in der Verherrlichung der eigenen Person gipfelt. Was nützt es, wenn einer groß und gottesähnlich und Gott selbst wird und von seiner Macht und Herrlichkeit den anderen nichts mitteilt, die dessen bedürfen? Das ist Religion für die Glücklichen und Starken, wenn man überhaupt Religion nennen kann, was nicht die Menschen verbindet, sondern voneinander abschließt. Ich sage Ihnen offen, daß ich mein Leben den Duldern meines Vaterlandes geweiht habe und gewiß bin, früher oder später, sei es durch Verrat oder bei hochverräterischer Tat ergriffen, es schimpflich am Galgen zu enden. Es kann nicht jeder die Verhältnisse in meiner Heimat kennen und infolgedessen nicht richtig beurteilen; aber ich hasse diejenigen, die sie kennen und sich auf die Seite der Schlächter stellen, anstatt auf die der Opfer.«
Er hatte im Sprechen einen freieren, größeren Blick bekommen und gefiel Michael immer besser; er sagte mit Herzlichkeit: »Zunächst seien Sie überzeugt, daß ich Sie nie verraten werde, noch, dafür möchte ich bürgen, wird es der Freiherr tun. Ich kenne die Lage Ihres Vaterlandes nur ungenau, doch kann ich mir wohl vorstellen, daß einer, ohne grausam zu sein, gewaltsame Maßregeln zur Herbeiführung einer höheren Kultur, denn darum handelt es sich doch wohl im Grunde, mißbilligt, weil diese stets nur langsam reifen kann und Eingriffe diese Entwickelung eher stören und aufhalten als befördern.«
»Redensarten!« rief Boris ungeduldig; »eine Suppe von marklosen, ausgelaugten Knochen, die ein verhungerter Hund nicht schlappern möchte. Sehen Sie die Tatsachen an. Sehen Sie Freunde, Brüder und Schwestern unter der Peitsche und unter Martern verenden. Sehen Sie die Unschuldigen im Kerker verfaulen und die Bösewichter und Trunkenbolde und Weiberjäger und Salonschwätzer sich am Tische des Lebens mästen. Sehen Sie die gesunde Kraft in Unwissenheit und Schmutz verkommen und Feinheit und Bildung die Wahrheit beflecken und die Religion verächtlich machen. Ein Schuft, wer da zusieht und seine eherne Gleichgültigkeit mit rednerischen Lappen bemäntelt!«
Michael fühlte sich durch den wütenden Erguß nicht beleidigt, aber auch nicht getroffen; es schien ihm natürlich und berechtigt, daß diese Dinge, so schrecklich sie sein mochten, ihn nicht aus seinem Gleichgewichte brachten. Er konnte nichts mehr erwidern, da der Freiherr mit Arabell zurückkam und zum Aufbruch mahnte. Im Antlitz des Freiherrn war nichts zu lesen als die stolze Offenheit des furchtlosen Mächtigen und die Überlegenheit des allseitig gebildeten Geistes. »Während unser blutiger Freund hier predigte, habe ich eine Rede gegen ihn gehalten«, sagte er lachend, »und hoffe, daß meine von besserem Erfolge begleitet ist als seine; wenigstens scheint es mir nicht, als ob sich Michael Unger zur roten Fahne bekehrt hat. Wir streiten um die Seelen wie Satan und der Engel.«
Boris hatte doch die Genugtuung, das geliebte Mädchen nach Hause führen zu können; denn der Freiherr nahm Michaels Arm und ging mit so rüstigen Schritten vorwärts, daß die beiden jungen Leute um ein gutes Stück zurückblieben. »Warum wühlen Sie so gegen den armen Menschen?« fragte Michael, als sie von den Nachfolgenden nicht mehr gehört werden konnten. »Ich glaube, das Mädchen sieht ihn ohnehin nicht mit verliebten Augen an.«
»Aber sie hört mit verliebten Ohren zu, wenn er schwatzt«, sagte der Freiherr. »Das Mädchen ist zu fein für solch einen barbarischen Talgfresser; sie haben den Magen voll von der klebrigen Schmiere, und im Kopfe qualmt ein fettiges Fünkchen, das höchstens zum Nachtlicht oder zum Allerseelenlämpchen langt. Er soll wieder in sein Land gehen, einen Minister oder dergleichen umbringen und sich aufhängen lassen, dann hat er seine Bestimmung erfüllt und ist mit sich zufrieden. Hier wird er, wenn er auch im Arm seiner Geliebten läge, doch immer von dem Galgen träumen, den er sich in der Jugend zum Marterwerkzeug erkoren hatte. Glauben Sie mir, ich kann ihm keinen größeren Dienst leisten, als wenn ich Arabells Herz recht fest in den Händen behalte.«
»Aber tun Sie ihr denn damit einen Dienst?« fragte Michael bedenklich. »Es ist doch wahrscheinlicher, daß der Russe sie glücklich machen kann, als daß Sie es können?«
