wieder enthüllend und verhüllend, während wechselnde Musik erschallte und verschiedenfarbiges Licht sie beleuchtete; zuletzt wurde das Licht blutrot, so daß sie in Flammen zu stehen schien, die die dünnen Schleier und sie selbst rasch verzehrten, die in Farbe, Musik und Bewegung aufgelöst war. So sieht meine Seele aus, eine Bacchantin im Feuer tanzend, rasend in der Anbetung ihres Gottes.«
»Und Ihr Gott ist der Freiherr?« fragte Michael, worauf sie den kurzlockigen Kopf schüttelte und lachte, daß es bis in die Augen hinein glitzerte. Dann wurde sie wieder ernst und sagte: »Nein, er ist der Mittler zu meinem Gotte, mehr als irgendein Mensch es bisher gewesen ist. Den Gott selbst kenne ich nicht, und vielleicht ist deshalb die Flamme meiner Anbetung so freudig. Oft denke ich, wenn ich den unbekannten Gott schaute und erkennte, würde sie im selben Augenblick den Tempel ergreifen und in einem Feuersturm zerstören.«
»Wenn ich mir eine Bemerkung über Ihren unbekannten Gott erlauben darf«, sagte Michael, »so scheint er mir dionysischer Natur zu sein, da Sie den Tanz und den Rausch lieben, und Tanzen und Lachen Sie gewiß besser kleidet und Ihnen leichter fällt als Kreuztragen.«
»Ja, ich lache gern«, sagte sie, mit dem feinen Munde lächelnd, »aber ich weiß, daß ich die Wonne des Leidens auch empfinden könnte. Meine Seele würde in Schuhen aus glühendem Golde tanzen und sich mit brennenden Schleiern umwinden und nicht aufhören zu tanzen, bis sie sterbend und selig zu Füßen ihres Gottes hinstürzte. Nur das kleinliche Werktagselend, das graue, häßliche, freudlose Dulden, das kann und will ich niemals ertragen.«
Es hatte sich ihnen inzwischen ein junger Mann von fremdländischem Aussehen genähert, der mit Arabell gut bekannt zu sein schien; sie stellte ihn als einen Russen namens Boris vor, der in der hiesigen Stadt seit mehreren Jahren Medizin studierte. Das blasse, etwas verbissene Gesicht des Russen und sein befangenes Wesen verrieten so deutlich hochgradige Neigung zu Arabell, daß Michael es schicklich fand, die beiden allein zu lassen, und sich beeilt hätte, es zu tun, wenn es ihm nicht vorgekommen wäre, als ob das junge Mädchen ein solches Alleinsein eher fürchtete als wünschte. Sie wendete sich gerade jetzt mit besonderer Lebhaftigkeit zu ihm und fragte, wovon vorher durchaus nicht die Rede gewesen war, nach seinen politischen Ansichten.
Michael war in der Überzeugung aufgewachsen, daß Frauen in der Politik eine Ansicht weder hätten noch haben dürften, und sagte kurz: »Darauf wüßte ich kaum etwas zu antworten, außer, daß ich zu keiner äußersten Partei gehöre.«
»Die Mittelstraße ist der Weg zur Hölle«, sagte Arabell rasch und entfernte sich, augenscheinlich unangenehm berührt, die beiden Männer allein miteinander zurücklassend. Michael reimte sich nun zusammen, daß Boris zu den russischen Sozialdemokraten, Anarchisten und Nihilisten gehöre, die entweder als Flüchtlinge, oder um mehr Freiheit zu genießen, oder um westeuropäische Zustände kennenzulernen, sich im Auslande aufhielten, und daß Arabell diesem Kreise nahestand, wie ja Frauen überhaupt an diesem Wesen einen bedeutenden Anteil haben sollten. Es tat ihm im ersten Augenblick leid, daß das Mädchen sich mit Dingen befaßte, die ihm so zuwider waren oder für die er wenigstens so wenig Sinn hatte; doch hatte sie ihm zu gut gefallen, als daß er sie deshalb ohne weiteres hätte verwerfen können, vielmehr beschloß er, sich gelegentlich einen besseren Einblick in diese Verhältnisse zu verschaffen, über die er sich kaum ein festes Urteil zutrauen durfte. Gern hätte er einige Fragen an Boris gestellt, doch fürchtete er ihn zu verletzen oder mißtrauisch zu machen. Das Gesicht des jungen Mannes war nicht gerade einnehmend; die dunklen Augen waren stark beschattet und gedrückt und alle Züge ohne Verfeinerung; dafür prägten sich freilich Kraft und Gewandtheit eines Raubtieres in seinem Knochenbau wie in seinen Bewegungen bewundernswürdig und reizvoll aus. Sie wechselten einige Worte über ihr Studium und ihre Lehrer, denn es wollte kein Gespräch in Gang kommen; der Russe blickte zerstreut dahin, wo Arabell sich allein langsam auf und ab bewegte.
