Träume, Zwielichtbilder und andere Veranlassungen dazu gebracht wurde, sich selbst als ein doppeltes Wesen zu betrachten, ein körperliches und geistiges. Da von dem geistigen Wesen angenommen wird, es lebe nach dem Tode fort und sei mächtig, so wird es durch verschiedene Geschenke und Ceremonien günstig zu stimmen versucht und um seinen Beistand angefleht. Er zeigt dann weiter, daß die den frühesten Vorfahren oder Gründern eines Stammes nach irgend einem Thiere oder Gegenstande gegebenen Namen oder Spitznamen nach Verlauf langer Zeiträume für Bezeichnungen des wirklichen Urerzeugers des Stammes angesehen wurden; und von einem derartigen Thiere und Object wird dann geglaubt, daß es noch immer als ein Geist existiere, es wird heilig gehalten und als ein Gott verehrt. Nichtsdestoweniger kann ich mich der Vermuthung nicht erwehren, daß es einen noch früheren und roheren Zustand gegeben hat, wo Alles, was nur Kraft oder Bewegung äußerte, als mit einer Art von Leben und geistigen, unsern eigenen analogen, Fähigkeiten begabt angesehen wurde.
231 s. auch einen guten Aufsatz über die psychischen Elemente der Religion von L. Owen Pike in: Anthropolog. Review, Apr. 1870, p. LXIII.
232 Religion, Moral u. s. w. der Darwinschen Art-Lehre. 1869, p. 53. Es wird angegeben (Dr. W. Lauder Lindsay, in: Journal of Mental Science, 1871, p. 43), daß vor langer Zeit schon Bacon und auch der Dichter Burns derselben Meinung gewesen seien.
233 Prehistoric Times. 2. edit. p. 571. In demselben Werke findet sich (p. 553) eine vorzügliche Schilderung der vielen fremdartigen und capriciösen Gebräuche der Wilden.
Viertes Capitel.
Vergleichung der Geisteskräfte des Menschen mit denen der niederen Thiere (Fortsetzung)
Das moralische Gefühl. – Fundamentalsatz. – Die Eigenschaften socialer Thiere. – Ursprung der Fähigkeit zum Geselligleben. – Kampf zwischen entgegengesetzten Instincten. – Der Mensch ein sociales Thier. – Die ausdauernderen socialen Instincte überwinden andere weniger beständige Instincte. – Sociale Tugenden von Wilden allein geachtet. – Tugenden, die das Individuum betreffen, erst auf späterer Entwicklungsstufe erlangt. – Große Bedeutung des Urtheils der Mitglieder derselben Gemeinschaft über das Benehmen. – Überlieferung moralischer Neigungen. – Zusammenfassung.
Ich unterschreibe vollständig die Meinung derjenigen Schriftsteller,234 welche behaupten, daß von allen Unterschieden zwischen dem Menschen und den niederen Thieren das moralische Gefühl oder das Gewissen weitaus der bedeutungsvollste ist. Dieses Gefühl, wie Mackintosh235 bemerkt, »beherrscht rechtmäßiger Weise jedes andere Princip menschlicher Thätigkeit«. Diese Gewalt wird in jenem kurzen, aber gebieterischen und so äußerst bezeichnenden Worte »soll« zusammengefaßt. Es ist das edelste aller Attribute des Menschen, welches ihn, ohne daß er sich einen Augenblick zu besinnen braucht, dazu führt, sein Leben für das eines Mitgeschöpfes zu wagen, oder ihn nach sorgfältiger Überlegung einfach durch das tiefe Gefühl des Rechts oder der Pflicht dazu treibt, sein Leben irgend einer großen Sache zu opfern. Immanuel Kant ruft aus: » Pflicht! du erhabener, großer Name, der du nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in dir fassest, sondern Unterwerfung verlangst, doch auch nichts drohest, was natürliche Abneigung im Gemüthe erregte und schreckte, um den Willen zu bewegen, sondern bloß ein Gesetz aufstellst, welches von selbst im Gemüthe Eingang findet, und doch sich selbst wider Willen Verehrung (wenn gleich nicht immer Befolgung) erwirbt, vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie gleich im Geheimen ihm entgegenwirken, welches ist der deiner würdige Ursprung und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft?«.236
Es haben diese Frage viele Schriftsteller von ausgezeichneter Befähigung237 erörtert, und meine einzige Entschuldigung, sie hier nochmals zu berühren, ist sowohl die Unmöglichkeit, sie ganz zu übergehen, als auch der Umstand, daß, so weit es mir bekannt ist, ihr Niemand ausschließlich von naturhistorischer Seite her näher getreten ist. Es besitzt diese Untersuchung auch einiges selbständige Interesse, nämlich als ein Versuch, zu sehen, wie weit das Studium der niederen Thiere Licht auf eine der höchsten psychischen Fähigkeiten des Menschen werfen kann.
