherzöge, die nicht nur nach Böhmen trachteten, sondern das Kaisertum gern an die Wittelsbacher gebracht hätten. Von dem Kurfürsten Albrecht von Mainz wußte man nie, ob er nicht doch heiraten und sein Bistum säkularisieren würde. So nahm denn sein gefürchteter Einzug ins Reich zuerst einen freundlichen Schein an. Sein Reichstagsausschreiben sagte, daß er mit Hilfe der Stände dahin wirken wolle, daß eine einige wahre Religion angenommen werde, damit, wie sie alle unter einem Christus lebten und stritten, sie auch alle in einer Gemeinschaft der Kirche lebten. Er erklärte sich bereit, die Meinungen der Stände anzuhören; die Protestanten sollten ein schriftliches Bekenntnis ihres Glaubens einreichen dürfen: Das war ein den Vertretern des Papstes höchst widerwärtiges Zugeständnis. Gleich nach der Eröffnung des Reichstages begannen freilich die Schwierigkeiten, indem der Kaiser wollte, daß alle Stände sich an der Fronleichnamsfeier beteiligten, was die evangelischen ablehnten; allein, man kam über den Gegensatz hinweg, und die Protestanten setzten sogar durch, daß die religiöse Frage vor der Türkenhilfe behandelt würde und daß der Kaiser ihr mündliches Bekenntnis anzuhören einwilligte. Es war dies die berühmte Confessio Augustana, die von Melanchthon verfaßt war, und die nun am 25. Juni in der etwa 200 Menschen fassenden bischöflichen Kapelle von dem kursächsischen Kanzler Bayer in deutscher Sprache vorgelesen wurde. Er sprach so laut, daß die unten im Schloßhof versammelte Menge den Wortlaut verstehen konnte. Während des zwei Stunden dauernden Vortrags herrschte vollkommene Stille, und der Kaiser hörte aufmerksam zu; da er nur seinen niederdeutschen Dialekt sprach, wird er wenig verstanden haben. Es war ein großer, für die Gemüter der Protestanten erschütternder Augenblick. Sie, deren Führer geächtet war, so daß er nicht in Augsburg anwesend sein konnte, hatten ihren verfemten Glauben vor Kaiser und Reich bekannt. Er war damit aus einer verdammten Winkelketzerei zu einer öffentlichen Tatsache geworden.
Gleichwohl, und obwohl das Bekenntnis auf manche Katholiken einen starken Eindruck gemacht hatte, war der Erfolg anders, als die Protestanten erwartet hatten. Der Kaiser ließ von mehreren katholischen Theologen, unter denen Eck, Luthers alter Feind, der Wortführer war, eine Erwiderung, die Confutatio, verfassen, die er zwar, da er sie zu grob fand, zu mildern befahl, die aber in der Sache gleichblieb, den unnachgiebigen katholischen Standpunkt vertrat und alles, was die Augustana aus der Heiligen Schrift erwiesen zu haben glaubte, als irrig bestritt. Daraufhin betrachtete der Kaiser die Neugläubigen als widerlegt und verlangte schlechthin Unterwerfung der Besiegten. Es war, da die Protestanten das entrüstet ablehnten, eine förmliche Entzweiung und Auflösung des Reichstages zu befürchten. Dahin wollten es aber der Kaiser und die Mehrzahl der katholischen Stände doch nicht kommen lassen; schon früher in Aussicht genommene Ausgleichsverhandlungen wurden eingeleitet, was besonders dem Kaiser angenehm war; er meinte, da Katholiken und Protestanten in wesentlichen Punkten des Glaubens übereinstimmten, müsse ein beide Teile einigendes Bekenntnis zu ermitteln sein. Ein Ausschuß wurde eingesetzt, in den von beiden Seiten je zwei Fürsten, zwei Juristen und drei Theologen gewählt wurden. Unter den katholischen Theologen war der bedeutendste Eck, unter den evangelischen Melanchthon, der seinen Kurfürsten auf den Reichstag begleitet hatte. Die furchtbare Tragik der Glaubensspaltung offenbarte sich bei diesen Verhandlungen in der Seele Melanchthons, eines ihrer unglücklichsten Opfer. Der Humanist, der von Luthers beherrschendem Geiste in die Theologie hineingerissen war, der zwar von der Wahrheit des evangelischen Glaubens überzeugt, aber von Luthers Glaubensglut nicht beschwingt war, zitterte unter der Verantwortung, die ihm aufgeladen war.
Daß die Einheit des Glaubens erhalten werden müsse, darin waren alle einig; hatte doch ein Schisma stets für etwas überaus Verderbliches, ganz Unerträgliches gegolten. Auch dachten die Evangelischen nicht an Absonderung von der Kirche, sondern wollten die wahre katholische Kirche sein und wollten, daß die Katholiken das einsähen; diese konnten darin nur eine unerhörte Anmaßung und Auflehnung der Ketzer sehen. Während von Ausgleich und Vermittlung gesprochen wurde, dachte jede Partei im Grunde nur, wie sie die andere zu sich hinüberziehen könnte, ohne von ihrer Wahrheit das Geringste aufzugeben. Melanchthon dachte anders, er war wirklich bereit, um des Friedens willen nachzugeben.