Inzwischen war die Sonne untergegangen, und es dunkelte schnell; der Schnee schien weißlich durch die tiefe Dämmerung. Die meisten Menschen waren fortgegangen, so daß die freie Fläche des ganz unbeleuchteten Sees jetzt groß und öde erschien. Von den dunklen Tannenwäldern her wehte ein kühler Wind über das verschneite Tal und den einsamen See; es war, als suchte er etwas, und eilte seufzend weiter, wenn er es nicht gefunden, um rastlos wiederzukehren. Wie die Umrisse der Hügel, die nach der Stadt zu lagen, sich in der schneegrauen Luft auflösten, schien das Tal endlos zu werden, und man mochte wähnen, man würde nie den Ausweg daraus finden, um heimzugelangen. Michael näherte sich Arabell und machte sie auf die wunderliche Stimmung aufmerksam; sie sagte: »Ich empfinde die Natur nicht wie Sie; sie bleibt ein Bild vor meinen Augen und kommt nicht in mein Inneres, wo ich sie fühlen könnte.«
Unfern von der Stelle, wo sie standen, war ein Stück des Sees durch Pfähle als gefährlich bezeichnet und stets gemieden, nur waghalsige Buben pflegten sich aus Übermut dort aufzuhalten, und es verging selten ein Winter, ohne daß infolgedessen ein Unglücksfall vorkam. Als Michael sah, daß der Russe sich auf diese gefährliche Stelle begab, rief er ihm warnend zu, daß das Eis dort dünn sei: allein jener schüttelte den Kopf und gab durch eine abwehrende Gebärde zu verstehen, daß er sich nicht fürchte. Michael ärgerte sich über einen so sinnlosen Trotz oder Eigensinn, während Arabell dem Tollkühnen mit großen Augen nachsah. Sie sahen kaum noch die Umrisse seiner Gestalt, unterschieden aber doch, daß er sich nur langsam und leise hin und her wiegte, wozu er nun die schwermütige Melodie eines russischen Volksliedes mit halber Stimme zu singen begann. Allmählich sang er lauter, so daß sie die Worte deutlich vernehmen konnten:
Kein Haus, kein Hof, nur der Schnee und die Heide,
Der Sturm und ich und der Schmerz, den ich leide.
Wohin denn? Wohin denn? Die Wölfe schrei'n.
Im Herzen kein Gott – am Himmel kein Schein.
Michael fühlte sich wunderbar von diesen Tönen angezogen, immerhin blieb er besonnen genug, um Arabell zurückzuhalten, die im Begriffe war, als ob eine magnetische Gewalt sie hinrisse, auch das dünne Eis zu betreten, unter dem von Zeit zu Zeit ein schwaches Donnern hinlief. Als Michael die Hand auf ihren Arm legte, lächelte sie und sagte: »Es war mir eben geradeso, als stünde dort der Tod und lockte mit unwiderstehlichem Gesange in sein düsteres Reich.«
In diesem Augenblicke näherte sich der Freiherr; er hatte sich bisher auf der klaren Fläche in weiten Bogenschwingungen ergangen und glich in dem kurzen schwarzen Mantel, der ihn umflatterte, einem großen Nachtvogel, der in einsamen Ringen durch die Dunkelheit kreist.
»Hier stockt die Luft wieder einmal von Stimmungen«, rief er lustig, »und es ist gut, daß ich dazwischensause. Es ist merkwürdig, daß die Menschen sich damit zufriedengeben, hölzerne Instrumente mit Darmsaiten zu sein, die sich nach Belieben hoch oder tief spannen lassen. Man sagt, daß ein Mädchen, welches nicht Brot zu schneiden versteht, nicht reif zum Heiraten ist, und ich sage, daß, wer an Stimmungen leidet, nicht reif für den Himmel ist. Sie, Arabell, sind, wie ich glaube, weder reif für den irdischen noch für den überirdischen Himmel.« Damit glitt er an Arabells Seite, die unschlüssig nach dem Gesange hinüberhorchte, ergriff eine ihrer Hände und flog ohne weiteres mit ihr davon. Michael war wieder allein mit dem Russen, der sich gleichzeitig zu ihm gesellte, den er jetzt aber mit mehr Teilnahme, ja mit einer Art von Zuneigung, die seinem eigenartig schönen Gesange galt, betrachtete. Er sagte ihm allerlei darüber und über die russischen Volkslieder im allgemeinen, worauf jener nicht einging; als Michael schließlich verstummte, sagte er: »Es wird Sie eine Gotteslästerung dünken, wenn ich sage, daß ich den Mann nicht liebe, den Sie und alle anderen verehren; und das nicht etwa, weil er mir das Mädchen entzieht, das ich mehr als alles auf der Welt und einzig auf der Welt liebe, sondern weil er ein kaltes Herz ohne Begeisterung hat, aber gerade Genie genug, um sein marmornes Heidentum so zauberhaft darzustellen, daß er die Schwachen damit betört.«
»Sie häufen so viel überraschende Vorwürfe gegen den Freiherrn«, sagte Michael, »daß ich kaum weiß, wie ich allen begegnen soll. Ob er in Wahrheit daran denkt, Ihnen ein Mädchen zu entfremden, das Sie lieben, darüber kann ich nicht urteilen; hätten Sie recht, so täte er es gewiß nicht aus Bosheit, sondern aus irgendeinem guten Grunde, wenn sich auch meinetwegen seine Richtigkeit bezweifeln ließe. Das bestreite ich aber mit gutem Gewissen, daß er kalt sei und seine Lehre heidnisch; denn