Der Freiherr legte lachend den Arm um Michaels Schulter und sagte: »Weil er sie liebt und ich sie nicht heiraten kann, meinen Sie. O Michael, können Sie an keinem Stall vorübergehen, wo zwei an einer Krippe Platz hätten? Der Russe mit seiner massenhaften Liebe reißt sie nur so oder so in die Untiefen des Lebens, wo sie steckenbleibt und verschlammt. Was kann ich ihr aber schaden? Bin ich ein Geck oder ein Wüstling oder ein Hanswurst? Selbst wenn ich sie verführte und mit einem halben Dutzend Kinder sitzenließe, was ich durchaus nicht im Sinne habe, so wäre das besser für sie, als wenn sie Boris heiratet. Wenn gute Menschen einander Schmerz zufügen, ist noch nicht Ursache, Zeter zu schreien, und auch was einem ein Übelwollender antut, geht hin; eh man sich lieben läßt, da soll man auf der Hut sein. Man soll darauf bedacht sein, Geist zu wecken, und nicht darauf achten, wie weh es tut. Müssen Sie nicht Beine abschneiden und Geschwüre auskratzen, wenn Sie Arzt sind? Aber eine Frau, die der Mann sitzenläßt, oder ein Mann, der sein Weibchen nicht bekommt, das macht Sie wehleidig, und doch sind Seelenschmerzen ebenso notwendig und heilsam wie körperliche. Geist schaffen, wohin er kommt, das ist die Arbeit des Mannes, nicht schmucke Paläste in die Luft sprengen oder gute alte Throne umstürzen.«
Wie Michael mit Genuß das frische Wesen des Freiherrn empfand, wurde er sich zugleich seiner eigenen Kraft bewußt, die sich in anderen Kämpfen entfalten sollte, als jener oder als der junge Russe sie führten, und wußte er auch selbst noch nicht, in welchen, so brannte er doch, sie zu kämpfen. Es tat ihm wohl, wenn der Mantel seines Begleiters sich hinter ihm aufblähte und in der Luft stand wie ein sausender Fittich; auch meine Seele wird die Flügel regen, dachte er, und sie werden mich über Hügel und Berge tragen, dahin, wo die Gedanken schweigen, dahin, wo Götter wohnen.
*
Bei jedem schönen Aufschwung, bei jeder fördernden Anspannung war Rose in Michaels Gefühl inbegriffen, ja er war sich bewußt, daß er nur durch sie und mit ihr die Kraft besaß, die über seine Natur hinausging. Es schien ihm keine Gefahr von ihr zu kommen, nichts, was ihn bedrohte, und er hätte eher einen Engel, der ihn hob und beseligte, als ihr Bild von sich verscheuchen mögen. Seit der Frühlingsnacht am Bodensee war ein Jahr vergangen, ohne daß er sie gesehen hatte; aber er wußte, daß sie in dem Dorfe war, wo sie im vergangenen Jahre das Kind hatte malen wollen. Es war kein langes Zaudern und Ringen, ehe er sich entschloß, zu ihr zu fahren; denn was hätte werden sollen, wenn er dem gewaltigen Zuge, der ihn zu ihr zog, nicht Folge leistete? Dann, so schien es ihm, würden die Saiten in ihm reißen, auf denen das Leben seine schönen wilden Lieder spielte, und ein tonloses Brett würde übrigbleiben, mit dem sich allenfalls seine Angehörigen an kalten Tagen das Zimmer würden heizen können. War er aber dazu bestimmt?
Ein wolkenloser Maitag sank lautlos und schimmernd auf die Flur, als der Zug, mit dem er abreiste, aus der Halle ins Freie lief. Bald begann in den Dörfern das Geläut zur Kirche und verschwebte, wie sie blitzschnell von einem zum andern glitten, in einem fernen, sanften Chor der Lüfte. Michael hatte die Fenster geöffnet und ließ die laue Luft zu sich herein; er wiederholte leise ihren Namen und träumte zu sehen, wie er sich in lauter rosigen Funken von seinen Lippen löste und gen Himmel stieg, bis die blaue See der Luft wie von Meeresleuchten damit erfüllt war. In den Glanz seines Glückes drang kein Zweifel, ob es durch eigene Stimmung oder durch Zufälle getrübt werden könne; er wußte, daß das Leben jetzt nur zwischen ihm und ihr war, eine selige Insel makellos aus dem Schwall der Zeit tauchend. Auf dem kleinen zwischen Bäumen versteckten Bahnhof, der eine Viertelstunde vom Dorfe entfernt lag, war sie nicht; aber er sah sie durch die Felder her, ihm entgegenkommen. Mit ihrem Anblick löste sich das fliegende Zittern seiner Seele in eine große Ruhe auf, so daß ihm war, als könne er jetzt ohne Scheideweh vom Leben in den Tod hinuntersinken. Sie faßten sich bei den Händen und gingen aufs Geratewohl über die Felder bis zu einer Anhöhe, wo eine Bank stand, auf die sie sich niedersetzten.
Rose zeigte ihm das Dorf: die wunderliche kegelförmige Kirche, die weißen Häuser in den grünen baumreichen Gärten, zwischen den Gehöften die lachenden Wiesen und die breiten streifigen Äcker, zum Teil von einem zarten Schleier keimender Saat überzogen, zum Teil schwarzbraun, auf denen Männer langsam hin und her gingen und Samen auswarfen. Es war ein Ring voll gefriedeter Erde, im Raume schwebend, auf allen Seiten durch dunkle Wälder gegen den Abgrund geschützt, durch eine weite unendliche Wölbung an den Himmel geschlossen. »Das ist dein Arkadien«, sagte Michael und blickte froh in ihre schönen Augen. Erst als sie in dem Zimmer