Forscher der Malthusschen Schule ab, die sich mit der oberflächlichen Harmonielehre der Schule Ricarcio-Say nicht zufriedengeben konnten. Erst Marx hat die Analyse des wirklichen Zusammenhangs gegeben: Er zeigte, daß das Wachstum der Konsumtion fatal hinter dem Wachstum der Produktion zurückbleibt und zurückbleiben muß, welche 'dritten Personen' man auch erfinden möge. Deshalb kann die Konsumtion und ihr Umfang in keiner Weise als die unmittelbare Schranke der Erweiterung der Produktion gelten. Die kapitalistische Produktion büßt für die Abweichung von diesem wahren Zweck der Produktion mit Krisen, aber sie ist unabhängig von der Konsumtion. Die Erweiterung der Produktion findet ihre Schranke nur in dem Umfang des Kapitals und hängt lediglich von diesem letzteren ab."164
Hier wird die Theorie Bulgakows und Tugan-Baranowskis direkt Marx in die Schuhe geschoben, so sehr schien sie den russischen Marxisten unmittelbar aus der Marxschen Lehre zu folgen und sich in sie organisch einzufügen. Noch deutlicher formuliert sie Bulgakow an einer anderen Stelle als direkte Deutung des Marxschen Schemas der erweiterten Reproduktion. Nachdem die kapitalistische Produktionsweise in einem Lande Einzug gehalten hat, fängt ihre innere Bewegung an, sich nach diesem Schema zu entwickeln: "Die Produktion des konstanten Kapitals bildet die Abteilung I der gesellschaftlichen Reproduktion, die schon eine selbständige Nachfrage nach Konsummitteln eröffnet im Umfange des eigenen variablen Kapitals dieser Abteilung I sowie des Konsumtionsfonds ihrer Kapitalisten. Abteilung II ihrerseits eröffnet die Nachfrage nach Produkten I. Auf diese Weise bildet sich schon bei Beginn der kapitalistischen Produktion ein geschlossener Kreis heraus, in dem die kapitalistische Produktion von gar keinem auswärtigen Markt abhängig ist, sondern sich selbst genügt und in dem sie sozusagen automatisch vermittelst der Akkumulation zu wachsen in der Lage ist."165 Und an einer anderen Stelle versteigt er sich gar zu der folgenden krassen Formulierung seiner Theorie: "Der einzige Markt für die Produkte der kapitalistischen Produktion ist diese Produktion selbst."166
Man kann die ganze Kühnheit dieser Theorie, die in den Händen der russischen Marxisten zur Hauptwaffe wurde, womit sie ihre Gegner, die "volkstümlerischen" Skeptiker, in der Frage der Absatzmärkte zur Strecke gebracht haben, nur dann richtig würdigen, wenn man sich vergegenwärtigt, in welchem erstaunlichen Widerspruch sich diese Theorie mit der täglichen Praxis, mit allen bekannten Tatsachen der kapitalistischen Wirklichkeit befindet. Aber noch mehr: Man muß diese Theorie, die mit solchem Triumph als reinste marxistische Wahrheit verkündet wurde, noch mehr bewundern, wenn man bedenkt, daß sie auf einem einfachen kapitalen Quiproquo basiert. Doch auf diese Frage werden wir weiter bei der Besprechung Tugan-Baranowskis eingehen.
Auf dem Mißverständnis über das Verhältnis der Konsumtion zur Produktion in der kapitalistischen Gesellschaft errichtet Bulgakow ferner eine ganz verkehrte Theorie des auswärtigen Handels. Vom Standpunkte der obigen Auffassung der Reproduktion gibt es in der Tat für den auswärtigen Handel keinen Raum. Wenn der Kapitalismus in jedem Lande gleich zu Beginn seiner Entwicklung jenen bewußten "geschlossenen Zirkel" herausbildet, in dem er sich wie eine Katze um den eigenen Schwanz dreht und "sich selbst genügt", für sich selbst schrankenlos einen Absatz schafft und sich selbst Stachel zur Erweiterung ist, dann ist jedes kapitalistische Land ökonomisch auch ein abgeschlossenes, "sich selbst genügendes" Ganzes. Nur in einem Fall wäre dann auswärtiger Handel begreiflich: als Mittel, das natürliche Manko eines Landes an gewissen Produkten des Bodens und des Klimas durch Einfuhr von auswärts zu decken, nur als notgedrungene Einfuhr von Rohstoffen oder Nahrungsmitteln. Und in der Tat errichtet Bulgakow, indem er die These der Volkstümler direkt auf den Kopf stellt, eine Theorie des internationalen Handels der kapitalistischen Staaten, in dem die Einfuhr von Produkten der Landwirtschaft das grundlegende aktive Element, die industrielle Ausfuhr nur die notgedrungene Deckung jener Einfuhr darstellt. Der internationale Warenverkehr erscheint hier nicht im Wesen der Produktionsweise begründet, sondern in den Naturbedingungen der Länder - jedenfalls eine Theorie, die nicht von Marx, sondern von deutschen Gelehrten der bürgerlichen Nationalökonomie geliehen ist. Wie Struve von Wagner und Schäffle sein