würde, als die Heirath eines Mannes mit einer Frau, die denselben Namen führt, auch wenn es keine Verwandte ist. »Dies Gesetz zu verletzen ist ein Verbrechen, welches die Australier in höchstem Maße verabscheuen, worin sie vollständig mit gewissen Stämmen in Nord-Amerika übereinstimmen. Wenn in beiden Theilen der Erde die Frage aufgestellt wird: ist es schlechter, ein Mädchen eines fremden Stammes zu tödten, oder ein Mädchen des eigenen Stammes zu heirathen, so würde eine Antwort ohne Zögern gegeben werden, die unserer Beantwortungsweise genau entgegengesetzt ist«.263 Den neuerdings von einigen Schriftstellern betonten Glauben, daß das Verabscheuen des Incestes Folge davon ist, daß wir ein specielles von Gott eingepflanztes Gewissen besitzen, dürften wir daher zu verwerfen haben. Im Ganzen ist es wohl verständlich, wie ein von einem so mächtigen Gefühle wie Gewissensbissen angetriebener Mensch (auch wenn dasselbe so entstanden ist, wie es oben erklärt wurde) dazu gebracht werden kann in einer Art und Weise zu handeln, von welcher ihm zu glauben gelehrt worden ist, daß sie als Vergeltung dient, z. B. wenn er sich selbst der Gerechtigkeit überliefert.
Von seinem Gewissen beeinflußt wird der Mensch durch lange Gewohnheit eine so vollkommene Selbstbeherrschung erlangen, daß seine Begierden und Leidenschaften zuletzt fast augenblicklich und ohne Kampf seinen socialen Sympathien und Instincten, mit Einschluß seines Gefühls für das Urtheil seiner Mitmenschen, nachgeben. Der noch immer hungrige oder noch immer rachsüchtige Mensch wird nicht daran denken, Nahrung zu stehlen oder seine Rache auszuführen. Es ist möglich, oder wie wir später sehen werden, selbst wahrscheinlich, daß die Gewohnheit der Selbstbeherrschung wie andre Gewohnheiten vererbt wird. So kommt der Mensch selbst dazu, in Folge erlangter und vielleicht ererbter Gewohnheit zu fühlen, daß es das Beste für ihn ist, seinen dauernden Impulsen zu folgen. Das gebieterische Wort » soll« scheint nur das Bewußtsein von der Existenz einer Regel des Betragens zu enthalten, wie immer diese auch entstanden sein mag. Früher muß das Drängen, daß ein beleidigter Mann ein Duell auskämpfen solle, oft heftig gewesen sein. Wir sagen selbst, daß ein Vorstehehund stehen soll und ein Apportierhund apportieren. Thun sie es nicht, so erfüllen sie ihre Pflicht nicht und handeln unrecht.
Wenn irgend eine Begierde oder ein Instinct, welcher zu einer dem Besten Anderer entgegenstehenden Handlung führt, einem Menschen, wenn dieser sich ihn vor die Seele ruft, noch immer als ebenso stark oder noch stärker als sein socialer Instinct erscheint, so wird er kein heftiges Bedauern fühlen, ihm gefolgt zu sein; er wird sich aber dessen bewußt sein, daß, wenn sein Betragen seinen Mitmenschen bekannt würde, er von ihnen Mißbilligung erfahren würde, und nur Wenige sind so völlig der Sympathie bar, um nicht Mißbehagen zu empfinden, wenn dies eintritt. Hat er keine solche Sympathie und sind seine Begierden, die ihn zu schlechten Handlungen leiten, zu der Zeit stark und werden sie, vor die Seele zurückgerufen, nicht von den persistenteren socialen Instincten und der Beurtheilung Anderer bekämpft, dann ist er seinem Wesen nach ein schlechter Mensch,264 und das einzige ihn zurückhaltende Motiv ist die Furcht vor der Strafe und die Überzeugung, daß es auf die Dauer für seine eigenen selbstischen Interessen am besten sein würde, mehr das Beste der Andern, als sein eigenes in's Auge zu fassen,
Offenbar kann Jeder mit einem weiten Gewissen seine eigenen Begierden befriedigen, wenn sie nicht mit seinen socialen Instincten sich kreuzen, d. h. mit dem Besten Anderer; aber um völlig vor seinen Vorwürfen sicher zu sein oder wenigstens vor Unbehagen, ist es beinahe nothwendig, die Mißbilligung seiner Mitmenschen, mag sie gerechtfertigt sein oder nicht, zu vermeiden. Auch darf der Mensch nicht die feststehenden Gewohnheiten seines Lebens, besonders wenn dieselben verständige sind, durchbrechen; denn wenn er dies thut, wird er zuverlässig ein Unbefriedigtsein empfinden; auch muß er gleichzeitig den Tadel des einen Gottes oder der Götter vermeiden, an welchen oder an welche er je nach seiner Kenntnis oder nach seinem Aberglauben glauben mag. In diesem Falle tritt aber oft noch die weitere Furcht vor göttlicher Strafe ein.
