Inwohner schliefen, aber es war infolge der aufregenden Ereignisse der Nacht ein sehr leichter Schlaf. Eine Stimme fragte durchs Fenster: „Wer da?“
Hucks schüchterne Stimme antwortete in leisem Ton: „Bitte, laß mich ‘rein — ‘s ist nur Huck Finn.“
„‘s ist ein Name, dem sich die Tür bei Tag und Nacht öffnen kann, Bursche — und willkommen!“
Dies waren ungewohnte Worte für die Ohren des kleinen Herumstreichers und die angenehmsten, die er je gehört hatte. Er konnte sich nicht erinnern, die Schlußworte jemals vorher gehört zu haben.
Die Tür wurde sofort geöffnet und er schlüpfte hinein. Huck bekam einen Stuhl, und der Alte und seine Enakssöhne kleideten sich rasch an.
„Nun, mein Junge, hoff‘, ‘s geht dir gut und du hast Hunger, denn ‘s Frühstück wird mit der Sonne fertig sein und ‘s wird zudem tüchtig heiß sein — brauchst keine Sorgen zu haben. Ich und die Jungen hofften, würd‘st letzte Nacht nochmal wieder hierher kommen.“
„Hatt‘ zu große Angst,“ sagte Huck, „und machte, daß ich fortkam. Lief davon, als die Schüsse losgingen, und hielt erst nach drei Meilen an. Jetzt bin ich gekommen, weil ich wissen möchte von — Ihr wißt schon! und komm‘ vor Tageslicht, weil ich den Teufeln nicht begegnen möcht, selbst wenn sie tot wären.“
„Glaub‘s, armer Kerl, siehst aus, als hättst du ‘ne böse Nacht hinter dir — na, hier ist ‘n Bett für dich, wenn du gefrühstückt hast. Nun — tot sind sie nicht, leider — tut uns wahrhaftig leid genug. Du weißt, wir wußten nach deiner Beschreibung wohl, wo wir sie am Kragen kriegen würden, so schlichen wir auf den Zehen bis fünfzehn Schritt von ihnen entfernt — ‘s war dunkel wie in ‘nem Loch — und gerade da fühlt‘ ich, daß ich niesen müsse. ‘s war wohl grad‘ der rechte Augenblick! Ich versucht‘, es zurückzuhalten, aber keine Möglichkeit, ‘s wollte kommen und ‘s kam! Ich war voran, die Pistole schußfertig, und wie nun mein Niesen die Schufte aufschreckte, hört ich ‘n Rascheln vor mir, so rief ich: „Feuer, Jungens!“ und gab ‘nen Schuß, wo die Kerle waren. Ebenso meine Jungen. Aber wie ‘n Wind waren sie fort, diese Halunken; wir hinterher, runter durch den Wald. Denk, wir haben sie nicht getroffen. Im Laufen gaben sie noch jeder ‘nen Schuß ab, aber die Kugeln fuhren vorbei und taten uns nichts. Sobald wir sie nicht mehr hörten, gingen wir heim und weckten die Konstabler. Sie wollten ‘ne Treibjagd machen und gingen runter, die Flußufer abzusuchen, und wenn‘s hell ist, woll‘n sie und der Sheriff die Wälder vornehmen. Meine Jungen werden auch dabei sein. Wollt‘ nur, wir hätten so was wie ‘ne Beschreibung von diesen Galgenvögeln — ‘s würd ‘n gut Teil helfen. Du konntest wohl im Dunkeln nicht sehen, was es für Kerle waren, denk‘ ich?“
„Doch — sah sie schon im Dorf und folgte ihnen.“
„Famos! — Beschreib‘ sie — beschreib‘ sie, mein Junge!“
„Der eine ist der taubstumme Spanier, der hier ‘n paarmal ‘rumgeschlichen ist, der andere ein verdächtig aussehender, zerlumpter —“
„‘s ist genug, Junge, kenne die Kerle schon! Traf sie mal in den Wäldern hinter dem Garten der Witwe, und sie machten sich auch gleich davon. Fort mit euch, Burschen, sagt‘s dem Sheriff — könnt euer Frühstück morgen essen!“
Sofort verschwanden die Söhne des Alten. Als sie das Zimmer verlassen hatten, sprang Huck auf und rief: „O, bitte, sagt‘s niemand, daß ich‘s war, der sie aufgespürt hat — bitte!“
„Ist schon gut, Huck, wenn du‘s wünschst, aber du sollst doch den Lohn für das haben, was du da getan hast!“
„Ach, nein, nein! Bitte, sagt‘s nicht!“
„Sie werden‘s nicht sagen,“ beruhigte der Alte, „und ich auch nicht. Aber warum soll‘s keiner wissen?“
Huck wollte nichts weiter sagen, als daß er schon zu viel über einen der Strolche wisse und nicht wünschte, daß der von seiner Mitwisserschaft Wind bekomme, nicht um die Welt, denn ‘s wär sicher, daß er dafür getötet werden würde.