Der folgende Satz scheint mir in hohem Grade wahrscheinlich zu sein, nämlich daß jedes Thier, welches es auch sein mag, wenn es nur mit scharf ausgesprochenen socialen Instincten (die elterliche und kindliche Zuneigung hier mit eingeschlossen) versehen ist,238 unvermeidlich ein moralisches Gefühl oder Gewissen erlangen würde, wenn sich seine intellectuellen Kräfte so weit oder nahezu so weit wie beim Menschen entwickelt hätten. Denn erstens führen die socialen Instincte ein Thier dazu, Vergnügen an der Gesellschaft seiner Genossen zu haben, einen gewissen Grad von Sympathie mit ihnen zu fühlen und verschiedene Dienste für sie zu verrichten. Diese Dienste können von einer ganz bestimmten und offenbar instinctiven Natur sein; sie können aber auch, wie es bei den meisten der höheren socialen Thiere der Fall ist, ein bloßer Wunsch oder eine Bereitwilligkeit sein, ihren Genossen in gewisser allgemeiner Weise zu helfen. Diese Gefühle und Dienste erstrecken sich aber durchaus nicht auf alle Individuen derselben Species, sondern nur auf die derselben Gemeinschaft. Zweitens: sobald die geistigen Fähigkeiten sich hoch entwickelt haben, durchziehen Bilder aller vergangenen Handlungen und Beweggründe unaufhörlich das Gehirn eines jeden Individuums, und jenes Gefühl des Unbefriedigtseins, oder selbst Unglücks, welches, wie wir hernach sehen werden, unabänderlich die Folge irgend eines unbefriedigten Instincts ist, wird entstehen, so oft bemerkt wird, daß der andauernde und stets gegenwärtige sociale Instinct irgend einem anderen zu der Zeit stärkeren, aber weder seiner Natur nach dauernden, noch einen sehr lebhaften Eindruck zurücklassenden Instincte nachgegeben hat. Offenbar sind viele instinctive Begierden, wie die des Hungers, ihrer Natur nach nur von kurzer Dauer und werden, wenn sie einmal befriedigt sind, nicht leicht und nicht lebendig vor die Seele zurückgerufen. Drittens: nachdem die Fähigkeit der Sprache erlangt worden ist und die Wünsche der Mitglieder einer und derselben Gemeinschaft deutlich ausgedrückt werden können, wird die allgemeine Meinung darüber, wie ein jedes Mitglied zum allgemeinen Besten zu wirken hat, naturgemäß in einem ganz hervorragenden Grade das Bestimmende bei den Handlungen werden. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß, ein wie großes Gewicht wir auch der öffentlichen Meinung einräumen, unsere Rücksicht auf die Billigung oder Mißbilligung unserer Genossen doch auf Sympathie beruht, die, wie wir sehen werden, einen wesentlichen Theil des socialen Instincts ausmacht und geradezu sein Grundstein ist. Endlich wird auch die Gewohnheit beim Individuum eine sehr wichtige Rolle in Bezug auf die Bestimmung der Handlungsweise jedes Mitglieds spielen; denn die socialen Instincte und Impulse werden, wie alle anderen Instincte, durch die Gewohnheit bedeutend gekräftigt werden, wie es auch mit dem Gehorsam gegen die Wünsche und das Urtheil der Gesellschaft geschieht. Diese verschiedenen subordinierten Sätze müssen nun erörtert werden und zwar einige von ihnen in ziemlicher Ausführlichkeit.
Es dürfte zweckmäßig sein, zunächst vorauszuschicken, daß ich nicht behaupten will, daß jedes streng sociale Thier, wenn nur seine intellectuellen Fähigkeiten zu gleicher Thätigkeit und gleicher Höhe wie beim Menschen entwickelt wären, genau dasselbe moralische Gefühl wie der Mensch erhalten würde. In derselben Weise wie verschiedene Thiere ein gewisses Gefühl von Schönheit haben, trotzdem sie sehr verschiedene Gegenstände bewundern, können sie auch ein Gefühl von Recht und Unrecht haben, trotzdem sie durch dasselbe zu sehr verschiedenen Handlungsweisen veranlaßt werden. Um einen extremen Fall anzuführen: