Ricarda Huch

Michael Unger


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ihrer Malversuche hatte anregen wollen. Er erinnerte sich daran und fügte hinzu: »Daß ich dir dies vorschlage, entspringt nur meiner Freundschaft für dich, du weißt nicht wie großer, aber fühlen mußt du es, wenn du ehrlich gegen dich selbst sein willst.«

      »Wissenschaft und Freundschaft«, flüsterte sie und legte ihre hohe, edelgeformte Stirn in ihre beiden schmalen Hände. – »Wie du es betonst«, sagte Michael, »klingt es wie der Wegwurf des Daseins, das Schnödeste, womit man Bettler abfertigt, und doch hängen nicht viel so edle Früchte an dem Baume des Lebens.«

      Verena blieb noch eine Weile in ihrer Stellung und sagte dann heftig: »Was soll das alles mir, da es doch unausführbare Dinge sind? Bildest du dir ernstlich ein, daß ich hier im Hause Unger studieren könnte? Und was sollte aus dem Kinde werden, wenn ich es verließe, wie du es getan hast?«

      »Mario könntest du entweder mitnehmen«, sagte Michael, »oder du könntest ihn bei meinen Eltern lassen, da der Vater ihn ohnedies ungern missen würde. Für den, der will, sind das keine Schwierigkeiten.«

      »Ja«, sagte Verena, »für den, dem sein Wille über alles geht. Mir kommt zunächst die Pflicht gegen mein Kind, und die fordert, daß ich selbst und ungeteilt mich ihm widme. Wenn es ihm auch in jeder Beziehung bei deinen Eltern so gut ginge wie bei mir, so ist es doch deswegen mein Kind, damit es nach meiner Art erzogen wird, meinem Beispiele folgt, meine Anschauungen einsaugt; abgesehen davon, daß ich deinen Eltern eine Verantwortung aufbürdete, die sie vielleicht nur deswegen willig übernähmen, weil sie sie nicht in ihrer ganzen Schwere begriffen. Nähme ich das Kind nun aber mit, was sollte vollends dann aus ihm werden, wenn seine Mutter in den Hörsälen und über den Büchern säße. Du solltest mir nicht Dinge ausmalen, die mich damals, als wir heirateten, zur Allerglücklichsten auf Erden gemacht hätten, und mir nun, da sie zu spät kommen, nur mein Elend zeigen.«

      »Ich glaubte dir das Beste zu sagen, was ich hätte«, entgegnete Michael, »und du wendest es um, als wäre es das Grausamste. Daß ich vor drei Jahren anders war, als ich jetzt bin, ist nicht meine Schuld. Aber deine ist es, wenn du jetzt nicht mit willst. Was du von der Erziehung des Kindes sagst, taugt nicht; unzählige gute, große, glückliche Menschen sind nicht so an der Schnur gewachsen, die ihre Eltern ihnen zogen.«

      »Nein«, sagte Verena, »es sind auch schon Lilien auf Misthaufen gewachsen; aber es wäre doch ein törichter Gärtner, der deswegen keine auf das Beet pflanzte und wartete, ob nicht der Kehricht blüht.« Während des Gespräches war es Michael leichter ums Herz geworden; ein Gott hatte die Hand über seinem Schicksal gehalten und seine Frau mit Blindheit geschlagen. Weiter in sie zu dringen, hielt er nicht für seine Pflicht, um so weniger, als sie klug genug war, um selbst zu bedenken, was auf dem Spiele stand, und das jetzt Verworfene nachträglich anzunehmen. Er fühlte sich wie einer, der aus äußerster Gefahr gerettet ist, dem zuliebe der Himmel ein Wunder getan hat; er mußte an sich halten, um die Trunkenheit seines inneren Jubels nicht laut zu äußern.

      Von Anfang an hatte Michael versucht, seine Eltern an dem, was er genoß, teilnehmen zu lassen, und die Malve machte ihm das auch leicht; sowohl wenn er von Menschen sprach, die er kennengelernt hatte, wie von den Gegenständen seines Studiums, folgte sie ihm gern eine Weile. Den lebhaften Gesprächen, die er zuweilen mit Arnold Meier führte, hörte sie mit behaglicher Aufmerksamkeit zu und warf ihre kindlichen und klugen Fragen hinein. Aber sein Vater saß meistenteils schwer und teilnahmslos dabei und ließ sein Herz nie ganz von einem schmerzlichen Drucke frei werden. In Wort und Benehmen trug er Michael nichts mehr nach, aber es war ihm anzumerken, daß er das Gleichgewicht noch immer nicht wieder hatte finden können; die Malve, Raphael und Verena sagten einmütig, er sei älter geworden und Michaels Entfernung sei hauptsächlich schuld daran.

