Ricarda Huch

Gesammelte Werke


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Die Evangelischen, auf das Schlimmste gefaßt, waren nur darauf bedacht, untereinander Einigkeit zu schaffen, damit sie dem Gegner eine möglichst starke Front entgegenstellen und den Vorwurf entkräften könnten, niemand wisse, was eigentlich die evangelische Wahrheit sei. Melanchthon nämlich, dem es darauf ankam, die alte Kirche zu gewinnen, hatte sich auf dem Reichstage von Anfang an von den Anhängern Zwinglis in auffallender Weise zurückgehalten; er hoffte dadurch, daß er sie als häretische Sekte ablehnte, als echter Katholik zu gelten. Er stellte die Zwinglianer auf eine Stufe mit den von allen Seiten verworfenen und verdammten Wiedertäufern. Diese Politik verdroß den Landgrafen von Hessen, der mit Zwingli befreundet war, und die oberdeutschen Städte, die ihm anhingen. Mit dem Scheitern der katholisch-evangelischen Verhandlungen war das Preisgeben der evangelischen Brüder vollends gerichtet.

      Bei den Einigungsversuchen unter Lutheranern und Zwinglianern trat Martin Butzer in den Vordergrund. Martin Butzer, der Ehestifter, eignete sich wie kein anderer dazu, Getrenntes sich näherzubringen. Er war nicht nur sehr gelehrt, sondern hatte sein Wissen stets bei der Hand und war nie um den passenden Ausdruck und die geschickte Formulierung verlegen. Es wird erzählt, daß er bei einem Religionsgespräch, während der Gegner seine Thesen aufstellte, Briefe an Freunde schrieb, dann, als der andere mit seinem Vortrage fertig war, den Inhalt desselben kurz zusammenfaßte, den Vorredner fragte, ob er den Sinn seiner Behauptungen richtig wiedergegeben habe, und als dieser bejaht hatte, ihn widerlegte. Er konnte an einem Tage mehr schreiben, als zwei Schreiber abschreiben konnten. Indessen ist es jetzt beschwerlich, seine langen Briefe und weitschweifigen Abhandlungen zu lesen, während jeder Satz Luthers blühend und packend ist wie einst. Auch in seinen unserem Interesse etwa entrückten Schriften blitzt seine lebendige Persönlichkeit, und durch ihre zeitlich gebundene Wahrheit leuchtet die ferne Klarheit der ewigen. Vor dem Zauberwort des großen Dichters verdorrt das flinke Wort des systematischen Kopfes zu Stroh. Der lebende Butzer jedoch war nicht nur ein redegewandter und überzeugungstreuer Mann, er erkannte auch bereitwillig die Überlegenheit Luthers an. Seit er zuerst in Heidelberg durch seine holdselige Rede hingerissen war, hat er nie in der Verehrung des Reformators gewankt, sich nie durch seine Härten, die gerade er vielfach erfuhr, irremachen lassen, sondern den beleidigten und entrüsteten Zwinglianern, deren Ansichten er teilte, immer wieder beizubringen versucht, daß man den Helden der Reformation, den Auserwählten Gottes, nehmen müsse, wie er sei, den Blick für seine Größe sich durch Empfindlichkeit nicht dürfe trüben lassen.

      Noch während des Reichstages reiste Butzer mutig nach Koburg, um Luther für die Einigung zu gewinnen, und fand den vulkanischen Riesen zugänglicher als sonst. Allein zwischen Wolken und Vögeln hatte er wieder glückliche Tage, wo er träumte und dichtete, wenn auch die verjagten Dämonen zuweilen um so wütender zurückkehrten. Hier schrieb er den wundervollen Brief an den Kurfürsten Johann, dessen Herz, seinem Herrn Gott und seinem Herrn dem Kaiser gleich treu ergeben, doch nicht beiden dienen konnte; es war, als wolle er ihn durch Musik trösten, deren er selbst, wenn er in Melancholie verfallen war, so sehr bedurfte, denn er schrieb Worte, wie man Akkorde auf der Harfe greift. Auch an Melanchthon schrieb er behutsam und liebevoll beruhigend, obwohl er mit seiner ängstlichen Nachgiebigkeit durchaus nicht einverstanden war. Zwingli hatte inzwischen unter der Einwirkung von Luthers Gedanken seine Auffassung vom Abendmahl gewandelt, so daß er die Anwesenheit von Christi Leib annahm; dieser Umschwung erleichterte die Verständigung mit Luther. Hoffnungsvoll eilte Butzer weiter; aber nun wies ihn Zwingli ab, der die Besonderheit seiner Meinung betont wissen wollte. Der Tod Zwinglis, der im folgenden Jahre in dem unglücklichen Kriege mit den katholischen Orten fiel, räumte das größte Hindernis der Einigung hinweg. Die süddeutschen Städte, die den Rückhalt an Zürich und Bern verloren hatten, suchten Anschluß an das Luthertum. Oekolampad, der mit Zwingli einig gewesen war, starb ein Jahr nach ihm an der Pest. Butzer, der theologische Führer des wichtigen Straßburg, auf den das Ansehen des Verstorbenen überging, war der Vorkämpfer einer Verständigung. Seinem unermüdlichen Wirken ist es hauptsächlich zu danken, daß im Jahre 1536 die Wittenberger Konkordie zustande kam. Seine Meinung, daß Luther, der Erwählte Gottes, als solcher vor allen anderen zu ehren und daß er gutmütig und leicht zu beeinflussen sei, wenn man ihm nur nicht widerspreche, trug den Sieg davon und bewog die süddeutschen Theologen, ihn in Wittenberg aufzusuchen. Hier gab es erneute Schwierigkeiten; denn Luther, der sich brieflich zu allem bereit erklärt hatte, zog sich auf seinen alten Argwohn zurück, es sei den Süddeutschen doch nicht rechter Ernst mit der Annahme der realen Gegenwart Christi im Abendmahl. Schließlich drehte sich der Streit um die Frage, ob auch der Gottlose den Leib Christi empfange, was Butzer und seine Partei nicht zugeben wollten. Luther hatte nicht unrecht, wenn er dachte, daß ihre Vorstellung vom Abendmahl im Grunde immer noch sehr von der seinigen abweiche, daß sie an das Zusammenströmen des unsichtbaren Leibes mit dem sichtbaren Brot nicht glaubten; aber er überzeugte sich von ihrer Frömmigkeit und ihrem aufrichtigen guten Willen, auf seine Gedanken einzugehen und ließ es dabei bewenden. Nach einer kurzen Beratung mit seinen Freunden verkündete er den harrenden Gästen, daß er sie als Brüder annehme. Alle diese Männer, die so schwer um ihren Glauben gerungen und so innig nach Verständigung sich gesehnt hatten, waren von dem Segen dieses Augenblicks überwältigt. Die Spaltung, die so viel Ärgernis gegeben hatte, war überwunden; auf Grund der Konkordie konnten die Neugläubigen sich zu gemeinsamer Verteidigung ihres Glaubens zusammenschließen, wenn sie deswegen sollten angegriffen werden. Sie ahnten nicht, daß in Straßburg bereits ein Mann, ein französischer Flüchtling, lebte, der eine neue protestantische Sekte gründen und dadurch eine viel folgenschwerere Spaltung hervorrufen sollte.