Der alte Mann versprach nochmals Schweigen und sagte: „Aber, Bursche, wie kamst du denn drauf, diesen Gaunern zu folgen? Kamen sie dir verdächtig vor?“
Huck schwieg einen Moment, während er über einer möglichst unverfänglichen Antwort brütete. Dann sagte er:
„Na, seht Ihr, ich bin halt mal ‘n ungehobelter Bursche — jeder sagt‘s, und ich weiß nicht, was dagegen einzuwenden wäre — und manchmal kann ich nicht schlafen vor dem Gedanken daran, und nehm‘ mir vor, zu versuchen, mich zu ändern. ‘s war wieder so letzte Nacht. Ich konnt‘ nicht schlafen und so kam ich um Mitternacht etwa, drüber nachdenkend, auf die Straße, und wie ich an die alte Mauer beim Temperenzler-Wirtshaus komme, lehn‘ ich mich so, ohne mir was zu denken, dran. Na, gerade in dem Augenblick kamen die beiden Strolche angeschlichen, dicht an mir vorbei, was unterm Arm tragend; es ist gewiß gestohlen, denk ich. Der eine rauchte, der andere wollt‘ auch Feuer haben; blieben also gerade vor mir stehn, und beim Anzünden der Zigarren wurden ihre Gesichter erleuchtet, und ich sah, daß der größere der taubstumme Spanier war — an den weißen Haaren und dem Pflaster aus dem Auge, — und der andere war ein roher, zerlumpter Teufel.“
„Konntst auch die Lumpen beim Leuchten der Zigarren sehen?“
Dies verwirrte Huck für ‘nen Augenblick. Dann sagte er: „Ja, ich weiß nicht — aber ‘s schien mir wenigsten so.“
„Dann gingen sie weiter, und du —?“
„Folgte ihnen — ja, ‘s war so. Wollt‘ doch sehen, was sie vorhätten — sie schlichen so verdächtig davon. Ich folgte ihnen bis zum Garten der Witwe und stand dort im Dunkeln und hörte den Zerlumpten für die Witwe bitten, und der Spanier schwor, er wollt‘ der Witwe die Nasenlöcher aufschneiden; gerade so wie ich‘s Euch sagte und Euren —“
„Was, all das sagte der taubstumme Mann!“
Huck hatte wieder einen schrecklichen Mißgriff begangen. Er hatte sich die größtmöglichste Mühe gegeben, den Alten nicht erraten zu lassen, wer der Spanier sei, und doch schien ihn seine Zunge trotz aller Vorsicht in Ungelegenheiten bringen zu wollen. Er machte krampfhafte Anstrengungen, aus seiner Verwirrung herauszukommen, aber das Auge des alten Mannes haftete auf ihm, schärfer und immer schärfer. Plötzlich sagte der Walliser: „Mein guter Junge, brauchst dich nicht vor mir zu fürchten, möcht‘ um alles in der Welt nicht ein Haar auf deinem Haupte krümmen. Nein — ich würd‘ dich beschützen — verlaß dich drauf. Dieser Spanier ist nicht taubstumm. Da hast du dir was entschlüpfen lassen. Du weißt was über diesen Kerl, das du nicht verraten möchtest. Na, vertrau‘ dich mir an — sag‘ mir, was es ist, vertrau‘ mir — werd‘ dich nicht verraten!“
Huck blickte in des alten Mannes ehrliche Augen, dann beugte er sich hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: „‘s ist kein Spanier — ‘s ist der Indianer-Joe!“
Der Walliser fuhr fast von seinem Stuhl auf. Nach kurzer Pause sagte er dann:
„‘s ist jetzt klar genug. Als du von Nasenaufschlitzen und Ohrenstutzen sprachst, dacht‘ ich, ‘s wär deine eigene Erfindung, denn kein Weißer übt so ‘ne Rache. Aber ein Indianer! Das ist freilich ‘n großer Unterschied.“
Während des Frühstücks ging die Unterhaltung weiter, in deren Verlauf der Alte erwähnte, das letzte, was sie getan hatten, bevor sie zu Bett gegangen seien, sei gewesen, mit einer Laterne die Kampfstelle nach Blutspuren zu untersuchen. Die hätten sie nicht gefunden, wohl aber ein dickes Bündel mit —
„Mit was?“
Wären die Worte Blitze gewesen, sie hätten nicht schneller aus Hucks bleichen