Ricarda Huch

Michael Unger


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nämlich in der Sorge um ihren meist sehr übel beschaffenen Körper? Man ermögliche es sich, die Menschen aus der Vogelschau zu betrachten oder in Büchern mit ihnen bekannt zu werden, wo der unvermeidliche Unrat schon ausgeweidet ist oder, besser gesagt, wo die große Destilliermaschine der Zeit den Abhub vertilgt hat und nur der Geist übriggeblieben ist!«

      Auf Michaels Einwendung, daß ihn eben das Lebendige, wenn es auch mangelhaft sei, anziehe, sagte der Freiherr unwillig: »Das wäre gut, wenn Sie damit fertig werden könnten. Sie würden rechts und links mit Pflaster, Arznei, Geld und guten Worten wohltun und mitteilen, und schließlich doch nichts Wesentliches gefördert haben. Kennen Sie denn das Lebendige? Sind Sie seiner mächtig? Können Sie Tote auferwecken wie Jesus Christus? Sie werden immer nur ein rasender Träumer sein, der, in Angstschweiß gebadet, vor Traumochsen davonläuft, sich vor Traumfratzen fürchtet und mit Traumwürfeln spielt. Es ist von wenig Bedeutung, ob Sie einem Fieberkranken auf seine Delirien antworten und aus ihrer Nacht heraus einem Nachtwandler die Hand geben; wecken werden Sie ihn doch nicht.«

      »Es ist wahr«, sagte Michael, »ich fange erst jetzt allmählich an, zu erwachen. Sollte ich es aber auch nie dahin bringen, erheblichen Einfluß auf den Geist der Menschen zu gewinnen, so wäre es deswegen doch nicht zu verwerfen, wenn ich ihrem körperlichen Leben zu Hilfe zu kommen suchte.«

      »Da sehen Sie!« fiel der Freiherr rasch ein. »Da liegt der unglückliche Irrtum! Sie können eben nur dem Geiste zu Hilfe kommen. Die Menschen gehen alle an einer Krankheit zugrunde, nämlich an jener der Mastgans, daß ein Organ auf Kosten des ganzen Organismus überfüttert ist; dies Organ ist bei den Menschen der Körper, während der Geist, an Bleichsucht und Auszehrung leidend, entweder schläft oder Krämpfe hat und irreredet. Notwendiger, als beständig an dem zudringlichen Leibe herumzupfuschen, wäre, daß einer den Menschen beibrächte, ohne denselben und ihm zum Trotze fein und fröhlich und würdig aufzutreten, anstatt mit tropfender Nase und bleiernen Köpfen zu stöhnen und zu schwitzen, wenn ihnen nichts anderes widerfahren ist, als daß sie den Schnupfen haben.«

      Michael sagte lachend: »Sie haben wahrscheinlich niemals weder den Schnupfen noch sonst eine Krankheit gehabt.«

      »Nein«, antwortete der Freiherr, »allerdings nicht. Wenn ich mich gehenließe wie der winselnde Pöbel und die nörgelnden Gesellschaftsschmarotzer, könnte ich wohl auch dergleichen beibringen. Die Leute möchten wie die Götter und Könige leben, bedächten sie nur zuerst einmal, daß die sich nicht zu Bette legen und die Grippe haben dürfen. Kopf hoch, Krone im Haar, Zepter in der Hand, schön, heil, gnädig und ungnädig, wer alle Morgen so aufstehen kann, der soll sich melden, wo Herrensitze leer stehen.«

      Um den Freiherrn ganz zu verstehen, verschaffte sich Michael seine Werke und las sie mit Eifer, konnte sich aber ihres Gehaltes nicht ganz bemächtigen.

      Der Freiherr, dem er es gestand, meinte, es möchte ihm noch an naturwissenschaftlichen Kenntnissen und an Übung im philosophischen Denken fehlen; außerdem hätte er, um die abgegriffenen, blechernen Begriffe zu vermeiden, oft tief aus Gedanken und Sprache herausgeschöpft, und wäre so, im Bestreben, das Gedachte richtig zu bezeichnen, dunkel geworden. Übrigens, fügte er hinzu, sei nicht soviel daran gelegen, ob Michael gerade seine Überzeugungen teile, nur überhaupt an etwas glauben müsse man, auf jeder Grundlage könne das himmlische Jerusalem erbaut werden.

      Michael lachte und sagte nachdenklich: »Ich fürchte, daß ich keine fromme Natur bin, wenigstens glaube ich, soviel mir bewußt ist, an nichts als an mich selber.«

      »Das kann viel und wenig sein«, sagte der Freiherr; »in einem alten Spruche heißt es, es sei ein Gott in uns, und wenn es der Gott in Ihnen ist, an den Sie glauben, so ist nichts weiter nötig. Übrigens ist einem, wie Sie selbst sagen, nicht alles, was im Innern lebt, bewußt.«

      Michael, der sich zum erstenmal mit solchen Fragen beschäftigte, sagte, seinen Gedanken nachhängend: »Dieser mein Glaube besteht eigentlich darin, daß ich, obgleich ich in keiner Hinsicht eine hohe Meinung von mir habe, in jeder Lage meinen Eingebungen folge, in der Überzeugung, sie müßten mich zu einem hohen Ziele führen.«

