die Bevölkerung. Durch diese Zugeständnisse wurden die Stände, die überall mit den Fürsten um die Macht rangen, in ihrer Unabhängigkeit sehr gestärkt. Ohnehin war der Adel in den östlichen Ländern, besonders in Böhmen und Ungarn, sehr begütert und einflußreich, während die Städte weniger bedeuteten als im Westen. In Böhmen wurde das Institut der Defensoren eingerichtet, die die Verpflichtung hatten, darüber zu wachen, daß die religiöse Freiheit nicht beeinträchtigt werde. Ein solcher Schutz war deshalb nötig, weil die Privilegien den Herrschern nur durch die Verhältnisse abgerungen waren; weder Rudolf noch Mathias meinten es mit den erteilten Begünstigungen ehrlich, lauerten vielmehr auf einen Anlaß, sie zurückzunehmen. Nach dem sogenannten Majestätsbrief war in Böhmen den Herren, Rittern und königlichen Städten das Bekenntnis freigegeben: die Frage, ob bei geistlichem Gebiet ein königliches Obereigentum anzunehmen sei oder nicht, war offengelassen. Die Protestanten nahmen ein solches an und waren damit im Rechte; aber die mittelalterlichen Verhältnisse waren so fließend, daß fast in allen Fällen Beispiele für die entgegengesetzte Auffassung beigebracht werden konnten. Von katholischer Seite wurde das königliche Obereigentum über geistliche Güter bestritten, und die geistlichen Inhaber derselben hielten sich deshalb für berechtigt, den Evangelischen die Ausübung ihres Gottesdienstes auf ihrem Gebiet zu verwehren. Dieser Streitpunkt drohte in zwei Fällen zu einem feindlichen Zusammenstoß zu führen.
Gleichzeitig bestand Kriegsgefahr im Westen des Reiches. Im Jahre 1609 starb der letzte Sproß des Cleveschen Fürstenhauses, der geisteskranke Johann Wilhelm. Daß die Nachfolge von zwei protestantischen Fürsten in Anspruch genommen wurde, dem Kurfürsten von Brandenburg und dem Pfalzgrafen von Neuburg, beunruhigte die Katholiken, namentlich Spanien, das gerade an den Grenzen der Niederlande die Ausbreitung des Protestantismus nicht leiden wollte. Beide Teile rüsteten, die Protestanten gewannen die bereitwillige Unterstützung Heinrichs IV. von Frankreich. Da, es war im Jahre 1610, wurde Heinrich IV. ermordet, und Frankreich zunächst aus den kriegerischen Ereignissen ausgeschaltet. Die beiden Prätendenten, Brandenburg und Pfalz, bemächtigten sich einstweilen gemeinsam des verwaisten Landes, und der Kaiser, mit näherliegenden Irrungen beschäftigt, ließ es geschehen. Vier Jahre später, 1614, erneute sich die Kriegsgefahr. Die possedierenden Fürsten, wie man sie nannte, entzweiten sich, worauf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg katholisch wurde und eine Schwester des Herzogs von Bayern heiratete, der Kurfürst von Brandenburg zum Calvinismus übertrat. Es war ein groteskes Ereignis, das die häßliche Verquickung politischer und kirchlicher Tendenzen beleuchtete; die Prätendenten, die das Ganze gemeinsam innehatten, von denen aber doch jeder das Ganze wollte, suchten beide Hilfe bei den entschlossensten Vertretern der feindlichen Parteien, selbst mehr oder weniger überzeugt, daß der rechte Glaube sie überwunden habe. Noch einmal gelang es doch, den Ausbruch der Feindseligkeiten zu verhindern. Unheimlich war die Stimmung im Reich, wie wenn vor dem Gewitter die Landschaft in fahler Glut erstarrt, die Bäume schwarz wie Lanzen gegen den Himmel stechen. Haßerfüllt standen sich die Parteien gegenüber; aber das unbestimmte Bewußtsein, was für ein unermeßliches Blutvergießen entstehen würde, wenn einmal die Schwerter aus der Scheide gezogen wären, lähmte im letzten Augenblick den Willen zum Angriff. Der Krieg war da, er hing in schweren Wolken schon herab auf das Reich. Wer hätte den frevelhaften Mut, das Band zu zerreißen, das ihn zurückhielt? Der Reichstag des Jahres 1613 hatte eben gezeigt, daß dies Organ der Einheit unwirksam geworden war; denn trotz der vermittelnden Bemühungen des Kanzlers Khlesl war ein gemeinsamer Reichstagsabschied nicht zustande gekommen. Die Katholiken wollten die auf der Säkularisation geistlicher Stände beruhende Ausbreitung des Protestantismus, die sich seit dem Religionsfrieden von 1555 vollzogen hatte, nicht anerkennen. Bedenkt man, daß seitdem zwei Erzbistümer, zwölf Bistümer und zahllose Klöster in die Hände von Protestanten gekommen waren, so begreift man die Erbitterung der Katholiken, aber auch den festen Entschluß der Protestanten, sich nicht wieder entreißen zu lassen, was ihren Besitzstand so außerordentlich vermehrt hatte. Der Zahl nach hatten die Protestanten das Übergewicht, in den Organisationen des Reiches die Katholiken, weil der Kaiser die Protestanten zwar im Besitz der geistlichen Fürstentümer gelassen hatte, nicht aber im Besitz der dazu gehörigen Stimmen auf dem Reichstage. Noch mehr bedeutete es, daß die Gesinnung der Protestanten, die anfangs beherzt angegriffen hatten, schwächlicher, nachlässiger, die der Katholiken entschlossener geworden war.