      Wie ein dünner farbloser Faden ziehen sich Religionsgespräche zwischen den verschiedenen christlichen Parteien durch die folgenden Jahrzehnte. Jedes deutsche Land, das das Evangelium annahm, hatte seine Besonderheiten in der Lehre und in den Bräuchen und konnte nur unter mühseligen Weiterungen zu einer Art von Einigung mit den übrigen gebracht werden. Noch schwieriger, eigentlich aussichtslos waren die Verhandlungen zwischen Katholiken und Protestanten, obwohl dem versöhnlichen Melanchthon und dem Formulierungskünstler Butzer auf katholischer Seite zuweilen Männer gegenüberstanden, die, wie der edle Contarini, eine Verständigung von Herzen wünschten. In Hinsicht auf die Priesterehe und das Abendmahl in beiderlei Gestalt waren die Altgläubigen nachgiebig; aber schon die verschiedene Auffassung der Messe bildete ein unüberwindliches Hindernis. Karl V. begünstigte die Gespräche. Sie waren gewissermaßen Vorläufer des Konzils, das nach allgemeiner Aussage der Spaltung und allem Streit ein Ende machen sollte. Wenn man sich vertrug, wenn der Kaiser den gewaltsamen Eingriff zurückhielt, war es, weil man auf die gütliche Entscheidung des Konzils hoffte. Ob ein Konzil, das die Katholiken als solches anerkannten, frei sein konnte, wie die Protestanten forderten, daß es sein müsse, das wurde nach einem stillschweigenden Übereinkommen nicht untersucht. Auch das zeigt, wie schwer man sich entschloß, eine dauernde Trennung ins Auge zu fassen.

      Die Befreiung des Adlers

       Inhaltsverzeichnis

      Während des Reichstags zu Augsburg träumte es einmal Melanchthon, der evangelische Prediger Aquila, derselbe, den Sickingen auf seiner Burg beherbergt hatte, sei in einen Sack gesteckt worden; da sei Luther gekommen und habe ihn befreit. Luther antwortete auf Melanchthons Bericht davon: »Solltest du etwas wider das Evangelium beschließen und den Adler in einen Sack stecken, kommen würde dann, ich zweifle nicht, Luther, um den Adler herrlich zu befreien.« Als er von den Zugeständnissen Melanchthons an die Katholiken durch erbitterte Freunde unterrichtet wurde, war er außer sich. »Ich berste vor Zorn und Entrüstung«, schrieb er dem getreuen Justus Jonas. »Meine Bitte ist, brecht die Unterhandlung ab und kehrt zurück. Sie haben unsere Konfession, und sie haben das Evangelium. Wollen sie es zulassen, mögen sie es tun, wollen sie es nicht, mögen sie hingehen, wo sie hingehören. Wird ein Krieg daraus, so werde er draus; wir haben genug gebeten und getan.« Es war ihm klar, daß eine Verständigung nicht möglich war, weil der Papst Unterordnung unter sein Regiment fordern würde und die Protestanten darin nicht einwilligen konnten, ohne ihren Grundgedanken, der sie unmittelbar unter Gott und die Heilige Schrift stellte, preiszugeben. So war seine Ansicht, daß man sich mit einer pax politica begnüge, das heißt, daß man gegenseitig Frieden halte und hinsichtlich des Glaubens beide Teile ihr Bekenntnis