      Der Freiherr sah mit Teilnahme und Wohlgefallen in Michaels schönes Gesicht und sagte nach einer Pause: »Der heilige Antonius von Padua begegnete auf der Straße zuweilen einem gewissen Advokaten, einem lebenslustigen Weltmanne, der nur mit Wüstlingen und sittenlosen Weibern verkehrte, und begrüßte ihn zum Erstaunen der Umstehenden jedesmal kniefällig als einen künftigen Märtyrer und Heiligen. So, sehen Sie, verfolgt man oft ganz andere Ziele, als man meint, und je reicher und gesünder ein Mensch ist, desto weniger ahnt er im Anfang seiner Laufbahn, wo und wie beschaffen sein Ende ist. Bleiben Sie nur, wenn ich Ihnen raten darf, bei Ihrem Glauben an sich selbst, und wenn Sie daneben auch etwelchen zu mir fassen können, der ich Ihnen an Alter wie an Schulung und Erfahrung voraus bin, wird es nicht zu Ihrem Schaden sein.«

      Der Freiherr stellte Michael seiner Frau vor, einer viel jüngeren, runden, hübschen Dame mit mädchenhaften Zügen, die nach etwa zehnjähriger Ehe noch so verliebt in ihren Mann war, daß für nichts anderes in ihrem Leben Raum zu schaffen war. Mit den Studenten, die der Freiherr gerne in sein Haus einführte und väterlich ermunterte, ihr den Hof zu machen, kokettierte sie zwar, aber nur obenhin, ohne Glanz und ohne Schwung, obwohl sie von Natur nicht wenig dazu begabt zu sein schien. Es wurde gesagt, der Freiherr hätte sie geheiratet, weil sie angedroht hätte, sterben zu wollen, wenn sie nicht die Seine würde, was niemandem unglaublich war, der sie kannte.

      Eine größere Auszeichnung für Michael war es, daß der Freiherr ihn bei einer Freundin einführte, die er regelmäßig besuchte und auf die er augenscheinlich große Stücke hielt. Sie war mit ihm verwandt und in seinem Alter, eine hochgewachsene Erscheinung, mit jungen Augen in einem sehr länglichen, vornehmen Gesicht, in vielen Zügen ihrem Vetter ähnlich. Sie lebte zurückgezogen und sah nur den Freiherrn und die wenigen Personen, die er ihr zuführte, bei sich. Obwohl sie nicht ohne aristokratische Vorurteile war, ließ sie doch auch entgegengesetzte Denkart sich frei äußern, wie sie überhaupt gegen jedermann von zugleich stolzer und gewinnender Liebenswürdigkeit war. Mit ihrem würdevollen Wesen und ihrem lebhaften Geiste, den sie stets nur in maßvoller Ruhe äußerte, war sie Michael äußerst sympathisch: auch gefiel ihm die herzliche, höfliche und wahrhaft freundschaftliche Art ihres Verkehrs mit dem Freiherrn.

      Es mochte Michaels Bewunderung für seine Verwandte sein, die den Freiherrn eines Tages bewog, ihm zu erzählen, welcher Art eigentlich die Beziehungen waren, die ihn mit ihr verbanden; sie war nämlich seine erste Frau, die er als junger Mann geheiratet und mit der er beinahe zwanzig Jahre lang in kinderloser Ehe glücklich gelebt hatte. Auf einer Reise nach Italien, wo sie ihn nicht begleitete, hatte ihn die prickelnde Lebhaftigkeit, das schöne suchende Feuer eines jungen Mädchens angezogen, das sich eben mit ganzer Seele in die Fülle Italiens hineingeworfen hatte, um ihren unbestimmten Hunger auf irgendeine Art zu sättigen. Ohne daß man von den gegenseitigen Lebensverhältnissen etwas wußte, machte sich der Freiherr zu ihrem Führer und suchte etwas Ordnung in ihre chaotischen Bestrebungen zu bringen, wobei sie sich dermaßen in ihn verliebte, daß er sie heiratete, ungeachtet der vorher eingegangenen und noch bestehenden ehelichen Verbindung. Da er und seine erste Frau Angehörige der russischen Ostseeprovinzen waren, wohin er nicht zurückkehrte, wurde es möglich, das unerlaubte Verhältnis geheimzuhalten. Nach einer Reihe von Jahren ließ sich diese unter ihrem Mädchennamen in der Stadt, wo er wohnte, nieder, und es war seitdem kaum ein Tag vergangen, wo er sie nicht besucht und einige Stunden bei ihr zugebracht hätte. Mit seiner zweiten Frau machte er sie nicht bekannt, weil sie, was er nur ihr offenbarte, durch seelische Verfettung ungenießbar geworden sei.

      Anfangs über diese Mitteilung verdutzt, bewunderte Michael doch schließlich den Freiherrn nur um so mehr wegen der Leichtigkeit und Seelenruhe, mit der er so verzwickte Verhältnisse sowohl innerlich wie äußerlich beherrschte. Höchlich verwundert war er freilich, als der Freiherr es ihm eines Tages als bedauerliche Torheit vorhielt, daß er schon geheiratet hätte; die Liebe, sagte er, sei ein Götterding, das man nicht an den Pflug spannen sollte; für die Leute, die in die Besserungsanstalt gehörten, sei das Heiraten schon gut, aber es sei schade, wenn man die feinen und guten mit den Bestien in denselben Käfig sperrte.

      Michael konnte sich nicht enthalten, zu sagen: »Aber