Es war ein folgenschweres Ereignis, als der Erzherzog Karl, einer der Söhne Kaiser Ferdinands I., die bayrische Prinzessin Maria, Tochter des Herzogs Albrecht V., heiratete. Eine Zeitlang war er zum Bräutigam der Elisabeth von England bestimmt gewesen, und er war damals bereit, ein weicher, nachgiebiger Habsburger, in betreff der Religion bedeutende Zugeständnisse zu machen. Maria war aus anderem Holze geschnitten. Sie besaß die unentwegte Tatkraft derjenigen Menschen, die die Welt von einem einzigen Standpunkt aus betrachten und keinen anderen gelten lassen. Obwohl sie in ihren Ansichten von den Jesuiten abhängig war, ließ sie sich doch nur insoweit von ihnen beherrschen, als es mit ihrem fürstlichen Ansehen übereinstimmte; bei einer etwaigen Spannung mußten die Jesuiten sich fügen. Als Gattin des Erzherzogs beschloß sie sofort, die Steiermark, sein Erbe, wieder katholisch zu machen, sei es durch Güte, sei es durch Gewalt. Karl würde sich niemals getraut haben, die der Steiermark gewährten Freiheiten zu verletzen; Maria sah darin kein Unrecht, wenn es zum Besten der Religion oder der fürstlichen Autorität geschah. Der Erzherzog gab nach und machte die Erfahrung, daß man mit Gewalt vieles, beinah alles erreichen kann, wenn man nur das Eigentum schont. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden die Untertanen von der Obrigkeit bald zu diesem, bald zu jenem Bekenntnis gezwungen, und mit wenigen Ausnahmen akkommodierten sie sich, wie man es damals nannte; nur einzelne zogen den Tod oder die Auswanderung vor. Den Adel zu unterwerfen, war freilich nicht so leicht. Ihre Grundsätze, die sich so sehr bewährten, prägte Maria ihren Kindern, namentlich ihrem ältesten Sohne Ferdinand ein, der als Nachfolger seiner kinderlosen Vettern Gelegenheit haben würde, sie im großen anzuwenden. Auch als Mutter durchaus Herrscherin, litt sie keinen Widerspruch und erfuhr keinen; auf einer Reise nach Italien im Jahre 1598 tat Ferdinand in Loreto das Gelübde, in seinen Erblanden alle Irrlehren auszurotten. Oft wiederholte er den Ausspruch, daß er lieber alle seine Länder und selbst das Leben verlieren würde, als eine Kränkung der Religion dulden. In eigentümlicher Weise waren die schroffen Grundsätze seiner Mutter auf die liebenswürdige Habsburgerei seines Vaters gepfropft. Ferdinand, auch äußerlich ein echter Sohn seiner väterlichen Familie, blond, blauäugig, mit hängender Unterlippe, war weich, gutherzig, ein Freund der Armen, im persönlichen Umgang so liebenswürdig, daß ihm selbst Gegner schwer widerstanden. Wenn es die Religion und zugleich seine Hoheit betraf, zögerte er nicht mit Grausamkeiten, gegen die selbst die Hartgesottenen Bedenken hegten.
Den böhmischen Aufstand, der im Mai 1618 ausbrach, begrüßte er als erwünschtes Ereignis, das ihm Gelegenheit gab, den übermütigen Baronen ihre Privilegien zu nehmen und sie in jeder Hinsicht zu bändigen. Daß seine Bewältigung gelingen werde, daran zweifelte er nicht. Was ihn so sicher machte, war nicht nur das angeborene Hoheitsgefühl der Habsburger und das Vertrauen auf Gott, zu dessen Geschäften es gehörte, seine Dynastie zu beschützen, sondern auch das Vertrauen auf Spanien und Bayern. Spanien hatte trotz der häufigen Bankerotte Geld, Bayern hatte Truppen. Herzog Maximilian von Bayern war nicht frei von der herkömmlichen feindseligen Eifersucht Bayerns auf Österreich, die zur Reformationszeit den mächtigen Kanzler Leonhard von Eck zu einer so seltsamen, zweizüngigen Politik bewogen hatte; aber das katholische Interesse war so mächtig in ihm, daß er sich, soweit dieses in Betracht kam, zum Bundesgenossen Österreichs machte. Der jesuitische Einfluß und der Wunsch, unabhängig von den Ständen zu regieren, die sich durch Protestantismus stärkten, bestimmten jetzt den Charakter der bayrischen Politik. Maximilian hatte mit seinem Vetter Ferdinand zusammen in Ingolstadt studiert und fühlte sich dem jüngeren, etwas fahrigen Habsburger überlegen, ließ aber davon nichts merken, streng gegen sich und verschlossen, wie er war. Er wollte Bayern groß und mächtig machen, aber nicht gegen, sondern durch Habsburg. Seine Grundsätze waren eins geworden mit seinem Willen; keiner von den Fürsten des Reichs konnte sich an Willenskraft und Zielbewußtsein mit ihm messen. Vergebens suchten die Protestanten Bayern und Österreich dadurch zu entzweien, daß sie Maximilian die Kaiserkrone anboten: er wies sie ohne Zaudern ab und versicherte Ferdinand, daß er nicht als sein Nebenbuhler auftreten werde. Ihm, der kein Schwärmer war, wird es kaum schwer geworden sein, der Schlangenversuchung zu widerstehen; er wollte nichts, was zu unabsehbaren Verwicklungen