Der Vater Melanchthons war ein Waffenschmied gewesen, dem Kaiser Maximilian aus Freude über einen von dem Meister verfertigten Harnisch ein Wappen verliehen hatte; einen Löwen, von dessen Tatzen die eine auf einem Hammer, die andere auf einem Amboß ruhte. Philipp, der Sohn, trat ungerüstet und nicht wie ein Löwe ins Leben. Er hatte einen schnellen und scharfen, aber nicht sehr in die Tiefe gehenden Verstand, er war zart und empfindlich und litt schmerzlich unter Angriffen, was nicht hinderte, daß er selbst erbarmungslos hart sein konnte. Durch seinen Oheim Reuchlin auf das Studium der Bibel hingewiesen, kannte und liebte er sie, er teilte die allgemeine Abneigung gegen die Mönche und soll einen der Dunkelmännerbriefe verfaßt haben; aber sich von der Kirche zu trennen wäre ihm deshalb nicht eingefallen. Als die herrische Freundschaft Luthers ihn an sich riß, gab er sich seinen Gedankengängen hin und faßte sie in den berühmt gewordenen loci communes zu einer Art von System zusammen. Seinem Verstande hatten Luthers Ideen durchaus eingeleuchtet, am Herzen lagen ihm aber nach wie vor die humanistischen Studien, wie er denn außergewöhnlich begabt für Sprachen war. Als die zerrüttenden Folgen der Reformation sich geltend machten, konnte Luther sich des göttlichen Willens getrösten, der ihn ergriffen hatte wie ein Sturm, unter den der Mensch sich zu beugen hat, falle die Welt auch in Trümmer; Melanchthon, der die göttliche Notwendigkeit nicht in sich fühlte, wog eines gegen das andere ab und kam zu einer Überlast von Unheil und Schädlichkeit auf seiten der Reformation. Das Grundübel sah er darin, daß die Leitung der Kirche dem Staate ausgeliefert worden war. Daraus, daß die bischöfliche Gewalt an die Landesherren überging, sah er eine Cäsaropapie entstehen, die er für verderblicher hielt als die Herrschaft des Papstes. Eine andere Möglichkeit als die Fürstenherrschaft sah er für die evangelische Kirche nicht; außer ihr gab es in seinen wie in Luthers Augen nur die Anarchie. Seit den Tumulten von Wittenberg und dem Bauernkriege hielten sie beide das deutsche Volk für unfähig zu irgendeiner Art von Selbstverwaltung, für eine einfältige, unbändige, nur unter strenger Zucht erträgliche Masse. Bereits machte sich bemerkbar, daß die protestantischen Pfarrer, seitdem der priesterliche Stand aufgehoben war, keine Achtung mehr beim Volke genossen. Schließlich schienen die Streitigkeiten innerhalb der neuen Kirche zu ihrer völligen Auflösung zu führen; Melanchthon sah keine andere Rettung als Anschluß an die alte. Schon in der Augustana hatte er das Gegensätzliche weniger betont als das Übereinstimmende; besonders heikle Punkte, wie den Primat des Papstes, wovon doch eigentlich alles abhing, hatte er ausgelassen. Luther nannte sie deshalb gutmütig, weil sein Philipp sie verfaßt hatte, die Leisetreterin. Da ihre Zurückhaltung von katholischer Seite nicht anerkannt worden war, glaubte Melanchthon ihnen noch mehr entgegenkommen zu müssen. Die Erhaltung der bischöflichen Gewalt wünschte er geradezu, aber er wollte sich sogar den Papst gefallen lassen; »wenn er schon der Antichrist ist, so können wir doch unter ihm leben, wie ehemals die Juden unter Pharao und unter Kaiphas.« Sogar das sola fide, worauf Luther, mit grimmigem Humor auftrumpfend, ausdrücklich bestanden hatte, daß der Glaube allein zur Seligkeit helfe, wollte er preisgeben. Damals schrieb ihm ein protestantisch gesinnter Venezianer vorwurfsvoll, er solle mehr Mut und Standhaftigkeit beweisen: »Wo es sich um die Wahrheit handelt, darfst du weder auf Kaiser noch auf Papst noch sonst einen Sterblichen Rücksicht nehmen, sondern allein auf den unsterblichen Gott … Wisse, daß ganz Italien in ängstlicher Spannung dem Ausgange der Versammlung in Augsburg entgegensieht. Was dort beschlossen wird, das werden um des Ansehens des Kaisers willen alle anderen Länder gutheißen.« Melanchthon litt unsäglich; er wußte, daß Luther sein Verhalten mißbilligen werde, daß viele Glaubensgenossen ihn für einen Verräter und bestochen hielten, und er sah, daß er bei den Katholiken kein Verständnis fand und keinen Freund unter ihnen gewann. Je mehr er ihnen entgegenkam, desto rücksichtsloser beharrten sie auf völliger Unterwerfung. Nicht