      Allmählich brachte Michael es doch dahin, daß er mit Interesse zuhörte, wenn er von den Erfolgen sprach, die er gehabt hatte, und von seinen Aussichten für die Zukunft. Da er im Innersten fühlte, daß es vergeblich sein würde, Michael in das Geschäft zurückzuziehen, versuchte er es nicht mehr und wollte sich begnügen, wenn er nur überhaupt bald wieder zu einer vernünftigen Wirksamkeit in die Heimat zurückkehrte. War es Michael einmal gelungen, seinen Vater aus der brütenden Gleichgültigkeit herauszuziehen und von seinen geschäftlichen Sorgen und Rechnungen abzulenken, freute er sich seines Sieges und bot alles auf, was er an Heiterkeit, Jugendmut, Liebenswürdigkeit und kindlicher Hingebung hatte, um ihn in der guten Stimmung zu erhalten. Sein Blick hing dann nur an seinem Vater. »Halte dich aufrecht, sprich und lache, Papa«, sagte er, »so hast du Schönheit und Jugend genug, um mit Jünglingen zu wetteifern. Warum macht ihr ihn denn nicht sprechen und lachen? Es ist ein Verbrechen, eher alt zu werden, als man muß.« »Man muß aber eben«, bemerkte Malve kühl und lächelnd. »Siehst du nicht, wie ihm die Haare ausfallen? Seine Stunde muß also wohl geschlagen haben. Es wäre auch ungerecht, wenn er verschont bliebe, da meine Haare schon so lange weiß sind und ich doch um ein Jahrzehnt jünger bin als er.« »Es ist kein Unglück, alt zu werden«, sagte Waldemar freundlich, »wenn man seine Kinder frisch und grün um sich herum sieht.« Bei solchen Worten fiel ein Schatten auf Michaels Seele, und es ging immer zuletzt so, wie gut es sich auch erst angelassen hatte; jede Stimmung, die sich im Hause regte, hatte einen Hang zu schwerer Trübe!

      Besonders schwer wurde es ihm, was er aber für seine Pflicht hielt, Raphael zu veranlassen, daß er ihm über sein Verhältnis zu dem Mädchen, in das er sich verliebt hatte, Rede stände. Auf nachdrückliche Vorstellungen hin sagte Raphael, er hätte den Plan, das Mädchen zu heiraten, aufgegeben und damit alles getan, was von ihm verlangt werden könne; alles Weitere ginge niemanden etwas an. Michael wußte, daß die Verbindung noch bestand, daß sein Bruder ein Kind von dem Mädchen hatte und sie unterhielt; letzteres, sagte er, sei allerdings seine Pflicht, er solle für beide sorgen, aber dem Liebesverhältnisse ein Ende machen. Ob er denn, wenn er heiratete, zwei Haushalte nebeneinander haben wollte, einen offenen und einen heimlichen? Außerdem werde die Frau mit der Zeit vollständige Gewalt über ihn bekommen, und bei seiner Schwachheit könne das zu allem möglichen führen.

      Raphael hatte den Charakter seines Bruders immer dem seinigen überlegen gefühlt und sich manches strenge Wort von ihm gefallen lassen; jetzt blieb er eigensinnig verschlossen und sagte schließlich: »Du hast mir genommen, was mein höchster Lebenstraum war, laß mich nun zufrieden, wenn ich mir die drückende Gegenwart erträglich mache, wie es gehen will. Erst hast du mir die echten Perlen entrissen und verachtest mich jetzt, wenn ich mit gemeinem Tand vorliebnehme.«

      Michael war erschrocken und entrüstet zugleich. »Du bist auf dem Wege, der traurigste Lügner zu werden, den die Erde trägt«, sagte er, »der sich selbst belügt, um sich höher achten zu können. Was ich dir genommen habe, war der Irrglaube an deine Fähigkeiten, und was ich dir aufgezwungen habe, ist ein einträglicher Beruf, der keine übermäßigen Pflichten und viele Vorteile für dich mitbringt. Bist du wirklich ein Künstler, so kann ich dir das nicht rauben, so wenig wie irgendein anderer Mensch. Vor allen Dingen aber hast du die Liebschaft mit der Kellnerin angezettelt, als du noch nichts als Künstler warst und keinen Flitter gebrauchtest, um ein häßliches Leben herauszuputzen.«

      »Damals war es ein Spiel«, sagte Raphael, »jetzt bin ich Geschäftsmann, und alles was ich tue, wird ernst, gewichtig und folgenschwer. Hören wir auf, diese nutzlose Unterredung zu führen, du sprichst wie ein Freier zu einem Gefangenen, und so verstehen wir uns nicht mehr.«

      Michael fühlte, daß es in der Tat nichts fruchtete, zu reden, wenn auch aus einem anderen Grunde; Bangigkeit und Ekel erfüllten ihn mehr und mehr. Er suchte sich einzureden, daß Raphaels Torheiten im Grunde nicht so viel zu bedeuten hätten, daß er es nicht anders machte als unzählige junge Männer seines Standes; aber er konnte sich doch nicht dabei beruhigen. Einmal dachte er daran, Verena zu bitten, daß sie ihn beeinflußte, da sie ja so befreundet miteinander waren; doch gerade deswegen scheute er wieder davor zurück, ihr etwas zu eröffnen, was sie ohne Zweifel noch strenger als er beurteilen und sie vielleicht gegen ihn einnehmen würde. Als sich eine Gelegenheit bot, stellte er Raphael noch einmal mit Herzlichkeit vor, daß er jetzt, in seiner Abwesenheit, die Stütze und das Gewissen der Familie sei, daß ihr Vater zu altern beginne und mehr und mehr entlastet werden müsse; käme er selbst in einigen Jahren zurück, so werde er selbst, wenn auch in einem anderen Berufe stehend, die allgemeine Verantwortung als