Schema der drei Weltreiche, so übernimmt Bulgakow von dem seligen List die Einteilung der Staaten in Kategorien nach dem "Agrikulturstand" und dem "Agrikulturmanufakturstand", die er mit dem Fortschritt der Zeiten in "Manufakturstand" und "Agrikulturmanufakturstand" modifiziert. Die erstere Kategorie ist von Natur mit einem Mangel eigener Rohstoffe und Nahrungsmittel gestraft und deshalb auf den auswärtigen Handel angewiesen, die letztere Kategorie ist von der Natur mit allem versehen und kann auf den auswärtigen Handel pfeifen. Typus der ersteren ist England, der zweiten - die Vereinigten Staaten. Für England würde die Abschaffung des auswärtigen Handels ökonomische Agonie und Tod bedeuten, für die Vereinigten Staaten nur eine vorübergehende Krise, nach der völlige Genesung gesichert wäre: "Hier kann sich die Produktion auf der Basis des inneren Marktes schrankenlos erweitern."167 Diese Theorie, die ein ehrwürdiges Erbstück der deutschen Nationalökonomie bis auf den heutigen Tag bildet, hat offenbar von den Zusammenhängen der kapitalistischen Weltwirtschaft keinen Dunst und führt den heutigen Weltverkehr ungefähr auf die Grundlagen aus den Zeiten der Phönizier zurück. Doziert doch z.B. auch Professor Bücher: "Es ist ein Irrtum, wenn man aus der im liberalistischen Zeitalter erfolgten Erleichterung des internationalen Verkehrs schließen zu dürfen meint, die Periode der Volkswirtschaft gehe zur Neige und mache der Periode der Weltwirtschaft Platz ... Gewiß sehen wir heute in Europa eine Reihe von Staaten. welche der nationalen Selbständigkeit in ihrer Güterversorgung insofern entbehren, als sie erhebliche Mengen ihrer Nahrungs- und Genußmittel aus dem Auslande zu beziehen genötigt sind, während ihre industrielle Produktionstätigkeit weit über das nationale Bedürfnis hinausgewachsen ist und dauernd Überschüsse liefert, die auf fremden Konsumtionsgebieten ihre Verwertung finden müssen. Aber das Nebeneinanderbestehen solcher Industrie- und Rohproduktionsländer, die gegenseitig aufeinander angewiesen sind, diese 'Internationale Arbeitsteilung' ist nicht als ein Zeichen anzusehen, daß die Menschheit eine neue Stufe der Entwicklung zu erklimmen im Begriffe steht, die unter dem Namen der Weltwirtschaft den ... früheren Stufen gegenübergestellt werden müßte. Denn einerseits hat keine Wirtschaftsstufe volle Selbstherrlichkeit der Bedürfnisbefriedigung auf die Dauer garantiert; jede ließ ... gewisse Lücken bestehen, die so oder so ausgefüllt werden mußten. Andererseits hat jene sogenannte Weltwirtschaft bis jetzt wenigstens keine Erscheinungen hervortreten lassen, die von denen der Volkswirtschaft in wesentlichen Merkmalen abweichen, und es steht sehr zu bezweifeln, daß solche in absehbarer Zukunft auftreten werden."168 Bei Bulgakow ergibt sich aus dieser Auffassung jedenfalls ein unerwarteter Schluß: Seine Theorie von der schrankenlosen Entwicklungsfähigkeit des Kapitalismus wird nur auf gewisse Länder mit günstigen Naturbedingungen beschränkt. In England muß der Kapitalismus in absehbarer Zeit an der Erschöpfung des Weltmarktes zugrunde gehen, in den Vereinigten Staaten, in Indien und in - Rußland blüht ihm eine unumschränkte Entwicklung durch "Selbstgenügsamkeit".
Doch abgesehen von diesen augenscheinlichen Seltsamkeiten, birgt die Bulgakowsche Argumentation in bezug auf den auswärtigen Handel wiederum ein fundamentales Mißverständnis. Das Hauptargument Bulgakows gegen die Skeptiker von Sismondi bis Nikolai-on, die zur Realisierung des kapitalistischen Mehrwerts den auswärtigen Absatzmarkt zu Hilfe nehmen zu müssen glaubten, ist folgendes: Diese Theoretiker betrachteten offenbar alle den auswärtigen Handel als "einen bodenlosen Abgrund", in dem der im Innern unabsetzbare Überschuß der kapitalistischen Produktion auf Nimmerwiedersehen verschwinde. Demgegenüber hebt Bulgakow mit Triumph hervor, daß ja der auswärtige Handel durchaus kein "Abgrund" und erst recht kein "bodenloser" sei, daß er ein zweischneidiges Schwert darstelle und daß zur Ausfuhr stets auch Einfuhr gehöre, die sich beide so ziemlich die Waage zu halten pflegen. Was also durch die eine Grenze hinausgeschoben werde, das werde durch die andere Grenze bloß in veränderter Gebrauchsgestalt wieder hereingeschoben. "Für die eingeführten Waren, die das Äquivalent der ausgeführten darstellen, muß man in den Grenzen des gegebenen Absatzmarktes Platz finden, Platz ist aber nicht da, folglich zieht die Zuhilfenahme des auswärtigen Absatzes bloß neue Schwierigkeiten nach sich."