Fußnote
257 Hume bemerkt (An Enquiry concerning the Principles of Moral; edit. 1751, p. 132): »es scheint das Bekenntnis nothwendig zu sein, daß das Glück und Unglück Anderer uns keine völlig indifferenten Schauspiele sind, daß im Gegentheil die Betrachtung des ersteren ... uns eine heimliche Freude befreitet, während das Auftreten des letzteren ... einen melancholischen Schatten über unsere Phantasie breitet«.
258 Mental and Moral Science. 1868, p. 254.
259 Ich beziehe mich hier auf den Unterschied zwischen dem, was man materielle, und dem, was man formelle Moralität genannt hat. Ich freue mich, zu sehen, daß Prof. Huxley (Critiques and Adresses, 1873, p. 287) dieselbe Ansicht hat. Mr. Leslie Stephen bemerkt (Essays on Free Thinking and Plain Speaking, 1873, p. 83): »der metaphysische Unterschied zwischen materieller und formeller Moralität ist so irrelevant wie andere derartige Unterschiede«.
260 Ich habe einen solchen Fall, den von drei patagonischen Indianern, von denen sich einer nach dem andern erschießen ließ, statt die Pläne ihrer Kriegskameraden zu verrathen, erzählt in meiner »Reise eines Naturforschers« (Übers, von J. V. Carus), p. 117.
261 Feindschaft oder Haß scheint gleichfalls ein in hohem Maße andauerndes Gefühl zu sein, vielleicht mehr als irgend ein anderes, was etwa angeführt werden könnte. Neid wird definiert als Haß eines Andern wegen irgend eines Vorzugs oder Erfolgs. Bacon betont (Essay IX): »von allen andern Affecten ist Neid der zudringlichste und beständigste«. Bei Hunden kommt es leicht vor, daß sie sowohl fremde Menschen als fremde Hunde hassen, besonders wenn sie in der Nachbarschaft leben, aber nicht zu derselben Familie, zu demselben Stamm oder Gefolge gehören. Hiernach möchte das Gefühl angeboren zu sein scheinen, und es ist sicherlich ein äußerst andauerndes. Es scheint das Complement und der Gegensatz des echten socialen Instincts zu sein. Nach dem, was wir von den Wilden hören, gilt allem Anschein nach etwas dem Ähnliches auch für sie. Wenn dies der Fall ist, so wäre es nur ein kleiner Schritt, um bei Jedem solche Gefühle auf irgend ein Mitglied desselben Stammes zu übertragen, wenn ihm dies einen Schaden zugefügt hätte und sein Feind geworden wäre. Auch ist es nicht wahrscheinlich, daß das primitive Gewissen eines Menschen darüber Vorwürfe machen würde, daß er seinen Feind schädigt; es würde ihm eher vorwerfen, daß er sich nicht gerächt habe. Gutes zu thun in Erwiderung für Böses, den Feind zu lieben, ist eine Höhe der Moralität, von der wohl bezweifelt werden dürfte, ob die socialen Instincte für sich selbst uns dahin gebracht haben würden. Nothwendigerweise mußten diese Instincte, in Verbindung mit Sympathie, hoch cultiviert und mit Hülfe des Verstandes, des Unterrichts, der Liebe oder Furcht Gottes erweitert werden, ehe eine solche goldene Regel je hätte erdacht und befolgt werden können.
262 Insanity in Relation to Law; Ontario, United States, 1871, p. 14.
263 E. B. Tylor, in: Contemporary Review. April, 1873, p. 707.
264 Dr. Prosper Despine bringt in seiner »Psychologie naturelle« 1868 (Tom. I, p. 243; Tom. II, p. 169) viele merkwürdige Fälle von den schlimmsten Verbrechern, welche dem Anscheine nach vollkommen eines Gewissens entbehrten.
Die eigentlichen socialen Tugenden zuerst allein beachtet. – Die oben gegebene Ansicht von dem ersten Ursprung und der Natur des moralischen Gefühls, welches uns sagt, was wir thun sollen, und des Gewissens, welches uns tadelt, wenn wir jenem nicht gehorchen, stimmt ganz gut mit dem überein, was wir von dem früheren unentwickelten Zustand dieser Fähigkeit beim Menschen kennen. Die Tugenden, welche wenigstens im